Auch Naturgesetze sind vergänglich

Naturgesetze gehören nach gängiger Auffassung zum unwandelbaren Bestand der Naturwissenschaften. Ein Physiker und ein Philosoph haben sich nun von dieser Vorstellung verabschiedet. Eduard Käser hat für die NZZ die neue Sichtweise von Lee Smolin und Roberto Mangabeira Unger beschrieben:

Ist eine Physik mit vergänglichen Gesetzen überhaupt denkbar? Unger und Smolin sind sich dieses Einwands bewusst: «Wenn sich die Naturgesetze ändern, wie können wir dann hoffen, Forschung auf einer sicheren Basis zu betreiben?» Die Antwort: Man muss Zeithierarchien unterscheiden. Die Gesetze verändern sich ja nicht von heute auf morgen. In einem gereiften und ausgekühlten Universum wie dem heutigen können sie als nahezu unveränderlich betrachtet werden. Nahezu, wohlgemerkt – im Grunde regiert im singulären Kosmos die Zeit im Sinne unaufhörlicher Veränderung.

Hier fällt ein wiederkehrendes Muster in der Erklärungsstrategie der Physik auf. Die hinunterrollende Kugel «gehorcht» der Notwendigkeit der Newtonschen Gesetze; die Newtonschen Gesetze aber bringen eine «singuläre» Grösse ins Spiel, die Gravitationskonstante. Warum hat sie gerade den Wert, den sie hat? Die Singularität muss erneut erklärt werden durch neue Gesetze. Diese neuen Gesetze bringen wiederum Zufälliges ins Spiel, und so fort bis zum letzten «factum brutum»: dem Universum, das ist, was es ist.

Die Geschichte des Wissens über das Universum liesse sich als eine alternierende Folge von solchen Notwendigkeiten und Zufällen schreiben – eine «kosmologische natürliche Auswahl», wie Smolin sie nennt. Was das sein soll, bleibt freilich unklar. Eine Extrapolation des Darwinschen Paradigmas auf das Universum? Spielt sich eine solche Evolution völlig gesetzlos ab, oder ist sie nun wiederum bestimmt von Metagesetzen, die Unger und Smolin an einer Stelle als heiligen Gral der Kosmologie bezeichnen?

Wie auch immer, was uns geliefert wird, ist keine Theorie, sondern die Agenda für eine künftige Theorie: eine «Wiedererfindung der Naturphilosophie» (Unger). Ob sie dazu führen wird, das Buch der Natur neu zu schreiben, liegt in spekulativem Dämmer. Und wenn sie die Idee der Weltformel verabschiedet, warum sollte dann die Idee der Weltevolution vor einem solchen Akt verschont bleiben – könnte nicht auch sie sich als zeitlich im trivialen Sinne herausstellen: als vergänglicher Ehrgeiz von kosmologischen Gralssuchern?

Mehr: www.nzz.ch.

VD: MW

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21 Kommentare
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Grinsekatze5
8 Jahre zuvor

Die Naturgesetze sind ja eh von Menschen gemacht. Der Mensch schaut sich die Natur an, entdeckt Regelmäßigkeiten und Abhängigkeiten. Die schreibt er dann auf. Aber nichts und niemand im Universum kann garantieren, dass diese „Gesetze“ für immer eingehalten werden. Auch Naturwissenschaftler glauben. Nämlich daran, dass ihre Gesetze möglichst lange „halten“, also das tatsächliche Verhalten der Natur vorhersagen können.

Peter
8 Jahre zuvor

Ganz im Sinne des Konstruktivismus: Die Naturgesetze beschreiben, wie uns die Natur erscheint. Sie sind aber nicht die Natur, sondern lediglich Konstrukte.

Rolf Eicken
8 Jahre zuvor

Naturgesetze sind beobachtete Phänomene, deren Auswirkungen dr. Messungen, Berechnungen und Experimente ermittelt wurden und dr. die beschrieben wird, warum der Kosmos so ist wie er ist.

Roderich
8 Jahre zuvor

Das, was naturalistische Denker schwer erklären können ist, dass eine Naturgesetztheorie u.a. zwei Bedingungen erfüllen muss: – Naturgesetze müssen kontingent sein (dürfen nicht eine logische Notwendigkeit sein). D.h. sie werden empirisch entdeckt, nicht durch dasitzen und logisches nachdenken, sondern durch Forschung – Sie müssen absolut regelmäßig sein (immer / überall gelten). Aber wie kann etwas sowohl immer gelten, als auch kontingent sein? Wer oder was ist dieses „etwas“? Ist es überhaupt ein „etwas“, oder gibt es da nur „Regelmäßigkeiten“, denen nichts weiteres zugrundeliegt, also kann man sie reduzieren auf das regelmäßige Verhalten einzelner Dinge? Aus theistischer Sicht kann man das Zusammengehen beider Bedindungen gut erklären: – Gott hat die Naturgesetze einmal festgelegt, und sie gelten überall. – Gott hätte sie theoretisch auch anders festlegen können, insofern sind sie aus unserer Sicht kontingent. Ob Gott nun quasi okkasionalistisch „dauernd eingreift“ (Schöpfer und Erhalter), in jedem Falle des regelmäßigen Verhaltens von Naturdinge, oder ob er nur den generellen „Mechanismus“ geschaffen hat, ist… Weiterlesen »

Markus
8 Jahre zuvor

Naturgesetze sind a priori gar nicht zu erwarten, falls es keinen Gott gibt. Und erst Recht keine Gesetze, die ganz genau auf die Möglichkeit stabiler Atome, einer komplexen Chemie und schließlich Leben zugeschnitten sind. Es ist entsprechend kein Wunder, dass sich das naturwissenschaftliche Denken praktisch nur in der christlichen Welt entwickelt hat.

Francesco
8 Jahre zuvor
Rolf Eicken
8 Jahre zuvor

@Roderich,
wir sind ja gar nicht so weit auseinander. Wenn man Gott mit ins Boot nimmt, wird natürlich alles leichter – unbedingt erforderlich ist das nicht. Die Naturgesetze verändern sich ja auch nicht wirklich; nur die wissenschaftl. Mess-, Berechnungs- und Beobachtungsergebnisse werden immer genauer.
Trotzdem gilt immer noch: „Was beobachtet worden ist, existiert gewiss! Bzgl. dessen, was nicht beobachtet worden ist, haben wir (die Wissenschaftler) jedoch die Freiheit, Annahmen ü. dessen Existenz oder Nichtexistenz einzuführen. Von dieser Freiheit macht die Wissenschaft dann denjenigen Gebrauch, der nötig ist, um Pardoxien zu vermeiden.“
Sie steht damit dem Positivismus nahe, da sie Machs Forderung berücksichtigt, keine „Dinge“ hinter den Phänomenen „zu erfinden“.
Einstein hat einige „Dinge“ richtig vorhergesagt, ohne sie beobachtet zu haben, weil sie, s.o., einfach aufgrund seiner sonstigen, umfassenden Erkenntnisse so sein mussten.
FG
Rolf

Peter
8 Jahre zuvor

https://en.wikipedia.org/wiki/Talk:Ali_Qushji
Bevor man auf wikipedia verlinkt, sollte man die jeweiligen Diskussionen/Talks dazu lesen. Bei den wenigsten moslemischen Wissenschaftler gibt es stichhaltige und fundierte historische Belege. Und wo es welche gibt, haben diese in einem nicht-moslemischen Land gelebt 😉

vg
Peter

Francesco
8 Jahre zuvor

Während die islamische Welt die Hände nach den Sternen des Wissens ausstreckte und sich dem Licht der Erkenntnis zuwandte, verharrte das christliche Abendland in Finsternis.

Roderich
8 Jahre zuvor

@Rolf,

„keine „Dinge“ hinter den Phänomenen „zu erfinden“.

Erfinden nicht. Aber mit vernünftigen Gründen schließen – durchaus.

@Francesco,
wenn der Islam so brilliant ist, warum gibt es dann so wenig Fortschritt in den islamischen Ländern heute? (Thema „Schlusslicht“ und „Stagnation“). (David Landes hat ein Buch dazu geschrieben: „Wohlstand und Armut der Nationen“).

Francesco
8 Jahre zuvor

@ Roderich Roter Hering. Markus hat behauptet „Es ist entsprechend kein Wunder, dass sich das naturwissenschaftliche Denken praktisch nur in der christlichen Welt entwickelt hat.“

Rolf Eicken
8 Jahre zuvor

@Roderich
wir sind uns also einig; denn das hatte ich mit :Einstein hat einige Dinge richtig vorhergesagt – soll heißen- die richtigen Schlüsse gezogen, gemeint.
MfG
Rolf

Roderich
8 Jahre zuvor

@Francesco,
Markus meinte, glaube ich, die neuzeitliche naturwissenschaftliche Revolution, die in Europa stattfand.
Ja, die Islamische Welt kam durch ihre gewaltsamen Eroberungen in Besitz antiken und christlichen Gedankenguts. (Und hatte gewiss auch ein paar eigene Lichtblicke).
Trotzdem bleibt die Frage relevant: „Wenn der Islam so brillant ist, warum gibt es dann so wenig Fortschritt in den islamischen Ländern heute?“
Sind das rein kontingente Faktoren? (Während die kurze Blütezeit des Islams natürlich aus der Natur des Islam selber zu erklären ist?) Oder wird der Islam in den stagnierenden Ländern einfach nicht richtig praktiziert? (Saudi Arabien als Musterbeispiel: das strengste Islamische Land, aber lebt nur auf Basis des Öl-Reichtums).

Markus
8 Jahre zuvor

Warum hat sich die Wissenschaft auf Basis des Christentums ausgebildet, nicht aber auf Basis des Islams? Ich vermute, weil der Islam vernunftfeindlich ist. Die Verbreitung geschah entsprechend mit Gewalt (oder manchmal mit List), nicht mit Argumenten (die es nicht gibt). Mohammed war nicht einmal fähig, den christlichen Glauben halbwegs angemessen zu verstehen bzw. widerzugeben. Er dachte Dreieinigkeit sei zwischen Vater, Sohn und Maria. Er verstand das Konzept „Sohn Gottes“ schlicht und einfach nicht usw. Anfangs sollte man auf „die Leute des Buches“ (Juden, Christen) hören, dann wurden sie verfolgt und es wurde zu Propagandazwecken die (nachweisliche) Unwahrheit verbreitet, die Bibel sei gefälscht worden. Interessant z.B. eine Debatte von J. White mit einem muslimischen Gelehrten: https://www.youtube.com/watch?v=k1T7AuTbv3E Ganz anders die Autoren der Bibel. So schreibt Lukas: „so schien es auch mir gut, der ich allem von Anfang an genau nachgegangen bin, es dir der Reihe nach zu beschreiben, vortrefflichster Theophilus, damit du die Gewißheit der Dinge erkennst, in denen du unterrichtet worden… Weiterlesen »

Francesco
8 Jahre zuvor

„Ich vermute, weil der Islam vernunftfeindlich ist.“
Der Prophet Muhammad, auf dem der Friede und Segen Gottes sei, antwortete auf die Frage nach einem Heilmittel für Ignoranz: „Frage und lerne“.

https://www.youtube.com/watch?v=Hf62zfjHVjg

Francesco
8 Jahre zuvor

„Warum hat sich die Wissenschaft auf Basis des Christentums ausgebildet, nicht aber auf Basis des Islams?“ „It is often claimed that what we define as the modern scientific method wasn’t established until the European Renaissance, by the likes of Francis Bacon and René Descartes in the 17th century. But dig a little into history that is not so blatantly Eurocentric and you find that in fact all the ingredients of the scientific method –investigating phenomena, acquiring new knowledge, correcting and integrating previous knowledge based on the gathering of data through observation and measurement, followed by the formulation and testing of hypotheses to explain the data – there is no doubt that this actually began 600 years earlier in Iraq, thanks to an incredible genius called Ibn al-Haytham (known in the West by his Latinized name Alhazen).“ Professor Jim Al-Khalili in the Conference Muslim Heritage in our World: Social Cohesion marking the 1001 Inventions Exhibition at the House of Parliament, 15th… Weiterlesen »

Francesco
8 Jahre zuvor

„Interessant z.B. eine Debatte von J. White mit einem muslimischen Gelehrten:“

Zakir Hussain ist meines Wissens nach kein muslimischer Gelehrter. Er ist autodidaktischer Apologet.

Francesco
8 Jahre zuvor

@ Markus „… und es wurde zu Propagandazwecken die (nachweisliche) Unwahrheit verbreitet, die Bibel sei gefälscht worden.“

„Pseudepigraphische Literaturproduktion betrifft große Teile des Neuen Testaments. Pseudonyme bzw. anonyme Werke sind keine Ausnahmen, sondern die Regel. Nur die orthonymen Paulusbriefe und eventuell die Johannesapokalypse gelten als echt; alle anderen Schriften bewegen sich zwischen anonymen und pseudonymen Verfasserfiktionen.“ Quelle: Bibelwissenschaft.de, das wissenschaftliche Bibelportal der Deutschen Bibelgesellschaft

Peter
8 Jahre zuvor

Es gibt seriöse Quellen und andere. Es gibt extrem bibelkritische Quellen und andere. Du wirst über Google sicherlich auch andere Meinungen gefunden haben, wie z. B. Eta Linnemann.

Francesco
8 Jahre zuvor

Die Deutsche Bibelgesellschaft extrem „bibelkritisch“? Nun gut. Ich würde sagen es gibt unvoreingenommene, wissenschaftlich fundierte, mehrheitsfähige Positionen und es gibt glaubensgesteuerte extreme Positionen. Man beachte, dass sich die qur’anische Kritik mit der ersten Position deckt – obwohl „der Islam vernunftfeindlich ist“ und „keine Argumente“ (wirklich keine?) hätte – laut Markus.

Peter
8 Jahre zuvor

Die Deutsche Bibelgesellschaft extrem „bibelkritisch“? Wer behauptet denn so etwas? Dann bleiben wir doch mal bei Eta Linnemann. Du kennst sicherlich das Buch „Einleitung in das Neue Testament“ von Udo Schnelle. Er beschreibt das, was du oben in deinem Kommentar erwähnst. E. Linnemann hat die Argumente bez. falscher Autorenschaft nachgeprüft. Die Behauptung, was Wortschatz etc. betrifft, konnten nicht belegt werden. Linnemann ist bei ihren Wortanalysen wissenschaftlich fundiert vorgegangen und kam trotzdem zu anderen Ergebnissen. Aber sie war gläubig. Gut – also ein anderes Beispiel. Schnelle schreibe, dass alle Evangelien nach 70 n. Chr. geschrieben worden sein müssen (1). John A. T. Robinson (kritischer Theologe) kommt aufgrund seiner wissenschaftlich fundierten Untersuchung zu einem anderen Ergebnis: Alle Evangelien müssen (1) vor 60 n. Chr. geschrieben worden sein. Wenn du also solche Sätze wie „Pseudepigraphische Literaturproduktion betrifft große Teile des Neuen Testaments.“ hier ‚raushaust‘, solltest du dir bewusst sein, dass das eine spezielle Ansicht ist, die weder von allen Theologen in Deutschland so… Weiterlesen »

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