Baudrillard: Im Schatten der schweigenden Mehrheiten

41UmTa5TduL._SL160_.jpgJean Baudrillard schrieb mit Der symbolische Tausch und der Tod ein Hauptwerk der Postmoderne. In seiner Medienkritik betonte er stets, dass die Bilder der Wirklichkeit mächtiger seien als die Wirklichkeit selbst. Mit seiner Theorie von der Herrschaft des Signifikanten über das Signifikat (»Simulation«) beeinflusste er auch Größen der Pop-Kultur, zum Beispiel die Rockband U2 (z.B. bei »Even Better Than the Real Thing«, siehe hier).

Thomas Assheuer schrieb in seinem Nachruf »Der letzte Prophet« über Jean Baudrillard:

Wenn es Jean Baudrillard nicht gegeben hätte, dann wäre die Welt um ein Epochengefühl ärmer gewesen. Nichts verbindet sich mit seinem Namen mehr als die Vorstellung von der »Postmoderne«, der Zeit nach dem Ende der Zeiten und dem Abschied von der Geschichte. Die Rede von der Postmoderne war die suggestive Zauberformel der achtziger Jahre, und sie hat die Köpfe verhext wie kaum eine zweite. Postmoderne hieß für Baudrillard: Die Zivilisation hat ihren Siedepunkt überschritten, von nun an wird sie erkalten. Sie tritt auf der Stelle, und es wird viel passieren, aber nichts mehr geschehen. Die Ereignisse finden nicht mehr statt, und wenn, dann nur noch als Simulation auf dem Bildschirm. In der neuen Ära, der Ära der Nachgeschichte, gibt es weder Wahrheit noch Politik. Nietzsche, so Baudrillard, habe sich noch mit dem Tod Gottes herumgeschlagen; wir, die endgültig Modernen, aber hätten es mit dem Verschwinden der Geschichte und dem Ende der Politik zu tun. Die Achtundsechziger waren die letzte Zuckung im historischen Lauf der Dinge, danach begann die »Agonie des Realen«, die »große Absorption«, das elende Verschwinden.

Nun ist nach gut dreißig Jahren erstmals auf Deutsch Jean Baudrillards massenkritisches Werk Im Schatten der schweigenden Mehrheiten erschienen.Thomas Thiel schreibt in seiner Rezension für die FAZ:

Die Geschichte der Massen kennt nur eine kurze Phase der Euphorie. Taub für den geschichtlichen Appell, resistent gegenüber den marxistischen Versuchen, sie zum revolutionären Subjekt zu machen, sank die Masse bald wieder zurück ins Unförmige und Verachtete. Unter dem Eindruck neuer Medien ist ein neues Lob des Massenhaften ausgebrochen, das digital belebten Kollektiven eine eigene Form der Intelligenz attestiert und die überall mitmachende, sendende, kommentierende Masse als Hoffnungsträger egalitärer Utopien feiert.

Im Reich der unzähligen Sender, Freunde und Gesprächspartner herrscht die Tendenz, Quantität als Qualität zu bewerten. Wenn das Ausgezeichnete schon nicht in die Masse diffundiert, dann kann Quantität immerhin – Stichwort Emergenz – in Qualität umschlagen. Demgegenüber dräut mehr und mehr das Bewusstsein, dass auch die digitale Utopie der von ihr produzierten Masse erliegen könnte.

Das Buch:

  • Jean Baudrillard: Im Schatten der schweigenden Mehrheiten oder das Ende des Sozialen, Verlag Matthes & Seitz Berlin, Berlin 2010. 160 S., 14,80 €.

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