David Hume: Der Metaphysik das Rückgrat brechen

180px-David_Hume.jpgDer Schotte David Hume (1711–1776) führte ein Leben an der Seite vieler hochgestellter Persönlichkeiten und lernte auf seinen ausgedehnten Reisen auch die französischen Enzyklopädisten einschließlich Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) kennen.

Hume konzentriert seine kritischen Arbeiten besonders auf die scholastische Metaphysik, da sie durch Eitelkeit und Aberglaube angestoßen und verdorben sei. Der Mensch ist für ihn ein vernünftiges Wesen und empfängt seine geistige Nahrung nicht von der Moral, sondern von der strengen Philosophie, von der Wissenschaft. Um Wissenschaft in diesem Sinne treiben zu können, sei »eine ernstliche Untersuchung der Natur des menschlichen Verstandes« notwendig. Hume schreibt weiter (Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, S. 10):

Wir müssen uns dieser Mühe unterziehen, um nachher für alle Zeiten in Ruhe leben zu können. Wir müssen die echte Metaphysik mit einer gewissen Sorgfalt pflegen, um die unechte und verfälschte zu zerstören.

Falsche Metaphysik entsteht dort, wo der Verstand in »Gegenstände eindringen will, die entweder dem Verstand unzugänglich oder das Werk eines listigen Aberglaubens sind«. Wenn der Verstand die Grenzen seiner Reichweite achtete, könne ernste Wissenschaft zu verlässlichen Ergebnissen kommen. Hume fordert also eine Vernunftkritik, die über die der deutschen Aufklärung hinausgeht. Das erkennende »Ich« ist für Hume nur imstande, Eindrücke von der Außenwelt aufzunehmen und auszuwerten. Es gibt keine Ideen, die der Erfahrung vorausgehen. Unsere Ideen sind immer das Ergebnis verarbeiteter Erfahrung. Wir können keine Erkenntnis über etwas haben, was über unsere Erfahrung hinaus geht (z.B. Gott).

Auch wenn wir hier nicht tiefer in Humes Wissenschaftsbegriff einsteigen können, seien zwei Konsequenzen aufgezeigt.

Die erste Konsequenz seiner Anschauung ist der sogenannte Psychologismus. Für die Philosophen der Antike und ebenso für große Denker der Neuzeit, wie z. B. Locke, korrespondierte das Denken mit einem Gegenüber, mit »einer Welt da draußen«. Hume versubjektivierte das Denken radikal und verlegte es ganz in die Psyche. Bei Hume bleibt nur der Mensch. Erfahrungssätze, zum Beispiel die der Naturwissenschaften, entstehen im Kopf des Menschen. Naturgesetze sind nicht irgendwelche Regelmäßigkeiten in unserem Sonnensystem, sondern Gedankenverbindungen, die durch Gewohnheit den Eindruck erwecken, Gesetze zu sein.

Das führt zwangsläufig zu einer zweiten Konsequenz, dem Skeptizismus. Gesetzmäßigkeiten wie das Gesetz vom freien Fall sind nur menschliche Erfahrungswerte. Erlebtes, zum Beispiel die Erfahrung, dass ein Apfel nach unten fällt, wenn ich ihn loslasse, weckt in uns einer Erwartungshaltung. Das Problem dabei ist, das diese Erfahrungssätze keine Grundlage für sicheres Wissen sein können (Induktionsproblem). Solange ich lebe, mache ich die Erfahrung, dass die Sonne morgens aufgeht. Aber ich habe keine Gewissheit dafür, dass dies auch morgen so sein wird. Dass die Sonne wieder aufgeht, weiß ich nicht, aber es ist wahrscheinlich. Hume operiert in seiner Erkenntnistheorie mit den Begriffen Wahrscheinlichkeit und Glaube (belief). Wissenschaftlichkeit unterscheidet sich von Unwissenschaftlichkeit durch den Grad des Glaubens. Bewährte Erfahrungssätze finden ihren angemessenen Ausdruck in von Menschen formulierten Gesetzen.

Hume war überzeugt, mit seiner Kritik der alten Metaphysik das Rückgrat gebrochen zu haben. Der Schlusssatz der Untersuchungen über den menschlichen Verstand lautet entsprechend (Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, S. 153):

Wenn man, von solchen Grundsätzen erfüllt, die Bibliotheken durchsieht, welche Verwüstung müsste man darin anrichten? Nimmt man z. B. ein theologisches oder streng metaphysisches Werk in die Hand, so darf man nur fragen: Enthält es eine dem reinen Denken entstammende Untersuchung über Grösse und Zahl? Nein. Enthält es eine auf Erfahrung sich stützende Untersuchung über Thatsachen und Dasein? Nein. Nun, so werfe man es ins Feuer; denn es kann nur Spitzfindigkeiten und Blendwerk enthalten.

Damit kann Hume zu Recht als der Vater des neuzeitlichen Empirismus und Positivismus bezeichnet werden. Sein Ansatz unterbrach nicht nur den dogmatischen Schlummer bei Immanuel Kant (Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, S. 9), sondern hatte auch immense Auswirkungen für die Religionsphilosophie. Im Rahmen seiner Erkenntnistheorie kann es keine metaphysische Grundlage für eine göttliche Offenbarung geben. Jedes »religiöse Apriori« kann für Hume nur ideologische Setzung sein. Alles, was wir haben, sind Erfahrungen. Diese Erfahrungen sind nicht aus einer transzendenten Wirklichkeit abzuleiten, sondern durch und durch menschlich. Religion ist für ihn nichts anderes, als ein Gefühl, das hilft, das menschliche Leben angenehmer zu machen. Religion erfüllt eine Schutzfunktion. Sie entzieht sich dem rationalen Diskurs und ist ein nur psychoanalytisch auszuwertendes Phänomen. Feuerbach, Marx oder Freud konnten an dieser Religionskritik anknüpfen.

Heute gilt dieser Psychologismus als überwunden (vgl. z.B. Hegel, Husserl, Feyerabend o. Quine). Erkenntnis ist zwar an psychische und physiologische Prozesse gebunden, sie ist aber nicht mit diesen identisch (und somit auch nicht auf diese reduzierbar). Die Psychologie des 20 Jahrhunderts hat erkannt, dass die von den Empiristen behaupteten elementaren Sinneseindrücke oder Empfindungen, aus denen sich die Wahrnehmungen zusammensetzen, gar nicht gibt, da unsere sinnliche Aufnahmen bereits durch Erkenntnisinteressen und metaphysischen Voraussetzungen (z.B. der Annahme eines »Ich«) geleitet sind. Wahrnehmung wird im Lichte vorhandener Konzepte oder Fragen interpretiert.
Horkheimer hat mit seiner Positivismuskritik Recht (Zur Kritik der instrumentellen Vernunft, S. 84):

Die durch quantitative Methoden ermittelten sogenannten Tatsachen, welche die Positivisten als die einzig wissenschaftlichen zu betrachten pflegen, sind oft Oberflächenphänomene, die die zugrundeliegende Realität mehr verdunkeln als enthüllen.

Um so merkwürdiger, dass viele prominente Religionskritiker (ich denke an Richard Dawkins & Co.) in der Tradition des Positivismus stehen und uns von dieser »Oberflächenperspektive« aus den tieferen Sinn unseres Lebens sichtbar machen und uns erklären, wer und was wir sind (oder zu sein haben).

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