Das undogmatische Christentum des Adolf von Harnack

Harnack.jpegDa Adolf von Harnack heute eher selten gelesen wird, übersehen wir schnell, dass Thesen Harnacks und des theologischen Liberalismus unter (irgendwie) Frommen derzeit eine Renaissance erfahren.

Harnack behauptete, dass die christlichen Dogmen Ausdruck des griechischen Geistes im Raum der Kirche seien (Nietzsche meinte ähnlich: »Christentum ist Platonismus für’s Volk«). Sein vielleicht berühmtester Satz besagt deshalb, dass das dogmatische Christentum (die Dogmen) »in seiner Konzeption und in seinem Ausbau ein Werk des griechischen Geistes auf dem Boden des Evangeliums ist« (z.B. Dogmengeschichte, 5. Aufl., S. 4).

Der Aussagegehalt christlicher Dogmen lässt sich nach Harnack nicht aus der Heiligen Schrift ableiten. Der Weg vom Wort zum Dogma wird als eine Geschichte des Abfalls von der ursprünglichen Höhe des Evangeliums beschrieben. Durch den Prozess der Dogmatisierung und die Inanspruchnahme metaphysischer Begriffe verschmolz das ursprüngliche Evangelium mit der hellenistischen Philosophie.

Die Glaubenssätze gehören für Harnack damit der Vergangenheit an und an die Stelle des Dogmas tritt das innere Erlebnis, das dem Wort Gottes entspricht (vgl. Das Wesen des Christentums, 1950, S. 160). Das Wesen des christlichen Glaubens liegt weder im kirchlichen Bekenntnis noch in der Botschaft von Jesu Kreuzigung und Auferstehung, sondern in der Verkündigung vom lebendigen Gott. Dem Gehalt des Evangeliums entsprechen der Glaube an Gott den Vater, der Wert jedes einzelnen Menschen und die Nächstenliebe.

Hauptstück der Verkündigung Jesu ist eine Sittlichkeit, die diese Welt als ihr eigentliches Arbeitsfeld in den Blick bekommt. Theologie muss sich daran messen lassen, ob sie der Gegenwartskultur verständlich ist und diese befördert. In einer seiner Vorlesungen, die der geniale Harnack übrigens meist frei hielt, sagte er (Siebente Vorlesung, zitiert nach Zahn, Die Sache mit Gott, S. 13):

Es ist ein hohes, herrliches Ideal, welches wir von der Grundlegung unserer Religion her erhalten haben, ein Ideal, welches unserer geschichtlichen Entwicklung als Ziel und Leitstern vorschweben soll. Ob die Menschheit es je erreichen wird, wer kann es sagen? Aber wir können und sollen uns ihm nähern, und heute fühlen wir bereits – anders als noch vor zwei- oder dreihundert Jahren – eine sittliche Verpflichtung in dieser Richtung, und die zarter und darum prophetisch unter uns Empfindenden blicken auf das Reich der Liebe und des Friedens nicht mehr wie auf eine bloße Utopie.

Wohin der Kulturprotestantismus geführt hat, wissen wir. Als Harnack 1914 zusammen mit 93 anderen Intellektuellen (darunter auch Adolf Schlatter, Ernst Haeckel oder Adolf Deissmann) das so genannte »Manifest der Intellektuellen« unterzeichnete und damit die Kriegspolitik des Kaisers stützte, wurde Karl Barth aus seinem theologischen Schlummer geweckt (»… bemerkte ich, … daß die Theologie des 19. Jahrhunderts jedenfalls für mich keine Zukunft mehr hatte.«).

Die Kirchen- und Dogmengeschichtlerin Gury Schneider-Ludorff stellt uns in einem kurzen Gespräch mit dem Deutschlandradio wichtige Eckpunkte der Theologie Harnacks vor:

[podcast]http://podcast-mp3.dradio.de/podcast/2010/10/26/dlf_20101026_0949_38157056.mp3[/podcast]

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10 Kommentare
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Alexander
13 Jahre zuvor

Zu Harnack gäbe es viel zu sagen, und ich habe meine andernorts geplante Serie nicht ausführen können. Er wusste wenigstens noch, von *welchen* Dogmen er sich abwandte – im Unterschied zu vielen heute „(irgendwie) Frommen“.
Weil Du auch Deissmann erwähnt hast, muss man zu dessen Verteidigung sagen, dass in Deissmann wahrscheinlich bereits einen Monat nach der Veröffentlichung des „Manifestes der 93“ Zweifel an der deutschen Kriegspolitik ausbrachen. Diese Zweifel müssen sich im Laufe der ersten Kriegsjahre verstärkt haben und es scheint so, dass er spätestens seit 1916 eine völlig konträre Position vertrat und den Einmarsch in Belgien als moralische Schuld ansah. Er konnte sich dazu aber erst nach der Abdankung des Kaisers und der Aufhebung der Zensur öffentlich äußern. Dazu Albrecht Gerber: Deissman the Philologist (2010) 235-243.

13 Jahre zuvor

Tja. Der Kulturprotestantismus macht sich auch heute wieder breit. Heute heißt er Tee-Protestantismus und scheppert über den Teich hinweg. Ein neuer Karl Barth mit einem lauten NEIN täte uns gut.

13 Jahre zuvor

@kapeka: Ich denke, es nützt nichts auf ein NEIN von hier oder dort zu warten, jeder von uns muss es klar und deutlich aussprechen!

13 Jahre zuvor

: Vielleicht schaut man zuerst dorthin, wo man herkommt. Aber du hast Recht. Wenn ich auf die andere Seite schaue, dann macht mir auch vieles Sorge, was im Rahmen von Emergent etc. formuliert wurde … Das sind ähnliche Tendenzen aus ganz unterschiedlichen Richtungen.

13 Jahre zuvor

[…] Als Theologe wurde er durch seinen großen Forschungsbericht zur Leben-Jesu-Forschung (1906 u. erweitert 1912) und seine Untersuchungen zum Apostel Paulus bekannt (1930). Konsequent vertrat Schweizer die Auffassung, dass der historische Jesus sich in der Erwartung täuschte, dass Kommen des Reiches Gottes stünde unmittelbar bevor. Während die eschatologische Hoffnung auf ein hereinbrechende Himmelreich damit ein für allemal erledigt sei, bliebe für die Christen die Aufgabe, an der sittlichen Vollendung des Reiches Gottes in dieser Welt mitzuwirken (vgl. dazu auch Adolf von Harnack). […]

Johannes Petrus
11 Jahre zuvor

Oh! oh! oh!
was muss ich da lesen!
Hola! hola!
Der Artikel von Harnack fängt ganz gut an. Ja, die Dogmen sind geschichtlich gewachsen etc.etc. Aber das, was der Autor dann weiterführt, das geht gar nicht. Denn, was heisst: Jesus Christus (schon der Name ist ein Bekenntnis und ein Dogma!!!!) ist auferstanden (auch das wiederum ist ein Dogma!!!)? Also passt mal schön auf!
Und auf das innere Erleben würde ich auch nicht allzu viel geben. Das ist religiöse Romantik und Gefühlsdusseligkeit und hat mit Christentum wenig zu tun.

11 Jahre zuvor

[…] Adolf von Harnack (1851–1930) war international der bedeutendste Vertreter des liberalen Protestantismus. Sein Hauptwerk Das Wesen des Christentums gilt bis heute als Grundschrift liberaler kulturprotestantischer Theologie (vgl. auch: Das undogmatische Christentum des Adolf von Harnack). […]

Marwin
10 Jahre zuvor

Hallo.
Dogmen sind wohl Lehren. Ich bezweifle ob wir alle das selbe unter „Dogmen“ verstehen. Harnack hat ja klare Lehre gegeben wenn er sagt, dass „Dem Gehalt des Evangeliums entsprechen der Glaube an Gott den Vater, der Wert jedes einzelnen Menschen und die Nächstenliebe.“ Ich bin ja nicht sehr gut informiert über den Harnack, aber mein erster Eindruck ist, dass er meint, all die Dogmen (Lehren, Behauptungen und zusätzliche Erklärungen) die wir Christen zum Evangelium dazu schreiben, weil wir meinen, „so wird es verständlich“ und im Grunde betonen wir unsere Glaubensrichtung (Denomination) anstatt den Kern des Evangeliums „Liebe Gott von ganzem Herzen und mit allem was du bist und hast und deinen Nächsten“ zu betonen, zu unterstreichen und zu leben. Lasst uns auf die Bibel bauen und hauptsáchlich auf die Worte und das Leben Jesu.!!!!!!!!

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