Die Neue Bachperspektive

Bach„Johann Sebastian Bach war bekennender Anhänger Luthers“, schreibt Rainer Balcerowiak für CICERO, und natürlich auch Anhänger „dessen haarsträubendem Antijudaismus“. Über eine Bachausstellung, die noch bis zum 6. November im Bachhaus Eisenach zu sehen ist, heißt es:

Anhand von Bildern, Texten und anderen Exponaten aus fünf Jahrhunderten wird dort das Spannungsfeld zwischen Protestantismus, Bachs Werk und dessen Rezeptionsgeschichte umfassend beleuchtet.

Für Jörg Hansen, Direktor des Bachhauses und Kurator der Ausstellung, führt kein Weg an der Auseinandersetzung mit den „dunklen Flecken“ in Bachs Lebenswerk vorbei. „Bach war strammer Lutheraner. Das heißt, die antijüdischen Aussagen, also die Betonung des Judentums als negatives Beispiel für die christliche Gemeinde – das ist das, was Bach auch in seinen Passionen ausgedrückt hat.“

Dabei bezog er sich direkt auf Luther, der unmissverständlich die Vertreibung und Vernichtung der Juden als einzige Lösung für das Christentum forderte. Deutlich wird dies vor allem in zwei der kirchenmusikalischen Hauptwerke des Komponisten, der Matthäus- und der Johannes-Passion. Sie sind nicht einfach Vertonungen der antijudaischen Botschaften der Evangelien, sondern nach allen Regeln der Tonsatzkunst – die Bach in seiner Zeit wie kein Zweiter beherrschte – gestaltete Werke mit enorm emotionalisierender Wirkung.

Gewiss, antisemitsche Verfolgungen gab es schon vor Bachs Zeit. Bereits im 16. und 17. Jahrhundert sind unzählige Judenprogrome dokumentiert, die unmittelbar nach Passionsaufführungen stattfanden.

Etwas konkreter wird ein Beitrag des DEUTSCHLANDFUNKS, da hier die Beweise für den Antijudaismus Bachs angeführt werden:

Dagegen ist die Quellenlage für Bachs Antijudaismus – wie überhaupt zu seinem Leben – nicht so üppig. Da sind einerseits Hinweise aus seiner Privat-Bibliothek. Sie beinhaltete explizit judenfeindliche Schriften. Die Ausstellung zeigt ebenso, dass Bach in seiner Bibel genau jene Stellen angestrichen hat, auf die sich jene berufen, die von einer vermeintlichen jüdischen Verstocktheit ausgehen. Jörg Hansen: „Dort sagt der Kommentar, dass das sich auf die im Unglauben verharrenden Juden bezieht, die entsprechend der Vorhersage im Alten Testament nun schon 1500 Jahre – so bei Luther – 1500 Jahre im Exil und Elende ausharren müssen, als Strafe für ihren Unglauben. In dem Calov-Kommentar ist die Zahl dann schon auf 1600 Jahre korrigiert, und Bach korrigiert dann noch in seiner Ausgabe handschriftlich das Datum auf 1700 Jahre.“

Kommen wir zum überzeugendsten Beweis für die Judenfeindlichkeit Johann Sebastian Bachs. Jörg Hansen, der Direktor des Bachhauses und Kurator der Ausstellung also, sagt:

„Die Turba-Chöre, „wild-dämonisch“ nannte die Philipp Spitta, anderes Zitat dazu von Philipp Spitta ist, „fanatischer Haß in verschiedenfarbigsten Schattierungen“, die Turba-Chöre „Kreuzige Barrabam, „sein Blut komme über uns und unsere Kinder“ – die sind halt sehr kraftvoll und in der Charakterisierung chromatisch-dissonant, perfide obstinat; das ist eine Charakterisierung des verstockten Unglaubens. Dagegen hat Bach gesetzt: Die schönen Arien und die Choräle, die den Christenglauben der Gemeinde und die individuelle Reue darstellen. Bachs Passionen gewinnen ihre Aussage aus diesem Gegensatz, und ihre Attraktivität. Das ist ja dieses Mitfiebern, wenn man die Musik singt oder hört: Man hat diese aufwühlende Erzählung durch den Evangelisten mit den turbulenten Chören dazwischen, „Ach, jetzt fängt da schon wieder eine Arie an!“ Dann ist diese Arie „Erbarme dich!“ so schön; man möchte gar nicht, dass sie endet, „und jetzt müssen da wieder die blöden Juden brüllen!“ Also, das ist dieser Gegensatz, aus dem diese Musik ihre unglaubliche Dynamik gewinnt; und das ist ein ganz lutherischer Gegensatz: Die Juden sind das Negativbeispiel für Unglauben – verstockt verharrende Sünder. Die Christen bereuen ihre Sünden, und im Glauben erfahren sie die Gnade Gottes!“

Hansen übt sich auch noch als theologischer Analyst, indem er einen Grund für Bachs Fundamentalismus anführt:

Jörg Hansen empfiehlt, immer die Entstehungszeit mitzudenken, den Kontext der lutherischen Theologie, die keine Quellenkritik kannte, sondern nur die Bibel als das authentische Wort Gottes.

Ich kann nur hoffen, dass nach meinem Tod niemand an die falsche Regale gerät: „Er muss ein fanatischer Anhänger Nietzsches gewesen sein. In seiner Bibliothek sind sämtliche Schriften zu finden, samt einiger Biographien. Die Sympathien mit dem linken Faschismus sind ebenfalls unverkennbar, denn eine Werkausgabe Lenins haben wir auch entdeckt.“ Und dann die vielen Markierungen in meinen Bibeln. Ich darf gar nicht dran denken …

Die Ausstellung ändert alles. Es gibt ein nach und ein vor Eisenach 2016. Die Geschichte von Bach bis Hitler muss umgeschrieben werden. Wäre es angesichts dieses überwältigenden Befundes nicht an der Zeit, ein Forschungsprogramm mit dem Titel „Die Neue Bachperspektive“ zu eröffnen?

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16 Kommentare
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Lillebror
7 Jahre zuvor

Ich komme da am Schluss durcheinander. Von wem stammt die Aussage: „Ich kann nur hoffen, dass nach meinem Tod niemand an die falsche Regale gerät“? Und WER „muss ein fanatischer Anhänger Nietzsches gewesen sein“? Jörg Hansen? Bach ja wohl nicht…

Um welche „explizit judenfeindliche Schriften“ in Bachs Bibliothek handelt es sich denn? Und woher kennt man denn die Bibliothek Bachs? ich dachte immer, über Bachs Hab und Gut ist bis heute nicht so viel bekannt…?

Die Behauptung, die „wild-dämonischen“ Passagen und der musikalisch dargestellte „fanatischer Haß“ in den Passionen deute auf den Antijudaismus des Komponisten hin, halte ich für sehr weit hergeholt. Tatsächlich ist es ja nach den Evangelien Hass, den die damaligen Juden Jesus entgegenbringen. Was liegt da näher, als es genau so auch musikalisch darzustellen? Ich wäre da vorsichtig, Bach aufgrund dieser Punkte Antijudaismus anzuhängen.

Roderich
7 Jahre zuvor

Die Bibel selber ist ja nicht antisemitisch oder antijüdisch (Jesus und die Apostel waren alles Juden).
Klar, viele Juden haben Jesus abgelehnt, und das wird in den Evangelien und der Apostelgeschichte auch so beschrieben, und das darf Bach auch vertonen.

Luther war auch nicht antisemitisch, sondern „nur“ antijudaistisch. (Ohne nun alle seine Ausfälle rechtfertigen zu wollen).

Zu sagen, Juden seien „verstockt“, ist ja aus christlicher Sicht wahr, denn aus christlicher Sicht ist Jesus der einzige Weg, und Jesus wurde als Messias zu den Juden gesandt und viele haben ihn abgelehnt. Aber auch Atheisten sind „verstockt“. (Und viele Christen sicher auch, was die wirkliche Erkenntnis Gottes angeht).

ernst
7 Jahre zuvor

Dass nun auch der ´fünfte Evangelist´, wie J.S.BACH zuweilen genannt wurde, ebenfalls der Judenfeindlichkeit geziehen wird, war fast zu erwarten, in diesem ´Lutherjahr´ voller Denk- und Merkwürdigkeiten! Wer aber die „Turba-Chöre“ einerseits oder die „schönen Arien“ andererseits mithilfe ausgesuchter Zitate als Belege eines Antijudaismus lesen will und -selbstverständlich- darin einen „ganz lutherischen Gegensatz“ zu erkennen glaubt, dem ist wirklich nicht zu helfen, auch wenn er das Bach-Haus in Eisenach leitet. Was sind das bloß für Zeiten, wenn irgendein Kustos sich berufen wähnt, das Werk dieses einzigartigen Kirchenmusikers und Christen aufgrund vermeintlich jüngster Erkenntnisse oder quellenkritischer Ansätze einer neuen Bewertung zuzuführen? Nichts gegen solide fachliche Diskussion, aber was sich als wissenschaftlich-kritischer Ansatz auftakelt, offenbart am Ende oft nicht mehr als die (selbst)gefällige Eitelkeit derer, die das thematisch wiederkäuen, was der Mainstream gern hört, den Hochmut derer, die alles wissen, aber nichts verstehen. Ich möchte den Chorsänger sehen, der das nachvollziehen kann, was Hansen über Bach schreibt. Wer einmal von der Musik… Weiterlesen »

Johannes Strehle
7 Jahre zuvor

Ron hat wieder die Zeichen der Zeit erkannt. Höchste Zeit für die Neue Bachperspektive. Und dann der prophetische Ausblick auf die Neue Ronperspektive. Da die Bibel, was nur durch ihre Entstehungszeit zu entschuldigen ist, die Maßstäbe Gottes an den Menschen anlegt, enthält sie unglaublich viele wenig schmeichelhafte Aussagen, ja sogar Urteile über die Menschen im Allgemeinen und Israel und die Juden im Besonderen. Das gilt selbstverständlich auch für die Bibel der Juden. Und im sog. Neuen Testament werden selbstverständlich auch die Christen nicht geschont. Es ist wirklich Zeit-gemäßer, die Maßstäbe der christlichen Nächstenliebe an Gott anzulegen, zumal er auch die Ausstellungsmacher höchst unchristlich beurteilt. „Zugrunde richten werde ich die Weisheit der Weisen, und das Verstehen der Verständigen werde ich verwerfen.“ Das zitiert der Israeli Paulus aus der Bibel der Juden. Hatten die Juden etwa eine Phobie vor Intellektuellen? Wir müssen, wie gesagt, die Entstehungszeit berücksichtigen. Schließlich konnte Jesaja die diskriminierungsfreie christliche Nächstenliebe noch nicht kennen. Die christliche Nächstenliebe ist allerdings… Weiterlesen »

schandor
7 Jahre zuvor

Die neue Ronperspektive 🙂

Die gibts auch schon?

Jetzt sind schon unsere Naturgesetze nur deskriptiv,
da wollen wir aber schon was Bleibendes haben!

🙂

7 Jahre zuvor
Johannes
7 Jahre zuvor

Man sollte Bach weder zum Heiligen machen noch ihn dämonisieren. So wie es die Bibel mit ihren Glaubenshelden – Jesus als einziger sündloser Mensch ausgenommen – auch tut. Irgendeine dunkle Seite findet sich immer, wenn man nur intensiv danach sucht. Der perfekte Ehemann war Bach wohl auch nicht, da er durchaus launischer Zeitgenosse gewesen sein soll. Trotzdem bleibt der geistliche Gehalt in seiner Musik, der heute sehr oft fehlt. Grotesk wäre es auf jeden Fall, Bach wegen seiner möglicherweise durchaus vorhandenen antijudaistischen Anflüge jetzt mehr zu ächten als etwa Richard Wagner, zu dessen Opern trotz dessen stramm rechten Weltbildes nach wie vor die Massen pilgern und womit seine Nachfahren nach wie vor gutes Geld verdienen.

Stephan
7 Jahre zuvor

Erst soll Luther Antisemit sein, dann Bach, Calvin war ein Ketzermörder, …, es findet derzeit in den Medien eine Demontage einiger bedeutender Personen der evangelischen Geschichte statt, die schon fast systematisch erscheint, und auch vor Faktenverdrehung wird nicht zurück geschreckt, vieles konnte man in den vergangenen Wochen auf den einschlägigen Webseiten lesen. Aus der heutigen Perspektive waren sie als Menschen sicherlich nicht fehlerlos, aber obliegt es uns, darüber zu urteilen? Es fällt doch schon schwer genug, die Auflistung der Glaubenshelden in Hebr. 11 zu verstehen, wenn wir auf Personen wie Simson (dessen Fallstrick die Frauen waren) oder Jephta sehen (der seine Tochter als Brandopfer dargebracht hat). Nun gibt es noch die Diskussionen hinsichtlich der „Judensau“ an der Kirche in Wittenberg – es wird nicht die Geschichte und Bedeutung hinterfragt, auch hier wird Demontage gefordert. Je mehr zerschlagen wird, desto leichter bekommt man die evangelische Kirche wieder in den „Mutterschoß“ der katholischen Kirche. Wir beschäftigen uns lieber mit dem Bild der… Weiterlesen »

Christoph
7 Jahre zuvor

Calvin wollte Servet den Feuertod ersparen.
Das Todesurteil ging von Katholiken aus, nicht von Protestanten.

Und die Antisemitismuswaffe ist ein äußerst wirksames Werkzeug der ADL und des politischen Zionismus – dagegen ist die links geprägte Gesellschaft absolut machtlos.

Juden (sofern sie überhaupt existieren) sind Menschen wie alle anderen auch.
Manche Christen meinen, sie seien überdurchschnittlich begabt. Auch das wäre Rassissmus (wenn auch kein gerade negativer).

Gefährlich sind nur zwei Arten von Juden:
1) Die religiösen, also die praktizierenden — sie hat schon Paulus als gefährlich eingestuft.
2) Die in Spitzenpositionen (und das sind äußerst viele). Der Chef des mächtigsten Finanzimperiums ist auch Jude.
Das ist nun mal nicht zu leugnen. Gefährlich ist es aber, gewisse Schlüsse daraus zu ziehen.
Die Systematik, die da am Werk ist, ist satanisch, nicht jüdisch.

Johannes Strehle
7 Jahre zuvor

@ schandor
Ich denke, wir sind uns einig:
Ron bleibt Ron bleibt Ron.
Einen Fixstern braucht der Christ im evangelikalen Geflimmer und
einen Fixpunkt im evangelikalen Multiversum.

Lillebror
7 Jahre zuvor


Uff, dass es sich um Satire handelt, hab ich wirklich nicht erkannt. Vielleicht kenne ich dieses Blog und den Autor zu wenig, als dass ich das hätte einschätzen können. Aber vielleicht gilt auch hier: Ironie – geschrieben nie!

rolf eicken
7 Jahre zuvor

@Christoph, meine Informationen gehen dahin, dass der Freigeist – Miguel Servet, am 27.10.1553 als Ketzer vor den Toren Genfs auf Drängen Calvins hingerichtet wurde.
Seb. Castellio verfaßte aufgrund dieses ersten RELIGIÖSEN MORDES innerh. der Reformation ein Manifest der Toleranz. Stefan Zweig hat darüber ein Buch verfaßt.
Wegen der Verfolgung Freidenkender schrieb Castellio unter Pseudonym!!!
MFG
Rolf

Alexander
7 Jahre zuvor

@Rolf Eicken: Nehmen Sie Stefan Zweig bitte nicht als historischen Wegweiser. Es hat zu Zweigs völlig verzerrtem Calvin-Bild vor kurzem bereits einen Beitrag von Ron auf diesem Blog gegeben, hier: http://theoblog.de/stefan-zweigs-rolle/27281/ . Ergänzend dazu auch die Kommentare.

7 Jahre zuvor

Zitat von Michael Klonovsky – leider kein Christ –
http://www.michael-klonovsky.de/acta-diurna
vom 04.September 2016
“ – „….In der Tat ist es auf alle Fälle viel weniger gefährlich, den konstruierten Antisemitismus von Bach zu bekämpfen, als den ganz realen heutigen Antisemiten und Feinden Israels entgegenzutreten“, erklärte der Pianist Jascha Nemtsov, Professor für Geschichte der jüdischen Musik an der Hochschule für Musik in Weimar und selber Jude, in einem Interview.

Mehr ist dazu eigentlich nicht zu sagen. „

Gast 3
7 Jahre zuvor

Da hatte die Antidiskriminierungsbeauftragte des Kirchenrates wohl einen Moment geschlafen und die einstweilige Verfügung gegen die Matthäuspassion verpennt. Nein, Spass beiseite. Eines ist gewiss: Die Worte Luthers und die herrliche Musik Bachs haben Gläubigen aller Zeiten im Leben und Sterben mehr Kraft, Trost und Gewissheit geschenkt (und tun es immer noch) als das gottlose, vom Heiligen Geist entleerte Gelaber liberaler und feministischer Theologen und Theologinnen mit ihrem dummen Gerede, die u.a. einem verwischten Toleranzbegriff ohne Wahrheit huldigen. Als bibeltreuer Komponist tut es mir leid, wenn ich bestätigen muss, dass man beispielsweise das hasserfüllte Geschrei des Mobs „Kreuzige ihn!“ nicht in strahlendem D-dur erklingen lassen kann. Letztlich ist die Bibel kein diplomatisches Buch, sondern ein wahrhaftiges Buch! Deshalb ist sie so bestritten und angefeindet. Es ist deshalb höchste Zeit, dass eine Schreibrandbibel ohne Text herausgegeben wird, damit jeder seine eigene Bibel kreieren kann und aus der dann beispielsweise Johannes 8, 44 ausgetilgt und die gesamte Bibel von Antijudaismen gesäubert werden darf.

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