Eine unglaubliche Gleichmacherei

Warum werden Wesensmerkmale wie Behinderung, Begabung oder sexuelle Identität oft einfach wegdiskutiert? Christian Geyer mischt sich in eine verlogene Debatte um die angeblich erlösende Gleichheit ein.

Nicht jeder kann alles. Und nicht jeder kann das, was er kann, genauso gut wie jemand anderer, der es besser kann. Die Pointe der Inklusionssemantik liegt aber darin, jeden Unterschied als Ungleichheit zu deuten und jede Ungleichheit als Ungerechtigkeit. So wird unter der regulativen Idee der „Vielfalt“ (Schule der Vielfalt, „diversity management“ in Unternehmen) ein egalitäres Anspruchsdenken installiert, das so weit geht, Unterschiede als solche möglichst gar nicht mehr namhaft zu machen. Geschlecht, Behinderung, Alter oder Intelligenz gehören dann gar nicht erwähnt, sie erscheinen als bloße Zuschreibungen im Auge des Betrachters.

Die Analyse kategorialer Unterschiede wird als Essentialismus geschmäht, dem ein naiver Wesensbegriff zugrunde liege. Die propagierte Dekategorisierung („alles ist Zuschreibung“) vollzieht sich aber zunehmend auf dem Rücken der Betroffenen. Frau Allmendinger beispielsweise macht unfreiwillig die diskriminierenden Folgen für die Behinderten sichtbar, ja, befördert sie selbst. So kritisiert die Arbeitsmarktforscherin, „dass viele Bundesländer Inklusion fördern wollen, ihr Förderschulsystem aber unangetastet lassen“. Sie fordert, „Förderschulen konsequent zu schließen“ – und lässt damit die Katze aus dem Sack.

Das tut der Erlösungsstrategie der Inklusion aber keinen Abbruch. In ihrem Zentrum steht die Verabsolutierung des Prinzips der sozialen Partizipation. Es stellt alle anderen Bedürfnisse der Betroffenen in den Schatten. Gemeinschaft ist Trumpf: Alle sollen sich überall zugehörig fühlen können.

Das ist die Gegenthese zur ausdifferenzierten Gesellschaft, ein sozialer Radikalismus, vor dem schon der Anthropologe Helmuth Plessner in seiner Schrift „Grenzen der Gemeinschaft“ gewarnt hat. Natürlich soll niemand wegen seiner geschlechtlichen Identität diskriminiert werden dürfen. Doch das begründet umgekehrt noch keine Verpflichtung, alle möglichen sexuellen Gemeinschaftsmodelle am Ehebegriff partizipieren zu lassen.

Die Illusion der Vielfalt liegt ja darin, alle Ungleichheiten für unwirksam und unwichtig zu halten, haben sie sich erst einmal zur Vielfalt gerundet. Aber auch sexuelle Inklusion hat zwischen Deskription und Normativität von Vielfalt zu unterscheiden, sollen nicht legitime Fragen wie solche nach der Sicherung des Kindeswohls als unerheblich abgetan werden. Daher auch die Gefährlichkeit von Frau Allmendingers Appell zur Schließung der Sonderschulen. Um einer Gemeinschaftsideologie willen wird die besondere Förderung von besonders zu Fördernden fahrlässig aufs Spiel gesetzt.

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