Quervain: Heiligung (Teil 1)

Alfred de Quervain: Die Heiligung: Ethik, Zollinkon-Zürich: Evangelischer Verlag, 1946, S. 95–96:

Mitten unter den Fragen, die das Leiden und Sterben Christi verkündigen, steht jene 43. Frage des Heidelberger Katechismus, die vom Leben und Handeln des Christen redet. Sie lehrt uns unseren Wandel vom Kreuze Christi her verstehen. »Welchen weiteren Nutzen haben wir aus Opfer und Tod Christi am Kreuz? Durch die Kraft Christi wird unser alter Mensch mit ihm gekreuzigt, getötet und begraben (Röm 6,6–8.11f.; Kol 2,12), damit die Sünde uns nicht mehr beherrscht (Röm 6,12), sondern wir uns ihm zu einem lebendigen Dankopfer hingeben (Röm 12,1).«

Der Heidelberger Katechismus nimmt mit dieser Begründung des christlichen Lebens im Kreuz Christi eine besondere Stellung unter den Bekenntnis-Katechismen ein. Wir fragen nicht danach, ob diese 43. Frage in ihrer Tragweite in der reformierten Kirche wirklich verstanden worden ist. Vielleicht waren sich die Verfasser des Buches nicht ganz im klaren darüber, was sie damit aussagten. Uns geht es aber darum, für unsere Arbeit die nötige Klarheit zu bekommen, wir lassen uns sagen, dass das sechste Kapitel des Römerbriefes — Frage 43 ist nichts anderes als ein kräftiger Hinweis auf jenes Kapitel — eine jener Stellen ist, die für die theologische Ethik, für die Lehre von der Heiligung entscheidend sind.

Wir werden freilich auf der Hut sein, dass wir nicht den Fehler anderer Systematiker, anderer Dogmatiker begehen, deren Ergebnisse wir rügen. Es ist uns nicht erlaubt, dieses einzelne Kapitel, Römer 6, aus dem Zusammenhang des Römerbriefes herauszulösen, wir sollen uns ebenfalls hüten, die Lehre von der Heiligung auf zu schmaler Grundlage aufzubauen. Römer 6 ist nicht das System der christlichen Ethik, die Lehre von der Heiligung; es ist ein Zeugnis von der einen Gabe Christus, ein Zeugnis von dem Sieg des Gekreuzigten, von der Herrschaft Christi. Mit der Zurückweisung des Vorwurfes, dass libertinistische Folgerungen aus der Predigt vom Glauben gezogen werden können, beginnt das Kapitel. Christen in Rom sind besorgt, es könnte bei jener Predigt des Paulus zu einem Friedensschluss des Christen mit dem Reich der Sünde, mit der Gesetzlosigkeit, mit der Ungerechtigkeit kommen. Sooft in der Kirche die Gerechtigkeit Christi als des Christen Rechtfertigung, die Heiligkeit Christi als des Christen Heiligung verkündigt wird, erhebt sich dieser Vorwurf, dass die Sünde unangefochten ihre Herrschaft über ihn geltend machen könne, dass der Christ den Kampf aufgegeben habe. So klagten die vermeintlichen Verteidiger der Heiligung in den ersten Gemeinden. So protestierte der römische Katholizismus gegen die Predigt vom Glauben bei den Reformatoren. So lautet auch heute die Anklage. Wo aber Christus als der einzige Hohepriester und als der ewige König verkündigt wird, wo er bekannt, wo an ihn geglaubt wird, da hat die Sünde ihr Recht und ihre Macht verloren. Niemals wird da der Sünder im Blick auf seine Sünde beruhigt. Es wird nichts entschuldigt, nichts verharmlost. Die Sünde hat alle Herrscherrechte über die eingebüßt, die zu Jesus Christus gehören. Das ist die Antwort des Paulus an seine Kritiker, an die, die um die Herrschaft des Willens Gottes sich sorgen.

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13 Jahre zuvor

Die Frage nach dem Zusammenhang von Heiligung und Gnade wird immer wieder diskutiert. Vielfach leben viele Christen nach dem Motto aus Gal. 3,3: „Im Geist habt ihr angefangen, im Fleisch wollt ihr vollenden.“ Viele verstehen nicht, wie das Kreuz auch in unserem täglichen Leben eine Bedeutung hat. Sie sehen tatsächlich nur den Aspekt der Vergebung und den Startschuss für ein Leben mit Gott. Aber dann kämpfen sie darum, „gute Christen“ zu sein.
Aber die Reformatoren hatten immer ein ganzheitliches Christentum verkündigt, nicht ein halbes. Nicht nur eine Erettung zum ewigen Heil, sondern die Erlösung zu einem neuen Leben.
Möge der Herr uns wieder neu verstehen lehren, was Römer 6-8 bedeutet, und uns den Reichtum den wir in Christus haben ganz neu entfalten.

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