Anspruchslose Predigten

Gewiss ist das intellektuell anspruchsvolle Predigen kein Selbstzweck. Vor allem soll das Wort Gottes mit dem wunderbaren Evangelium durch die Predigt ausgelegt werden. Dennoch halte ich Aspekte der Kritik, die Béatrice Acklin Zimmermann in einem NZZ-Gastkommentar formuliert hat, für berechtigt. Viele Predigten, die heute zu hören sind, erinnern an die Trivialisierung und Infantilisierung, die auch in anderen Bereichen der Gesellschaft seit vielen Jahren wahrzunehmen sind, etwa in der Politik oder im TV-Angebot. Zimmermann schreibt:

Spaemann, der sich als Intellektueller mit christlicher Verortung und scharfsinniger Kritiker des Zeitgeistes in den öffentlichen Diskurs einbrachte, konstatierte einen zunehmenden intellektuellen Substanzverlust in der Kirche.

Auch der evangelische Theologe Friedrich Wilhelm Graf, der sich zur Gruppe der Religionsintellektuellen zählt, beklagt eine zunehmende Eventisierung der Gottesdienste und beobachtet vielfältige Tendenzen der Trivialisierung und Infantilisierung der christlichen Freiheitsbotschaft. Laut Graf hängt die Erosion der Kirchen nicht zuletzt mit der zunehmenden Sprachlosigkeit vieler Theologen und Theologinnen zusammen, die in ihren Predigten auffällig oft den Psychojargon bedienen, ein Betroffenheitspathos zelebrieren und vor allem moralisieren würden: «Moralisieren ist nämlich eine intellektuell relativ anspruchslose Veranstaltung.»

Auch wenn man Graf nicht in all seinen Kritikpunkten beipflichten mag, so lässt es sich nicht beschönigen: Den Kirchen gelingt es immer weniger, ein intellektuell anspruchsvolles Publikum anzusprechen und zu überzeugen. Viele Intellektuelle haben den Eindruck, dass in den oftmals mit Anekdoten angereicherten, spirituell vernebelten und dem Zeitgeist angedienten Predigten elementare Spannungen und Widersprüche des Lebens kaum noch eine Rolle spielen und für die entscheidenden «letzten Fragen» kein Platz mehr bleibt. 

Mehr: www.nzz.ch.

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FrankS
4 Jahre zuvor

Das Thema ist in der EKD so alt wie die Tatsache, dass die historisch-kritische Forschung ihre Ergebnisse halt meist nicht in sonderlich erbauliche Predigten gießen kann. Leider hat in dieser meiner Kirche der sinnigen Spruch „Wir können über alles predigen, nur nicht über 20 Minuten.“ seit Jahrzehnten eine traurige Berühmtheit erlangt.

Wer kann in 10 oder 15 Minuten eine anspruchsvolle Predigt halten? Das geht, keine Frage. Aber es ist eine Kunst und sehr oft gelingt es nicht. In den knappen 15 Minuten wird oft viel gesprochen und wenig oder nichts gesagt, was Allgemeinplätze zwischenmenschlichen Gemeinwohls übersteigen würde. Da ist die Liturgie meist gehaltvoller als die Predigt, auch wenn Bekenntnis und Vater-Unser vermutlich nicht mehr als traditionelle Bestandteile sind, nicht nur für die Gottesdienstbesucher.

Matze
4 Jahre zuvor

Vielen Dank!
Ich wäre allerdings schon froh, wenn manche Predigt sich nicht in sich widersprechen würde und ein klarer Bezug auf das Wort Gottes vorhanden wäre. Das übrigens unabhängig davon, ob ich der theologischen Ansicht der Predigers bin. Intellektuell anspruchsvoll wäre schön vor allem auch deshalb weil mittlerweile die Hälfte aller Deutschen eine höhere Schulbildung haben. Aber zumindest in sich stimmig sollte es schon sein

Stephan
4 Jahre zuvor

Naja, die höhere Schulbildung heutzutage ist auch nicht mehr das, was sie mal war … Aber ich stimme Dir zu. Predigten sollen einen Bezug auf Gottes Wort haben und nicht in den Bereich allgemeine psychologische Lebenshilfe abdriften.
Am Karfreitag hatte ich vormittags Zeit und wollte dann mal den Radiogottesdienst hören. Der Gottesdienst war dann kein Karfreitagsgottesdienst, sondern war zum Holocaustgedenk-irgendwas-Dienst umfunktioniert. Schriftlesungen aus der Bibel, Briefe von verfolgten Juden im Wechsel dazu. Eine seltsame Gegenüberstellung – dem gekreuzigten Jesus millionenfache Morde am jüdischen Volk gegenüberzustellen. Zugegeben, ein wichtiges Thema, aber was hat das mit Karfreitag, mit einem Gottesdienst zu tun? Gehört die Geschichtsbewältigung als Schwerpunktthema dahin? Oder Politik?
Es sind solche „Gottesdienste“, die die Leute aus den Kirchen treiben, in denen nicht mehr die Verkündigung im Mittelpunkt steht.

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