D. Bonhoeffer: Predigt möglichst bei Tageslicht schreiben

Dietrich Bonhoeffer sagte in seiner Finkenwalder Homiletik zur Predigtvorbereitung (laut Mitschrift seiner Studenten, in: Illegale Theologenausbildung: Finkenwalde 1935−1937, Logos-Sonderausgabe, Bd. 14, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, S. 487–489):

Die Predigt ist möglichst bei Tageslicht zu schreiben, nicht bei Dämmerung. Sonst ist man abends begeistert, morgens ernüchtert. Man soll die Predigt nicht auf einmal schreiben. Beim einmal gewählten Text bleiben! Zumal schließlich jeder Text dieselbe Sache sagen kann. Möglichst keine anderen Predigten zum eigenen Text lesen, ehe nicht der eigene Entwurf fertig ist. Kommentare lesen ist gut, nicht unbedingt nötig. Klare gedankliche Disposition, sonst läßt sie sich schwer lernen und ist auch nicht gut. Spätestens Dienstag anfangen, spätestens Freitag fertig sein! Es muß wenigstens zwölf Stunden daran gearbeitet werden.

Eine fertig geschriebene Predigt ist noch keine fertige Predigt! Nicht Worte, sondern Gedankenzusammenhänge memorieren. Bei jedem Abschnitt den ersten und letzten Gedanken merken, dann das andere dazwischen.

Sonnabend Abend unter allen Umständen freihalten. Es ist schön, wer Sonnabend Nachmittag noch seelsorgerliche Besuche machen kann, die wirklich streng seelsorgerlich sind. Grundsätzlich jede Einladung in der Gemeinde absagen. Eine Predigt wird zweimal geboren, in der Pfarrstube und auf der Kanzel, die zweite ist die eigentliche Entstehung. Ein unvorbereiteter Prediger wird unsicher in der Sache und muß davon durch allerlei Techniken ablenken, die aus seiner Eitelkeit kommen: Lärmen, pathetisch, auf die Tränendrüsen drücken. Größtmögliche Sachlichkeit auf der Kanzel infolge bester Vorbereitung. Der Prediger ist frei gegenüber der vorbereitenden Arbeit, soweit es die Sache erfordert, nicht gebunden an wörtliches Auswendiglernen. Sakristeigebet vor der Predigt. Das Niederknien gehört nicht auf die Kanzel, sondern in die Sakristei. Nach der Predigt Gebet um Frucht des Wortes Gottes durch den Geist.

Bonhoeffer war übrigens der Meinung, dass ohne Arbeit mit dem Urtext keine gute Predigt entsteht. Die Kommentare, die er empfohlen hatte und die über die Bibliothek zugänglich waren, stammten von Luther, Calvin, Bengel, Kohlbrügge, Vilmar und Schlatter.

Was sehr wichtig ist (ebd., S. 489):

Predigt ist dadurch charakterisierte Rede, daß sie Predigt über einen Text ist. Weil sie Gottes Wort sein will, ist sie an die Schrift gebunden. Die Verheißung, daß Gott redet, liegt allein in der Schriftgemäßheit der Predigt.

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4 Kommentare
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Ernst
1 Jahr zuvor

Wer kann da noch selig werden?

Udo
1 Jahr zuvor

Bonhoeffer sagt (Zitat S. 489) genau das, was Paulus im Römerbrief 10,17 sagt. Das zeigt dann leider auch, dass ein beträchtlicher Anteil der Redebeiträge von der Kanzel in unseren Kirchen bzgl. der Glaubensbildung wertlos ist.

1 Jahr zuvor

Danke dafür!
Spätestens Dienstag anfangen, spätestens Freitag fertig sein! Es muß wenigstens zwölf Stunden daran gearbeitet werden.“
Ein toller Rat.

Jürgen
1 Jahr zuvor

Wenn ohne Arbeit mit dem Urtext keine gute Predigt möglich ist, würde Bonhoeffer dann so weit gehen und sagen, dass jemand, der die Ursprachen nicht beherrscht, nicht predigen sollte?

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