Die Ich-Maschinen

Mathias Müller von Blumencron hat für die FAZ einen hilfreichen Beitrag über die neusten Informationstrends geschrieben. Eines der besten Schaufenster für die Zukunft der Informationsgesellschaft ist seiner Meinung nach das gerade zu Ende gegangene Tech-Festival „South by Southwest“ (SXSW) im texanischen Austin (USA). Seine These: Das Tun der Nutzer orientiert sich nicht primär an der Welterkenntnis, sondern stellt Identität her und ist ein Akt der Selbstvergewisserung. Subjektivität wird verobjektiviert.

Einige Schnipsel:

„Facebook verschlingt die ganze Welt“

Informationsrituale wie das morgendliche Abrufen von redaktionell komponierten Websites, Zeitungslektüre in der S-Bahn oder der Fernsehabend verschwinden. Der ständige Zugriff auf das Smartphone – bei Jüngeren im Schnitt mehr als hundertsechzig Mal pro Tag – führt zu einer Gleichzeitigkeit von Information, eigenem Erleben und Kommunikation, deren Adressaten weitere Reaktionskaskaden auslösen. Das Ergebnis ist ein unaufhörliches Schlagzeilen-Crescendo und ein granularer Medienstrom. Die Informationsgrundlagen des demokratischen Gemeinwesens verschieben sich, ohne dass der Gesellschaft Zeit bleibt, sie zu reflektieren.

Emily Bell ist eine besonnene Wissenschaftlerin, bekannt für ihre klugen Analysen des Medienwandels. Doch wenn das Gespräch auf Facebook kommt, wird die ehemalige Digital-Chefin des „Guardian“ emotional: „Das Ende der Nachrichten, wie wir sie kennen: Wie Facebook den Journalismus verschlingt“ betitelte sie kürzlich eine Rede. Dabei hebt die Medienwissenschaftlerin, die an der Columbia School of Journalism in New York lehrt, eigentlich stets die Chancen der neuen Medien-Technologien hervor. Doch zuweilen kommt sie ins Zweifeln: „Unser News-Ökosystem hat sich in den vergangenen fünf Jahren stärker verändert als zu irgendeiner Zeit in den vergangenen fünfhundert Jahren“, sagt sie, „Facebook verschlingt die ganze Welt.“

Die Ego-Maschinen füttern

„Buzzfeed“ ist Vorbild für Dutzende von Start-ups und eines Geschäftsmodells, von dem auch etablierte Medien profitieren wollen. Entscheidend ist nicht mehr die Komposition von relevanten, aktuellen, unterhaltenden Stücken zu einem Gesamtprodukt wie einer Website, sondern die Distribution der einzelnen Werke auf alle Kanäle des sozialen Webs.

Traditionelle Medien nutzen die Verteilmechanismen und die Auslieferungstechnologie der Plattformen. Sie produzieren „Instant Articles“ für Facebook oder füttern Snapchats Medienecke „Discover“. Und zwar in großem Stil. „Das System fluten“ nennt das Mat Yurow, Direktor für „Audience Development“ bei der „New York Times“, einer Profession, die in Deutschland noch nahezu unbekannt ist, „und dann Facebook den Job machen lassen.“ Was Yurow meint: Die „New York Times“ postet einen Großteil ihrer Geschichten direkt auf Facebook und nutzt dessen Algorithmen, um die Artikel in die Timelines mutmaßlich interessierter Leser zu pressen. Geld verdient der Verlag, indem er die Artikel selbst mit Anzeigen belegt.

Es geht um die Selbstvergewisserung der Nutzer

Denn bei „Buzzfeed“ und ähnlichen Angeboten geht es primär nicht um Neuigkeiten, Nützliches oder Unterhaltendes. Es geht um die Selbstvergewisserung der Nutzer. Das höchste Ziel seiner Plattform sei es, sagt Frank Cooper, „Menschen mit sich selbst zu verbinden“. Danach komme die „Connection“ mit dem engsten Freundeskreis und dann mit der passenden Subkultur. Erst ganz am Schluss geht es um die Vermittlung gesellschaftlicher Themen.

Diese Ich-Bezogenheit und Selbstsucht ist der Motor von Facebook, „Buzzfeed“ und aller anderen Maschinen, die mit großer Raffinesse Millionen von Nutzern fesseln und durch das ganze Netz verfolgen. Das wäre möglicherweise noch zu verkraften. Allerdings sehen schon vierzig Prozent der Amerikaner, so ermittelte das Pew Research Center aus Washington, Facebook als Nachrichtenquelle an, um sich über das Geschehen in ihrem Land und der Welt zu informieren. So wird Subjektivität verobjektiviert. „Buzzfeed“ & Co. sind mediale Drogen einer im tiefsten Inneren verunsicherten Gesellschaft.

Hier mehr: www.faz.net.

VD: JS

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