Die Psalmen in der Seelsorge

Da das Zitat über den Gebetskampf einen persönlichen, tröstlichen und (zumindest für mich) hilfreichen Austausch angeregt hat, referiere ich einen weiteren Abschnitt aus der Vorrede des Psalmenkommentars (Calvin Studienausgabe, Bd. 6, Neukirchen-Vluyn: Neukirchner Verlagsgesellschaft, S. 21). Dieser kurze Text hält uns nicht nur vor Augen, dass das Psalmbuch eine »Aufgliederung aller Teile der Seele« ist, sondern gewährt Einblicke in Calvins Gemüt. Er war eben – anders als in vielen deutschen Büchern dargestellt – kein gefühlsblinder Diktator, sondern ein begnadeter Seelsorger.

Mit gutem Grund nenne ich gewöhnlich das [Psalm]buch eine Aufgliederung aller Teile der Seele. Denn jede Regung, die jemand in sich empfindet, begegnet als Abbild in diesem Spiegel. Ja, hier hat uns der Heilige Geist alle Schmerzen, Traurigkeit, Befürchtungen, Zweifel, Hoffnungen, Sorgen, Ängste, Verwirrungen, kurzum all die Gefühle, durch die Menschen innerlich hin und her geworfen werden, lebensnah vergegenwärtigt. Die übrige Schrift enthält die Gebote, die Gott seinen Dienern mitgeteilt hat, um sie uns zu verkündigen. Hier aber reden die Propheten selber mit Gott, und weil sie ihre geheimen Gedanken ans Licht bringen, sprechen sie jeden von uns an und bringen uns zur Selbstprüfung. Auf diese Weise bleibt keine der vielen Schwächen, denen wir unterworfen sind, auch keine der vielen Fehler, die in uns reichlich vorhanden sind, verborgen. Es ist ein seltener und außerordentlicher Erfolg, wenn das Herz offenbar wird, nachdem all seine Schlupfwinkel durchforscht sind und es vom schlimmsten Verderben, der Heuchelei, gereinigt ist. Wenn schließlich das Gebet zu Gott die stärkste Stütze unseres Heils ist, kann man dazu nirgendwo eine bessere und zuverlässigere Anleitung finden als im Buch [der Psalmen]. Jedem, der bei ihrem Verständnis große Fortschritte macht, wird ein gutes Stück himmlischer Weisheit zuteil.

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5 Kommentare
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12 Jahre zuvor

Schön. Kluger Mann.

12 Jahre zuvor

viele sagen, der Gott des Alten Testaments sei ein strenger und harter Gott, waehrend der Gott des Neuen Testaments liebevoll und vergebungsbereit sei.

Aufgrund meiner Erfahrungen gerade mit den Psalmen kann ich diese Ansicht gar nicht teilen. Im Gegenteil.

Soviel Trost, Zuwendung und Liebe – besonders nach grossen eigenen Fehlern – habe ich schon durch die Psalmen erfahren.

Oft musste ich dabei erkennen, dass der Grund dafuer, dass meine Gefuehle mich hin- und herwerfen, in mir selber liegt. Es ist der von mir selber geschaffene Abstand zum lebendigen Gott, der aber schon wieder mit offenen Armen und voller Liebe auf mich wartet.

Ron, Dein Calvin-Zitat spricht mir aus dem Herzen.

Johannes Strehle
12 Jahre zuvor

Das „Außenleben“ und das „Innenleben“ Davids wie auch des „Sohnes Davids“ lernen wir in der Regel in getrennten Texten kennen. Es ist eine ständige Herausforderung für Bibellehrer und Bibelleser, diese Texte miteinander zu verbinden, um David und den Sohn Davids (und uns selbst, den alten und den neuen Menschen,) besser kennenzulernen. Das „Innenleben“ finden wir hauptsächlich in den Psalmen = Preisungen. Ich weiß nicht, ob es einen zweiten Menschen gibt, der uns so tief blicken lässt in sein Denken und Fühlen und damit auch in das Denken und Fühlen des Sohnes Davids und des Sohnes des Menschen. Für unseren Lern- und Wachstumsprozess, für das Bestehen des Alltags brauchen wir als Christen dieses Vorbild. Wie verbindet der Mann nach Gottes Herzen das Gespräch mit Gott, das Ringen mit Gott, das Vertrauen auf Gott, das Warten auf Gott mit seinen Überlegungen, seinen Entscheidungen, seinem Handeln? Was erwartet er von Gott, was erwartet Gott von ihm. Ich habe mich in diesem Sinne im… Weiterlesen »

Bettina Klix
12 Jahre zuvor

Im letzten Jahr hat mir die Einführung von Dietrich Bonhoeffer in die Psalmen („Das Gebetbuch der Bibel“) sehr geholfen, gerade auch jene Aspekte besser zu begreifen, die hier in den Psalmen-Diskussionen auch schon vorkamen. (Zuflucht finden in Klage-Psalmen)

Aber selbst die „Rachepsalmen“ werden hier wunderbar erschlossen. Bonhoeffer: „Kein Stück des Psalters bereitet uns heute größere Not als die sogenannten Rachepsalmen.“

Wie Bonhoeffer klar macht, dass das Gebot der Feindesliebe für uns zwar Gültigkeit hat. Dass dies aber ein Gebet nicht ausschließt, das Gott anfleht, seine „Gerechtigkeit im Gericht“ zu vollstrecken. Mit aller Konsequenz auch für mich selbst:
„Dieses Gericht muss ergehen, wenn Gott zu seinem Wort steht, es muss ergehen, wen es auch trifft; ich selbst gehöre mit meiner Sünde mit unter dieses Gericht.“

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