Eduard Lohse (1924–2015)

Der Theologe Eduard Lohse ist am 23. Juni 2015 im Alter von 91 Jahren verstorben. Der ehemalige Bischof der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover und Alt-Abt des Klosters Loccum war zwischen 1979 und 1985 Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

In meiner Jugend habe ich mich gelegentlich sehr über Bischof Lohse geärgert, z.B. über seinen Anlauf, eine Schneise zur Theologie Bultmanns zu schlagen. Einen besseren Zugang hatte ich zu seinem jüngeren Bruder, der gute Lehrbücher herausgegeben hat. Hier ein längeres, wunderschönes Zitat aus der Dogmengeschichte von Bernhard Lohse (Epochen der Dogmengeschichte, 8. Aufl., 1994, S. 132–134):

Freilich, so sehr die Ergebnisse des pelagianischen Streites in der Sündenund Gnadenlehre einen großen Fortschritt darstellen, so ist doch manches ungeklärt geblieben oder auch noch nicht zureichend erläutert worden. Das gilt einmal für die Auffassung von der Sünde. Zwar hat Augustins Anschauung von der Sünde als Begierlichkeit keinen Eingang in die Konzilsentscheidungen gefunden. Aber das hindert doch nicht, daß faktisch die Gleichsetzung von Sünde und Begierlichkeit sich weithin durchsetzte. Das gilt fast für das gesamte Mittelalter. Gewiß hat sich für keinen der großen mittelalterlichen Theologen die Sünde in der Begierlichkeit erschöpft. Aber die Leibfeindlichkeit sowie die asketische Grundrichtung des gesamten Mittelalters sind doch ohne jenen augustinischen Gedanken nicht verständlich. Hier bedurfte es einer Vertiefung, ja eines Neuansatzes im Verständnis der Sünde.

Dazu ist es im Mittelalter nicht mehr gekommen. Erst Luther hat hier die Schwächen der augustinischen Auffassung von der Sünde überwunden und die Lehre von der Sünde wirklich weitergeführt. Zwar kann Luther gelegentlich wie Augustin sagen, daß der Zeugungsakt durch das Lust-Begehren sündig geworden ist und daß sich die Sünde durch die Zeugung fortpflanzt. Aber Luther hat doch in der Regel unter der Begierlichkeit sehr viel mehr verstanden als nur die geschlechtliche Begierde, nämlich den Ichwillen des Menschen, der sich gegen Gott durchsetzen will, der Gott nicht Gott sein lassen will. Luther ist sich an diesem wichtigen Punkt des Unterschieds von Augustin durchaus bewußt gewesen. Er hat klar gesehen, daß bei Augustin wie auch bei Hieronymus und manchen anderen die Sünde in starkem Maße mit der Leiblichkeit des Menschen gleichgesetzt wird; darum habe man Sünde und Gnade im Sinne der antiken Unterscheidung von Leib und Geist verstanden. Paulus dagegen verstehe den ganzen Menschen als »Fleisch«, und wiederum könne auch der ganze Mensch »geistlich« sein, sofern er nämlich durch den Glauben an Gott erneuert wird. Luther hat einmal über den Unterschied in der Fassung dieser wichtigen Begriffe gesagt: »Ohne rechten Verstand dieser Wörter (nämlich Geist und Fleisch) wirst du weder diese Epistel Sanct Pauli (den Römerbrief) noch kein Buch der Heiligen Schrift nimmer verstehen. Drum hüt dich vor allen Lehrern, die anders dieser Wort brauchen, sie seien auch, wer sie wollen, ob gleich Hieronymus, Augustin, Ambrosius, Origenes und ihresgleichen und noch höher wären.« Erst durch Luther ist der asketische Akzent, den die Bekämpfung der Sünde bis dahin hatte, überwunden zugunsten eines totaleren Sündenverständnisses.

Daß das möglich war, liegt aber nicht nur an der Neufassung des Begriffes der Begierlichkeit, sondern an der neuen Theologie Luthers überhaupt. Luther hat die Sünde als Personsünde verstanden, die der Mensch in seinem ganzen Wesen vollzieht und die letztlich gleichbedeutend mit dem Unglauben und dem mangelnden Vertrauen gegen Gott ist. »Sünde heißt in der Schrift nicht allein’das äußerliche Werk am Leibe, sondern alles das Geschäfte, das sich mit reget und weget zu dem äußerlichen Werk, nämlich des Herzens Grund mit allen Kräften.«76 Luther wußte, daß der sündige Trieb so tief im Menschen wurzelt, daß er sich sogar die äußere Demut zunutze machen kann: »Rechte Demut weiß nimmer, daß sie demütig ist; denn wo sie es wüßte, so würde sie hochmütig von dem Ansehen derselben schönen Tugend.«77 Von da aus kann für Luther nicht mehr das Ende des gesamten Heilungsprozesses des Menschen als Höhepunkt der Rechtfertigung gelten — dabei wäre der Ichwille in der sublimen Form der asketischen Selbstbeobachtung noch nicht überwunden —, sondern der Anfang gewinnt die entscheidende Bedeutung.

Dieses neue reformatorische Sündenverständnis, das in gleicher Weise von einer bloßen Historisierung der Sünde wie von ihrer Einengung auf das Gebiet des Sexuellen entfernt ist, hat in der Augsburgischen Konfession von 1530 treffenden Ausdruck gefunden: Wir lehren, »daß nach dem Fall Adams alle Menschen, die auf natürliche Weise geborenwerden, mit der Sünde geboren werden, das heißt ohne Furcht Gottes, ohne Glauben gegen Gott und mit der Begierlichkeit, und daß diese Urkrankheit oder dieser Urfehler wahrhaft Sünde sei, indem sie heute Verdammnis und ewigen Tod über diejenigen bringt, die nicht durch das Wasser und den Heiligen Geist wiedergeboren werden«.

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Peter
8 Jahre zuvor

B. Lohses „Dogmengeschichte“ – ein Werk, mit dem ich anfangs mein Theologiestudium bestreiten musste, und dann durfte. Kann ich jedem theologisch Interessiertem nur empfehlen. Altersbedingt hatte ich natürlich eine ältere Auflage 😉

vg
Peter

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