Eine Identität ist zu wenig

Der Leiter des Berliner Archivs der Jugendkulturen, Klaus Farin, beschreibt in seinem Aufsatz »Jugendkulturen heute« (APuZ 27/2010, 5. Juli 2010, S. 5) das postmoderne Phänomen der multiplen Identitäten unter Jugendlichen:

Man kann sich Jugendkulturen bildlich wie Tropfen in einem Meer vorstellen: Es regnet selten neue Jugendkulturen, aber innerhalb des Meeres mischt sich alles unaufhörlich miteinander. Immer wieder erfasst eine große (Medien-)Welle eine Jugendkultur, die dann für eine kurze Zeit alle anderen zu dominieren scheint wie Techno in den 1990er Jahren und derzeit Hip-Hop. Doch die Küste naht, und auch die größte Welle zerschellt. Das Wasser verdampft dabei jedoch nicht, sondern es fließt wieder ins offene Meer zurück – zersprengt in viele kleine Jugendkulturen, verwandt und doch verschieden.

Diese ständige Vermischung hat insgesamt die Grenzen zwischen den Szenen seit den 1990er Jahren deutlich durchlässiger werden lassen. Selbstverständlich ist jeder Szeneangehörige immer noch zutiefst davon überzeugt, der einzig wahren Jugendkultur anzugehören (Arroganz ist seit jeher ein wichtiges Stilmittel von Jugendkulturen), doch die Realität zeigt: Kaum jemand verbleibt zwischen dem 13. und 20. Lebensjahr in einer einzigen Jugendkultur; typisch ist der regelmäßige Wechsel: heute Punk, in der nächsten Saison Gothic, ein Jahr später vielleicht Skinhead oder Skateboarder. Oder gleich Punk und Jesus Freak, Skateboarder und Hip-Hopper. Oder: An diesem Wochenende Gothic, am nächsten Brit-Popper, der Montag gehört der Liebsten, am Mittwoch geht’s ins Fitnessstudio, am Freitag zur THW-Jugend oder zur Jungen Gemeinde. Für eine wachsende Gruppe der Jüngeren ist eine Identität, eine Rolle zu wenig. Ambivalenz und Flexibilität sind die Lebensprinzipien immer mehr jüngerer Menschen. Was der (Arbeits-)Markt ihnen zwangsweise lehrt, pflanzt sich in den selbstbestimmten Freizeitwelten fort.

Gemeinden, so könnte man schließen, sollten dem Fragmentarisierungstrend nicht übereifrig folgen, sondern das offene Meer im Blick haben.

Ich kann die APuZ-Ausgabe zum Thema Jugendkulturen Pastoren und Mitarbeitern in der Jugendarbeit empfehlen: HQ156C.pdf.

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1 Kommentar
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Jürgen
13 Jahre zuvor

Ja.., und wie steht’s um uns Erwachsene?

Gruß, Jürgen

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