Geheimsache Ghettofilm

Am Mittwoch strahle die Das Erste um 23:30 Uhr den Dokumentarfilm »Geheimsache Ghettofilm« aus. Der Film wurde nach meinen Wissen auf arte bereits früher gesendet. Worum geht es dabei? Ich zitiere die ARD:

62 Minuten Archivmaterial. Unbetitelt, unvertont, nur teilweise geschnitten. Eine außergewöhnliche historische Quelle. Alles, was an Filmbildern aus dem Warschauer Ghetto überliefert ist. Bei näherem Betrachten verstörende Bilder: das nackte Elend verhungernder Bettler neben auffallend wohlgekleideten Männern und Frauen im Restaurant oder beim Tangotanzen. Bittere Armut neben vermeintlichem Wohlstand, das eine das jeweils andere scheinbar ignorierend.

Jahrzehntelang wurden diese Ghettobilder – bzw. wenige immer gleiche Ausschnitte daraus – von Dokumentaristen und Museen in der ganzen Welt als authentisches Archivmaterial verstanden und verwendet. Erstmals wird nun das Material im Ganzen betrachtet. Bild für Bild, Einstellung für Einstellung, unter besonderer Beachtung gerade der herausgeschnittenen Szenen im Rohmaterial. Und erstmals fragt Regisseurin Yael Hersonski auch nach den Auftraggebern dieser Filmaufnahmen.

Wer hat diese Bilder gedreht? Unter welchen Umständen? Und mit welcher Aussageabsicht? Spiegeln die Bilder das wirkliche Leben? Anhand von eindrucksvollen Schilderungen Überlebender, detailreichen Tagebuchaufzeichnungen aus dem Ghetto sowie eines protokollierten Interviews mit einem der Kameramänner.

Mitte der 70er Jahre entsteht in diesem herausragenden Dokumentarfilm plötzlich ein ganz anderes Bild von der »Authentizität« des Ghettofilms. Es stellt sich heraus, dass deutsche Propagandafilmer nur wenige Wochen vor der großen Deportation im Frühjahr 1942 gezielt ins Ghetto geschickt wurden, um Szene für Szene »jüdischen Lebens« für die Nachwelt zu inszenieren. Regieanweisungen für Todgeweihte.

Und plötzlich sehen wir die Bilder mit anderen Augen. Lernen, genau hinzuschauen. Erkennen auf mehreren Einstellungen die Kameraleute bei der Arbeit, hören wie die »Protagonisten« des Films perfide gezwungen wurden, so und nicht anders zu agieren. Und beginnen, unsere eigenen Vorstellungen und unseren Umgang mit »Archivmaterial« zu hinterfragen … Ohne dabei – und dafür sorgt die meisterliche Montage dieses analytischen, aber zugleich hochemotionalen Dokumentarfilms – das reale Schicksal der Ghettobewohner zu vergessen. Der Kinder und Alten, der Frauen und Männer, jeder mit einer eigenen Geschichte. Als das Material 1942 schließlich im Schneideraum seiner Auftraggeber landete, waren all diese Menschen auf dem Streifen Zelluloid längst tot.

Also ein ungemein bewegender Film. Die sehr indirekte Kommunikation der Gräueltaten im Ghetto und ein Lehrstück über Authentizität und die Macht verlogener Bilder. Wer eine Gelegenheit hat, den Film zu sehen, sollte sie nutzen.

Hier ein Ausschnitt:

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