Gemeinschaft, die das Evangelium stiftet

Wilhelm Lütgert, ein großer Gelehrter und Theologe, der meiner Meinung nach zu wenig Beachtung bekommt, sagte vor rund 100 Jahren einmal in einem Vortrag zu Phil 1,3–6 (Im Dienst Gottes, 1990, S. 11–11):

Die Gemeinschaft, die da ist, ist nicht gestiftet durch des Apostels gewaltige Persönlichkeit. Sie gründet sich nicht auf ihn, sonst dürfen wir ihm freilich seinen Dank nicht nachsprechen, sondern sie ist gestiftet durch das Evangelium, das er bringt. Bringen auch wir das Evangelium, so stiften auch wir Gemeinschaft am Evangelium. Nichts führt die Gemeinde zusammen und nichts hält sie äußerlich und innerlich zusammen als das Evangelium. Es stiftet Gemeinschaft, und zwar wirkliche und darum bleibende Gemeinschaft. Es können uns mancherlei Interessen verbinden zu vorübergehender Gemeinschaft, sie geht so weit und dauert so lange als die Interessen, auf die sie sich gründet. Auch gemeinschaftliche Arbeit stiftet eine tiefgehende und darum lang dauernde Gemeinschaft: aber eine ganze und darum ewige Gemeinschaft stiftet sie nicht. Eine Gemeinschaft, die die ganze Person bis in ihre tiefste Tiefe erfaßt und das ganze Leben umspannt, kann allein das Evangelium stiften.

Es füllt nicht nur unsere Gedanken, sondern unser Herz, uns selbst, und mit wem wir es teilen, mit dem teilen wir uns selbst. Man gibt sich selbst, wenn man das Evangelium gibt, man gibt seinen innersten Besitz, seine Seele und seine Liebe. Alle die, die bei Gott sind, sind auch beieinander.

Was Zwiespalt unter uns stiftet, das ist nicht das Evangelium, sondern das, was wir zum Evangelium hinzubringen, unser Eigensinn und unser Eigenwille. Freilich bringt uns auch das Evangelium nicht lauter Freude, sondern auch Schmerz. Es hat etwas Strenges an sich, weil es uns zum Ernst, zur Buße, zum Kampf aufruft. Zu einem Kampf, der nicht nach außen geht, sondern nach innen, und der uns weh tut, zu einer Arbeit an uns selbst, die die ganze Not und Mühe der Arbeit an sich trägt. Und hierzu brauchen wir einer den andern. Aber gerade dadurch stiftet das Evangelium Gemeinschaft, denn alle weichliche und törichte Liebe, die sich scheut, ein ernstes Wort zu sprechen, ist bald verbraucht und stiftet nicht Gemeinschaft. Wo nun das Evangelium wirklich ist, da ist auch eine solche Gemeinschaft, die liebevoll und doch ernst ist.

Und darum ist das eine bleibende Gemeinschaft. Ist sie einmal wirklich und ganz da, so kann sie nicht mehr zerreißen. Sie hält uns beisammen, so daß wir uns sofort wieder verstehen, wenn wir uns wieder treffen. Sie überdauert die Zeit und geht bis zum großen Tag Jesu Christi. Sie überwindet daher jede Trennung, weil sie uns vereinigt, bis wir vor seinem Angesicht und zu seiner Rechten stehen. Erst diese Hoffnung ist wahrhaftige Gemeinschaft.

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