Hängen Sprache und Denkweise kausal zusammen?

Mit geschlechtergerechter Sprache wird einen Sprachgebrauch bezeichnet, der in Bezug auf Personenbezeichnungen die Gleichbehandlung von Frauen und Männern und darüber hinaus „allen Geschlechtern“ zum Ziel hat. Es geht dabei nicht nur um die sprachliche Sichtbarmachung von Geschlechtern, sondern um die Überwindung von Frauenfeindlichkeit oder etwa Homophobie. Der Umbau der Sprache soll dazu beitragen, die Art und Weise, wie Menschen denken und handeln, zu verändern.

Der in Ungarn aufgewachsene Chemiker Dr. Oldamur Hollóczki zeigt in einem aktuellen FAZ-Beitrag, dass es so einfach aber gar nicht ist. In einigen Sprachen, z.B. im Ungarischen oder im Estnischen, haben Pronomina kein Geschlecht. „Sätze nach dem Muster ‚er/sie liebt ihn/sie‘ und ‚er/sie ist klüger als er/sie‘ werden in diesen Sprachen in allen hier logisch möglichen Geschlechterkombinationen völlig gleich klingen und aussehen.“ Das, was viele Sprachpolizisten in Deutschland erreichen wollen, indem sie das Gender-Sternchen einführen, ist also ansatzweise in Ungarn oder in Estland schon gegeben. Heißt das nun, das es in diesen Ländern weniger Frauenfeindlichkeit gibt?

Vieles spricht dafür, dass es keinen kausalen Zusammenhang von gendersensibler Sprache und gendersensiblem Handeln gibt. Die Beziehung von Sprache und Denken ist verwickelter. Oldamur Hollóczki:

Die Stellung der Frauen in einer Gesellschaft wird seit Beginn der Emanzipationsbewegung anhand vieler Kriterien bewertet. Ich möchte mich auf drei beschränken. Nach dem Bericht der zuständigen europäischen Kommission über die Frauengleichstellung von 2019 schwankt der Bezahlungsunterschied im Erwerbsleben in vielen Ländern der Union ungefähr zwischen zehn und zwanzig Prozent, wobei Belgien, Italien, Luxemburg, Polen, Rumänien und Slowenien im einstelligen Bereich bleiben, während die damals noch zur Union gehörigen Briten wie Estland, Deutschland und die Tschechische Republik Werte über zwanzig Prozent erzielen. Finnland und Ungarn liegen im Durchschnittsbereich.

Was das zweite Kriterium, die Quote von Frauen in Führungspositionen, anbelangt, stehen Ungarn und Estland unterm europäischen Durchschnitt, vergleichbar anderen osteuropäischen Staaten, während Finnland bei den skandinavischen im Spitzenbereich liegt. Schließlich der dritte Punkt, die in Datenbanken registrierte Gewalt gegen Frauen: Eine europaweite Studie der „FRA European Union Agency for Fundamental Rights“ zeigt aufs Neue weit gestreute Werte für die fraglichen Länder. In Ungarn (28 Prozent) und in Estland (22 Prozent) ist der Prozentsatz von Frauen, die körperliche und/oder sexualisierte Gewalt gemeldet haben, niedriger als im europäischen Durchschnitt (33 Prozent), niedriger auch als in Deutschland (35 Prozent) oder in Frankreich (44 Prozent), in Finnland dagegen auffällig höher (47 Prozent). Diese Werte ähneln jedes Mal stark denen der direkten Umgebung.

Hier der lesenswerte Artikel: www.faz.net.

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Daniel
3 Jahre zuvor

Orwell hat das in 1984 anders gesehen, dort soll mit Sprache -vor allem mit Euphemismen- Denken geformt werden (vgl. auch die Diskussion um „Framing“ in Werbung und Medien).
Man muss wohl unterscheiden zwischen

  • sprachliche Gegebenheiten, in die wir hineingeboren werden mit einer Muttersprache, die sich über Trends, Ereignisse, kulturelle Einflüsse organisch weiterentwickelt (z.B. Veränderung der Bedeutung von „geil“)
  • und einer relativ abrupten, gesteuerten Neuschaffung oder Umdeutung von Begriffen.

Bei letzterer wird vermittelt, dass ein Übernehmen oder Ablehnen neuer Begriffe Bekenntnischarakter hat … Somit hat diese Sprachveränderung einen pädagoischen Effekt. Auch wenn das nicht gleich zu einem Umdenken führen mag, wird zumindest eine äußere Konformität erreicht – die in der Folge und über die Zeit prägend sein kann.

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