Mensch und freier Wille bei Luther und Erasmus

Wo liegen die Unterschiede im Menschenbild und in der Gnadenlehre zwischen Melanchthon und Luther? Peter Heinrich hat die Zugänge der beiden Theologen miteinander verglichen. Ich stelle das Buch bei E21 vor. Es heißt in der Rezension zur Sichtweise von Erasmus:

Erasmus behauptet keine Autonomie der Willensfreiheit. Vielmehr schreibt er dem freien Vermögen fast nichts und der Gnade sehr viel zu. Für Erasmus kann der Mensch ohne eine „außerordentliche Gnade“ das Gute nicht wollen (vgl. S. 21). Und doch können göttliche Gnade und menschlicher Wille miteinander kooperieren. Die Gnade ist Erstursache, der menschliche Wille die von dieser abhängige Zweitursache. „Die Fähigkeit, in cooperatio mit der göttlichen Gnade zu treten, ist ja selbst ein Geschenk Gottes, aber dann liegt es – nach erasmischer Ansicht – auch beim Menschen, das Herz von der angebotenen Gnade abzuwenden, oder sich im menschlichen Streben mit der göttlichen Gnade zu verbinden, damit der Mensch über die Stufen der Tugend zur Vollendung gelange“ (S. 23). Dem Humanisten liegt viel daran, den Menschen als ethisch verantwortliches Geschöpf zu zeichnen: „Wenn aber der Mensch nichts tut, gibt es für Verdienst und Schuld keinen Platz. Wo es für Verdienst und Schuld keinen Platz gibt, dort ist auch kein Platz für Strafen und Belohnungen. Wenn der Mensch alles tut, gibt es keinen Platz für die Gnade …“ (De libero arbitrio, IIIa, 17 vgl. S. 24). Schließlich wäre für Erasmus die Frage der Theodizee unlösbar, wenn die Freiheit des Willens beseitigt würde (vgl. S. 25).

Mehr: www.evangelium21.net.

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17 Kommentare
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Benjamin
2 Jahre zuvor

Kann es sein, dass im oberen Teil Erasmus gemeint ist? Es scheint eine Verwechslung zu sein…

toblog
2 Jahre zuvor

Bei dem, was unter die Gnade fällt, kann man sich mE in einem ersten Schritt auf das konzentrieren, was sich der Mensch in keinem Falle selbst geben kann. Das ist erstens die Vergebung, weil sie von Gott kommen muss, dem letztendlich Unrecht zugefüht wurde. In Erweiterung der Vergebung ist es die komplette Rechtfertigung, weil es letztendlich Gott ist, der mich von todbringenden Folgen befreien kann und die Macht der Todes überwinden kann, weil er stärker ist. Dann kommt uns zweitens geschenkweise die Erlösung von unser sterblichen Leib zugute, da wir uns auch nicht selbst mit einem unsterblichen Leib neu schaffen können. Unsere Umkehr, das Wollen, was Gott will, die Werke der Gerechtigkeit, die Gott durch uns wirken will – dafür ist Kooperation durchaus ein richtiger Begriff, da die Wahlfreiheit mE zum Kern der Gottesebenbildkeit des Menschen gehört. Aber eine Kooperation, bei der Gott sämtliche Leistung bringt und wir nur ein leistungsloses Ja sprechen. (Sorry für die eher technischen Begriffe, aber… Weiterlesen »

Schandor
2 Jahre zuvor

Zitat Tobias: Unsere Umkehr, das Wollen, was Gott will, die Werke der Gerechtigkeit, die Gott durch uns wirken will – dafür ist Kooperation durchaus ein richtiger Begriff, da die Wahlfreiheit mE zum Kern der Gottesebenbildkeit des Menschen gehört. Zitat Ende. . Das ist je gerade der Erasmismus. An dieser Stelle in seinem lateinischen Werk „De servo arbitrio“ bricht es aus Luther in deutsch hervor: Nein! Kooperation ist genau der falsche Begriff. Denn diese Wahlfreiheit ist es gerade, was durch den Sündenfall zerstört worden ist. Selbstverständlich ist eine „Kooperation“, bei der Gott sämtliche „Leistungen“ erbringt — leider kann man nur vermuten, was Tobias sagen wollte — ein Unding. Aber es geht in dieser Frage nicht um Kooperation. Niemand, am allerwenigsten Calvin, behauptet, der Gerettete bleibe untätig. Aber sein Tun ist nicht Kooperation, sondern Reaktion. Das Großartige am Christentum, am echten Christentum ist doch, dass wir einen Gott haben, der uns rettet — <i>ganz</i>. Was wunder, wenn wir da aktiv werden? Aber… Weiterlesen »

Last edited 2 Jahre zuvor by Schandor
toblog
2 Jahre zuvor

Vermutlich ist „Kooperation“ in der Theologiegeschichte ein zu sehr belasteter Begriff. Von daher lassen Sie mich einfach mal nochmals mit anderen Worten beschreiben, was ich meine: Für mich gilt schon das sola gratia. Wir haben nichts zu bringen, um mit Gott wieder versöhnt zu leben. Keine Werke, keine wirkliche Selbsterkenntnis, vielleicht ein Schrei nach unserem verlorenen Urspung, keine wirkliche Gotteserkenntnis. Unser Herz lassen wir durch die Macht der Sünde fremdbestimmen und sind genau dafür auch noch blind. Wenn Gott sich uns nicht nähern will und sich zu erkennen gibt, dann haben wir keine Chance, aufgrund der eigenen Möglichkeiten zu ihm durchzudringen. Insofern ist Gottes Souveränität hier 100% und unsere Möglichkeiten 0%. Auf der anderen Seite wird Gott uns nicht zwangsbekehren. Die Bibel ist doch voll davon, wie Gott darum bemüht ist, das Herz seines Volkes/der Menschen zu gewinnen. Und auch später in seiner Nachfolge und der daraus erwachsenden Frucht: Es ist sicher nicht die Leistung unserer 5 Brote und 2… Weiterlesen »

Schandor
2 Jahre zuvor

Gott ist bemüht? Das halte ich für amüsant 😉
Und von Zwang kann doch keine Rede sein. Es reicht doch, wenn er nicht interveniert. Dann gehen wir ganz zwanglos verloren.
Wenn er interveniert, wollen wir. Wenn nicht, dann nicht.

toblog
2 Jahre zuvor

@Schandor: Wie lange habe ich euch versammeln wollen… und ihr habt nicht gewollt. Was ist daran amüsant?

PeterG
2 Jahre zuvor


Ich habe die Werke von Erasmus und Luther gelesen. Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass ich beide kaum/wenig/… verstanden habe, daher meine Frage:
Hat Peter Heinrich hier wirklich Erasmus verstanden und richtig wiedergegeben?

Schandor
2 Jahre zuvor

Jerusalem! O Jerusalem! Du tötest die Propheten und steinigst die Boten, die Gott zu dir schickt. Wie oft schon wollte ich deine Bewohner um mich sammeln, so wie eine Henne ihre Küken unter ihre Flügel nimmt! Aber ihr habt es nicht gewollt
Geht es hier wirklich ums Heil? Nein, es geht in dem Vers vielmehr um den Untergang Jerusalems. Jesus spricht nicht zu den Einwohnern Jerusalems, er spricht zur relig.-pol. Oberschicht der Stadt (siehe unm. Zusammenhang).

toblog
2 Jahre zuvor

@Schandor: Im engeren Sinne gebe ich Ihnen recht. Doch die Hauptstadt mit dem Reich und das Reich Gottes ganz allgemein mit dem ewigen Heil verbunden. Es geht um die Darstellung eines Prinzips.

Schlotte
2 Jahre zuvor

Moo, Douglas J. 2021. A Theology of Paul and his Letters. The Gift of the New Realm in Christ; S. 398 Römer 3,21-26 ist einer der wichtigsten soteriologischen Texte im Neuen Testament, der Gottes rechtfertigendes Handeln durch Jesus Christus, mit Erlösung, Gnade und Christi Werk am Kreuz verbindet. Wie Paulus in den Versen 25b und 26a behauptet, hat das Kreuz die Aufgabe, „die Gerechtigkeit Gottes“ aufzuzeigen … diese Formulierung in den Versen 25b und 26a bezieht sich wahrscheinlich nicht auf die rettende oder „vermittelnde“ Gerechtigkeit (wie in den Versen 21 und 22), sondern seine wesenhafte Gerechtigkeit. Nur wenn wir der Formulierung diese Bedeutung geben, macht es für Paulus Sinn zu erklären, dass Gott in Christus gehandelt hat, um seine Gerechtigkeit aufzuzeigen „weil Gott die vorher ergangenen Sünden nicht völlig gestraft hat.“ Im Zeitalter des Alten Testaments, so vermittelt es Paulus, hat Gott Sünden nicht mit der vollen Härte bestraft, wie er es hätte tun sollen. Menschen die sündigten, hätten den… Weiterlesen »

Last edited 2 Jahre zuvor by Schlotte
Schlotti
2 Jahre zuvor

Moo, Douglas J. 2021. A Theology of Paul and his Letters. The Gift of the New Realm in Christ; S. 398-399 Ein weiteres kontrovers diskutiertes Wort innerhalb dieses Kontexts bedarf der Erklärung: hilasterion … Wichtig für unsere Absicht an dieser Stelle ist jedoch die Tatsache, dass obwohl das Wort im Alten Testament die „Sühneplatte „bezeichnet“, das Wort jedoch „Sühne“ bedeutet. Das Wort stellt daher den Tod Jesu als Mittel dar, wodurch der Zorn Gottes abgewendet wird. Paulus verbindet den Zorn üblicherweise mit der Zeit des Gerichts, an dem er den Ungläubigen auferlegt wird. Diejenigen, die in Christus sind, können sicher sein, an diesem Tag, diesem Zorn zu entgehen. Denn gemäß seiner üblichen eschatologischen Perspektive, wurde dieser Zorn von Jesus am Kreuz völlig gestillt (Röm 5,9; 1. Thess 5,9-10). Vers 26b fasst die dichte Theologie dieses Abschnitts zusammen: Paulus sagt über Gott „… er gerecht ist und den rechtfertigt, der des Glaubens an Jesus ist“. Angesichts der menschlichen Sünde und der… Weiterlesen »

Last edited 2 Jahre zuvor by Schlotti
Schlotti
2 Jahre zuvor

Entschuldigung, die Zitate richten sich vorwiegend an toblog.

Was Moo schreibt, ist aber derart hilfreich, dass es für alle Christen ermutigend und stärkend ist.

Im übrigen. Selbst wenn man in einem Forum auf Menschen stößt, die man eigentlich nicht kennt und die man noch nie getroffen hat, kann man sich dennoch an ihnen freuen und von ihnen lernen. Deshalb schließe ich mich Ron an: Es ist wirklich schön, mal wieder etwas von Schandor zu lesen!

Last edited 2 Jahre zuvor by Schlotti
schandor
2 Jahre zuvor


@Schlotti
Ich danke euch sehr für eure Worte! Habe mich sehr darüber gefreut. Und ja, ich sehe wohl, daß es ein Ringen ist ums rechte Verständnis.
Möge es uns allen geschenkt werden.
Liebe Grüße!

toblog
2 Jahre zuvor

@Schlotti: Lieber Schlotti, die von dir aufgeführte Argumentation und Systematik der gängigen Sühnetheologie kenne ich selbstverständlich. Auch ist mir bewusst, dass Röm 3,21ff eine sehr gute Schlüsselstelle abgibt, um diese gängige Lesart zu unterstützen. Daher widme ich in meiner Veröffentlichung diesen besonders kritischen Stellen ein eigenes Kapitel. Man kann die Römerpassage auch anders lesen.

Ich darf nochmals betonen, dass ich den Vergeltungsaspekt von Anselm komplett zurückweisen kann (dekonstruriere), aber dabei ja nicht stehen bleibe, sondern eine alternative Systematik vorlege (konstruiere), freilege auf einzig der biblischen Grundlage. Es ist ansonsten alles Bekannte noch da. Auch die Sühne als Entsühnung, der Sühnort (Sühnedeckel im AT, Kreuz im NT). Das Wort vom Kreuz wird verstanden als eine einzige prominent aufgestellte Negation der Größe des alten Menschen. Das (!) Anti-Humanismus-Manifest sozusagen.
Gruss

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