Rezension: Der neue Paulus

Andreas Münch hat freundlicherweise das Buch Der neue Paulus – Handreichung zur Neuen Paulusperspektive (ISBN: 978-1522077107, Taschenbuch 7,85Euro, Kindle 3,99 Euro) rezensiert (Glauben und Denken heute, Nr. 20, 2/2017, S. 58–59):

Der neue Paulus – Handreichung zur Neuen Paulusperspektive

41SMFXcovuL SX311 BO1 204 203 2002017 feiert die protestantische Christenheit das 500. Reformationsjubiläum und gedenkt dabei auch an die Wiederentdeckung der biblischen Wahrheiten durch Männer wie Luther oder Calvin. Gerade Martin Luther gilt ja allgemein als der Initiator der Reformation und seine alles entscheidende Frage lautete bekanntlich: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott, oder anders formuliert: Wie kann der Mensch vor Gott gerecht werden? Der Römerbrief des Apostels Paulus verhalf Luther zu einer befreienden Antwort, nämlich der Gerechtigkeit aus Glauben allein, und prägte die protestantischen Kreise bis in die heutige Zeit.

Dieses reformierte „Erbe“ wird in der neutestamentlichen Wissenschaft, insbesondere in der Paulusexegese, und mittlerweile auch im evangelikalen Mainstream, durch die sogenannte Neue Paulusperspektive (kurz NPP) kritisch hinterfragt. Da es mittlerweile viele Vertreter, Publikationen und verschiedene Ansätze der NPP gibt, hat der Laie es nicht leicht, einen konstruktiv-kritischen Überblick über diese theologische Bewegung zu haben. Das Buch von Ron Kubsch Der neue Paulus – Handreichung zur „Neuen Paulusperspektive“ möchte da Abhilfe schaffen. Mit seinen knapp 76 Seiten ist das Buch nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein erster Einstieg in die Thematik, wie der Autor, Dozent für Apologetik und Neuere Theologiegeschichte am Martin Bucer Seminar, im Vorwort betont.

Für wen die NPP vollkommen neu ist, der erfährt in der Einleitung, worum es eigentlich geht. Der Autor schreibt: „Die NPP tritt mit dem Anspruch auf: Wenn wir die Brillen der theologischen Traditionen ablegen und zum Verstehen des Neuen Testaments das frührabbinische Judentum heranziehen, begegnen wir dem wahren Apostel Paulus. Der Apostel, den wir bisher zu kennen glaubten, ist nicht viel mehr als eine Fiktion. Alles, was wir bisher über Paulus wussten oder zu wissen meinten, muss neu untersucht werden.“ (S. 10). Das es hier nicht um ein paar Nebenaspekte der Auslegung geht, verdeutlicht Kubsch direkt zu Anfang: „Im Raum steht nicht weniger als die große Frage: ‚Haben wir zentrale Gesichtspunkte des Evangeliums bisher falsch verstanden?‘“ (S. 11).

Das Buch ist übersichtlich in 3 Hauptteile gegliedert. In einem ersten Teil erläutert Kubsch die Vorgeschichte der NPP und skizziert kurz deren Wegbereiter und nennt die zwei bedeutendsten aktuellen Vertreter, James D. G. Dunn und N. T. Wright.

Im zweiten Teil erklärt Kubsch bedeutsame Anliegen der NPP und geht näher auf folgende Aspekte ein: 1) Die achtsame Wahrnehmung des literarischen Kontextes, 2) Das Judentum ist eine Gnadenreligion, 3) Paulus als jüdischer Evangelist, 4) Das Evangelium als Botschaft vom Sieg Jesu und 5) Die Glaubensgerechtigkeit. Die einzelnen Punkte sind recht kurz gehalten, da auf sie in der kritischen Würdigung (Teil 3) eingegangen wird. Hier erhält der Leser einen allgemeinen Überblick über das Anliegen der NPP.

Im dritten und größten Teil geht es um eine kritische Würdigung der NPP. Kubsch zeigt zunächst auf, wo die NPP unser Bibelstudium und unsere Auslegung bereichert und macht darauf aufmerksam, wie wichtig es ist, dass wir Traditionen immer wieder kritisch hinterfragen müssen: „Die neue Perspektive stellt zwar die traditionelle und insbesondere die reformatorische Paulusexegese auf den Prüfstand, so dass wir durch die Lektüre hin und wieder verunsichert werden. Aber das darf sie! Tradition gibt Festigkeit und Sicherheit, ist aber keine Garantie dafür, auf dem richtigen Weg zu sein“ (S. 35).

Er nennt folgende Punkte: 1) Die NPP zwingt uns zum intensiven Bibelstudium, 2) Die NPP regt dazu an, die Alte Paulusperspektive zu studieren, 3) Die NPP stimuliert exaktere Definitionen von theologischen Begriffen und Konzepten, 4) Die NPP erzielt Fortschritte bei der Suche nach der Einheit der Schrift, 5) Die NPP deutet die neutestamentlichen Schriften zielstrebig vom Alten Testament her, 6) Die NPP leistet einen Beitrag zur Überwindung des „Konflikts“ zwischen Offenbarung und Geschichte, 7) Die NPP korrigiert ein individualistisches Verständnis der Jüngerschaft und 8) Die NPP betont das Primat der Gnade schon im Alten Testament.

Natürlich darf der Anspruch der NPP auch kritisch hinterfragt werden. Kubsch hinterfragt die NPP, indem er verschiedene Anfragen an sie stellt und diese näher erläutert: Ist die NPP die ultimative Perspektive? Gibt es ein einheitliches palästinisches Judentum? Was sind die „Werke des Gesetzes“? Was verstehen wir unter „Gerechtigkeit Gottes“? Was verstehen wir unter „Evangelium“? Was verstehen wir unter Glaubensgerechtigkeit? Abschließend folgt ein Fazit im Schlusswort: „Die Bewegung stimuliert durchaus unser Bibelstudium und zwingt uns, genauer hinzuschauen und unsere Exegese hier und da zu revidieren. Aber es gibt daneben allerlei Gründe, Erträge der NPP kritisch zu hinterfragen“ (S. 55).

Mit diesem Buch hat Ron Kubsch eine hilfreiche Einführung in die recht komplizierte Thematik der NPP dargelegt, die auch für Neulinge leicht verständlich ist. Bei aller Kritik bleibt Kubsch sachlich und fair. Wer sich über diese Handreichung hinaus für die NPP interessiert findet im Anhang ausreichend Literaturhinweise, sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache.

 

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