Richtig gendern: Von (un)gerechter Sprache

Heike Schmoll hat kürzlich für die FAZ erklärt, dass der Duden als dritte orthographische Instanz während der insgesamt gescheiterten Rechtschreibreform alles unternommen habe, um seine Autorität zu verspielen. Der Verlag kompensiere seinen Autoritätsverlust, indem er krampfhaft nach anderen Alleinstellungsmerkmalen suche.

Was dabei herauskommt ist, sind Broschüren wie Richtig gendern. Daniel Vullriede hat das Büchlein für GLAUBEN UND DENKEN HEUTE gelesen. Ich darf die Rezension mit freundlicher Genehmigung hier wiedergeben:

  • Diewald, Gabriele/ Steinhauer, Anja, Richtig gendern: Wie Sie angemessen und verständlich schreiben, Berlin: Verlag Bibliographisches Institut GmbH (Duden), 2017. ISBN: 978-3-411-74357-5, Paperback, 128 Seiten, 12,00 Euro.

Von (un)gerechter Sprache

Buch genderViele Menschen im Saarland werden den Namen Marlies Krämer nicht mehr so schnell vergessen. Die 80-jährige Seniorin geriet Anfang 2018 in die Schlagzeilen, weil sie eine juristische Auseinandersetzung mit der Sparkasse Saarbrücken führte. Frau Krämer hatte Klage eingereicht, weil in den Vordrucken ihrer Bank die weibliche Anrede fehlte und sie als selbstständige Frau somit praktisch totgeschwiegen wurde. Das Argument bankenrechtlicher Vorgaben oder der Hinweis auf den normalen Sprachgebrauch überzeugte die Rentnerin nicht. Sie ging durch alle Instanzen, bis hin zum Bundesgerichtshof.

Sprache ist für das menschliche Leben unverzichtbar und meist gebrauchen wir sie wie selbstverständlich. Schwierig wird es natürlich, wenn Menschen durch Worte abgewertet und ausgegrenzt werden, oder gar Schaden erleiden. Wer will schon eine ‚ungerechte‘ Sprache?

Der Wunsch nach Gerechtigkeit

Die Autorinnen Gabriele Diewald (Professorin für Germanistische Linguistik an der Leibniz Universität Hannover) und Anja Steinhauer (Lektorin und promovierte Germanistin) bieten mit dem vorliegenden Duden-Büchlein den ersten umfassenden Ratgeber zum Gendern. Einerseits gehen sie damit auf zahlreiche Anfragen an die Dudenredaktion ein, andererseits spiegelt sich hier eine gewichtige, gesellschaftliche Entwicklung wider. Menschen in Institutionen, Verwaltungen und Firmen sollen nun eine praktische Hilfestellung zum gendergerechten Schreiben erhalten.

In der Einleitung werden zunächst konzeptionelle Grundlagen erläutert: Die Bedeutung des Wortes Gendern als die Anwendung geschlechtergerechter Sprache; die gesetzlichen Grundlagen zur Gleichberechtigung; die Funktion menschlicher Sprache und ihr Einsatz als ein Mittel für mehr Gendergerechtigkeit in der Gesellschaft.

Die Autorinnen beleuchten v.a. die schriftliche Kommunikation und folgen in ihrem Buch einer pragmatischen Grundhaltung: Weil die Menschen im deutschen Sprachraum aktuell in Männer und Frauen unterteilt werden, gehen sie vom „Prototyp der Zweigeschlechtlichkeit“ (S. 8) aus. Dennoch möchten sie die Möglichkeit oder die Legitimität anderer Geschlechteridentitäten nicht in Abrede stellen. Ihr Anliegen ist zunächst deskriptiv: ‚Richtig gendern‘ bedeutet für sie, situations- und sachangemessen, verständlich und gemäß der eigenen Absichten geschlechtergerecht zu kommunizieren.

Im Kapitel ‚Sprachliche Grundlagen‘ werden vier Ebenen von Worten und Personenbezeichnungen unterschieden: Das grammatische Geschlecht (Genus), das semantische Geschlecht (auf der Bedeutungsebene), das soziale Geschlecht (als kulturelle Kategorie) und das biologische Geschlecht. In einem Unterabschnitt erklären die Autorinnen das generische Maskulinum, das sie schließlich als sexistisch, sachlich unzutreffend und irreführend ablehnen. In einem Exkurs beleuchten sie anhand von Gegensatzpaaren eine sprachliche Alternative und sprechen sich u.a. für die Verwendung von neutralen Oberbegriffen aus (Person: Frau – Mann; Studierende: Studentin – Student).

Das Kapitel ‚Richtig gendern auf der Wortebene‘ präsentiert weitere Möglichkeiten gendergerechter Formulierungen: ausführliche Doppelnennungen von weiblichen und männlichen Personen (Kolleginnen und Kollegen), Sparschreibungen wie Schrägstrich mit Bindestrich, das große Binnen-I, Klammern, der Genderstern oder der Gendergap. Insgesamt sprechen sich die Germanistinnen dafür aus, Texte gut lesbar zu halten und Ersatzformen bzw. Neutralisierungen zu nutzen, wie z.B. Substantivierungen, Kurzwörter, direkte Anrede, das Passiv und Adjektiv-Formulierungen (Rat des Arztes – ärztlicher Rat).

Im Abschnitt ‚Richtig gendern in Satz und Text‘ beleuchten die Autorinnen sprachtheoretische Grundlagen von Sätzen und Texten. Sie definieren dazu vier Ebenen, die einzeln eine mäßige, eine hohe oder die höchste Genderrelevanz haben können. Dazu gehören Referenztypen (Klassen, Gruppen und Personen, auf die man Bezug nimmt), syntaktische Funktionen im Satz (Verhältnis von Subjekt und Prädikat), textuelle Funktionen (Ersterwähnung und Wiederaufnahme von Personen und Gruppen im Text) und der Wortstatus (je direkter der Personenbezug eines Wortes, desto höher seine Genderrelevanz). Zahlreiche Beispiele unterstreichen dabei den Gedankengang der Autorinnen.

Ein eigenes Kapitel machen die ‚Beispielanalysen‘ aus. Hier besprechen und revidieren die Germanistinnen unterschiedliche Texte, die sie als gut oder ungünstig gegendert ansehen. Im letzten Kapitel liefern sie noch einen knappen, historischen Abriss über moderne feministische Strömungen und deren Sprachkritik. Maßgebliche Personen, Buchtitel und Hauptargumente werden kurz genannt, ebenso die Ansätze und Absichten der heutigen Gender Studies. Ein weiterführendes Literaturverzeichnis und ein Register runden das Duden-Büchlein ab.

Kompetente Antworten, aber noch mehr Fragen

Zunächst einmal ist den Autorinnen eine kompetente Einführung gelungen – sowohl in die Möglichkeiten und Nuancen der deutschen Sprache, als auch in das grundsätzliche Anliegen einer nichtdiskriminierenden Sprache. Dabei ging es ihnen nicht um einen kanonischen Leitfaden, sondern um einen Ratgeber und um Impulse zur reflektierten Anwendung des Gelesenen. Ihre Argumente stellen sie nachvollziehbar dar, und trotz des heiklen Themas wird ein polemischer Tonfall fast durchweg vermieden. Beim Lesen kann man den Autorinnen ein persönliches Anliegen für die Gleichberechtigung aller Menschen abspüren.

Trotz der Fachkenntnis und einer gewissen Ausgewogenheit wirft das Duden-Büchlein Fragen auf. Bei der Lektüre wird ersichtlich, dass auch die Autorinnen nicht ‚neutral‘ sind. Stattdessen vertreten sie ein klares Weltbild und haben konkrete gesellschaftspolitische Absichten, die sich im Sprachgebrauch niederschlagen sollten. Viele ihrer Schlagwörter (z.B. geschlechtergerechte Gesellschaft, systematische Ungleichbehandlung aufgrund des biologischen Geschlechts) sind bereits ideologisch gefüllt, was eine offene Debatte zum Thema nicht unbedingt erleichtert. Auch der historische Abriss am Ende des Buches hat einen klar apologetischen Charakter und verschweigt die markanten Unterschiede bzw. Reibungspunkte zwischen den LGBT-, Queer- und feministischen Communitys.

Ein Schlüsselargument betrifft den Unterschied zwischen dem grammatischen und dem semantischen Geschlecht eines Wortes, der sich höchst unterschiedlich interpretieren lässt. Während manche im generischen Maskulinum eine grobe Diskriminierung sehen, sprechen sich andere mit derselben Argumentation für sein Inklusionspotenzial aus – gerade weil das semantische Geschlecht nicht automatisch das grammatische, soziale oder biologische Geschlecht bezeichnen muss.

So hat auch der Bundesgerichtshof die Klage von Frau Krämer (siehe oben) am Ende abgewiesen, weil die grammatikalisch ‚männliche‘ Formularsprache weder gegen das Gleichbehandlungsgesetz noch gegen Artikel 3 des Grundgesetzes verstoße, d.h. auf der Bedeutungsebene keine Geringschätzung des anderen Geschlechtes ausdrücke. Was ist nun Diskriminierung und wo beginnt sie? Reicht bereits eine ungeschickte Formulierung oder muss eine konkrete Absicht bestehen? Wie weit darf man anderen ihre Sprache vorschreiben?

Symptome für ein größeres Problem

So wichtig diese und ähnliche Fragen für das gesellschaftliche Miteinander auch sein mögen, sie wirken letztlich symptomatisch. Bereits vor über 50 Jahren wiesen christliche Denker wie Carl F. H. Henry oder Francis Schaeffer auf ein größeres Problem hin, nämlich dass unserer westlichen Welt die Verstehens- und Lebensgrundlage abhandengekommen sei.

Trotz alter und neuer Ideologien umgibt uns heute eine immense Ratlosigkeit: Was genau ist die Realität? Worauf gründet sie sich und wie kann man sie erkennen? Was macht den Menschen aus und wie sollte man letztlich leben? So ist es verständlich, wenn Gesellschaften die Frage nach der Realität, nach der eigenen Identität und nach der Ethik psychologisieren und individualisieren. Man komponiert sich selbst und muss alle störenden Hürden auf dem Weg dahin überwinden.

Christen werden gut daran tun, diese Anfragen ernst zu nehmen und sie auf der Grundlage der Bibel zu beantworten. Sie sollten erklären, was Mann und Frau wertvoll macht und zugleich voneinander unterscheidet. Sie sollten Diskriminierung und Missbrauch aufdecken und angehen, ohne jedoch unüberlegt die Methoden oder Denkkategorien einer nichtchristlichen Gesellschaft zu kopieren. Zugleich sollten Christen keine Angst vor Gegenwind haben und geduldig aufzeigen: Unsere Sehnsucht nach einer gerechten Gesellschaft werden auch eine gendergerechte Sprache und ähnliche Ansätze nicht stillen können. Umso mehr dürfen Christen Gott mit ihren Worten ehren, bescheiden die Wahrheit sagen und andere Menschen mutig auf Jesus Christus hinweisen. Denn ihn ihm, dem inkarnierten und verherrlichten Gottessohn höchstpersönlich, hat sich uns die wahre, umfassende Gerechtigkeit offenbart.

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Schandor
5 Jahre zuvor

Daniel Scholten, „Denksport Deutsch“.
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Lesen. Denken. Selbst.

Darin erfährt man, weshalb die Genderei reine, ausnahmslose und pure Terrorideologie ist.

Für Selbstdenker: Nicht Sprache kann gerecht oder ungerecht sein, sondern einzig der Mensch selbst.
Denn wenn es so weit kommt, wie es schon ist, haben wir sehr bald ungerechte Begriffe, Wörter, Aussagen. Ade, Redefreiheit.

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