Schlimm, wie Kirchen mit ihrem Liedgut umgehen

Konfirmation in einer Kleinstadt an der Ruhr. Es ist eine gelungene kirchliche Feier. Nur an einem hapert es: dem Gesang. Der alte Kirchenlieder-Kanon wird nicht gepflegt, ein neuer nicht aufgebaut. Erstaunlich, dass der leitende Feuilletonredakteur der Zeitschrift DIE WELT die Christenheit in Deutschland darauf aufmerksam macht, dass es vielerorts um das Liedgut und den Gesang nicht gut bestellt ist.

Tilman Krause schreibt:

So weit, so gut und auf eine überzeugende Weise zeitgemäß. Aber: Was nahezu vollkommen auf der Strecke blieb, war das Zutrauen in die musikalische Überlieferung. Ein einziges von unseren wunderschönen, altbekannten Kirchenliedern war vorgesehen: „Großer Gott, wir loben dich“. Und hier erhoben denn auch einige Gemeindemitglieder ihre Stimme.

Bei den neuen Gesängen jedoch, von denen der Verfasser dieser Zeilen noch nie etwas gehört hatte, blieb es weitgehend stumm. „Morgenlicht leuchtet, rein wie am Anfang“, hieß das erste, das gar nicht mal schlecht oder besonders schwer zu singen war. Das galt auch für die folgenden: „Wohl denen, die noch träumen in dieser schweren Zeit!“ oder „Vergiss es nie, dass du lebst, war keine eigene Idee von dir“.

Über die wacklige Grammatik sah man gern hinweg, und der Refrain „Du bist du, das ist der Clou, du bist du“ erinnerte auf lustige Weise an das Schu-bi-du in ZDF-Hitparaden aus den Siebzigerjahren. Schließlich entpuppte sich „Möge die Straße uns zusammenführen“ mit dem bildkräftigen Refrain „Und bis wir uns wiedersehen, halte Gott dich fest in seiner Hand“ als richtiger Ohrwurm, mit dem man beschwingt die Kirche verlies.

Nur: Das alles nahmen die Gemeindemitglieder erst recht nicht an. Sie blieben zusehends still. Fragte man herum, erfuhr man, dass auch ihnen dieses neuere Liedgut unbekannt war. Aber wäre es dann nicht besser, die Menschen „dort abzuholen, wo sie stehen“ und sie bei solchen Gelegenheiten mit den Liedern zu konfrontieren, die sie kennen?

Dass die Einladung zu aktiver Mitgestaltung des Gottesdienstes an die Kirche bindet, hat man in dieser Gemeinde offenbar erkannt. Dass die einfachste Mitgestaltung von jeher im Mitsingen besteht, hingegen nicht. In keiner anderen Handlung (außer dem Abendmahl) erleben wir uns jedoch so intensiv als Christen wie im gemeinsamen Singen.

Dieses Singen müssen wir wieder lernen. Beginnen wir mit dem, was sich bewährt hat.

Mehr: www.welt.de.

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3 Kommentare
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Stephan
7 Jahre zuvor

Woher soll denn der Gesang kommen? Die Kirchen sind nur noch bei folkloristischen Veranstaltungen wie Taufen, Konfirmation, Hochzeit, Weihnachten … gut besucht, alte als auch neue Lieder sind ebenso wenig bekannt wie das Evangelium oder gar die gesamte Bibel. Seit über 40 Jahren bin ich nebenamtlich / ehrenamtlich Organist und habe diverse Gesangbücher gesammelt. Je neuer, desto flacher – insbesondere die Texte. Seit ein paar Jahren sind oftmals die Liedexte nicht mehr mit der Bibel in Übereinstimmung zu bringen. Das gilt nicht nur für das Machwerk „Singt Jubilate“ der evangelischen Amtskirche (>80% der Texte sind beanstandungswürdig), sondern auch für die in Freikirchen genutzten modernen Liedsammlungen. Aber Paul Gerhardt ist für viele bereits zu anspruchsvoll, weil seine Aussgen nicht mehr verstanden werden bzw. in Kontext zum Evangelium gesetzt werden können. Aber kann ich Tilmann Krause ernst nehmen? Das „Morgenlicht leuchtet“ steht seit Jahren im EKG und in einigen freikirchlichen Heften , man könnte es also kennen, falls man seine Gemeinde regelmäßig… Weiterlesen »

florian
7 Jahre zuvor

„Je neuer desto flacher“
„(>80% der Texte sind beanstandungswürdig)“

Lieber Stephan,
erklär doch bitte, was du damit meinst! Wenn ich z.B. Psalm 134 lese, könnte ich auch sagen: wenig Inhalt. Was hast du an „Morgenlicht leuchtet auszusetzen“? Der Text scheint mir sauber zu sein.
By the way, ich empfinde ebenso wie du, aber ich frag mich, was an den neueren Liedern eigentlich das Problem ist…
Liebe Grüße
Florian

Stephan
7 Jahre zuvor

Hallo Florian,
gerade das „Morgenlicht leuchtet“ hatte ich nicht kritisiert (nicht kritisieren wollen, vielleicht habe ich mich da mißverständlich ausgedrückt) – aber sollte Dir das Buch „Singt Jubilate“ in die Hände fallen, dann schaue Dir mal bitte ein paar Texte an. Teilweise findest Du Lieder, die Dir aus freikirchlichen Liedsammlungen bekannt sind, z.T. unter identischem Titel, aber mit einem veränderten Text, der mit biblischen Aussagen nicht mehr übereinstimmt. Ich bin froh, dass „meine“ Pfarrer dieses Buch nicht verwenden oder nur mit selbst durchgeführten Textänderungen.
Gerne bringe ich bei Bedarf mal ein Beispiel – aber gerde bin ich ohne dieses Buch unterwegs.

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