Ukraine: Keine Spur von entführtem Pastorenehepaar aus Mariupol

Nach wie vor fehlt jede Spur von dem am Abend des 21. September verhafteten Pastor Leonid Ponomaryov, Leiter einer Gemeinde des Rats der Baptistengemeinden in Mariupol und seiner Frau Tatyana. Abgesehen von dieser Entführung sind auch weitere, teilweise mehrere Monate zurückliegende Übergriffe gegen religiöse Leiter in den von Russland besetzten bzw. annektierten Gebieten der Ukraine bekannt geworden. Bereits am 23. Juni brachte das russische Militär eine Delegation von Priestern des Moskauer Patriarchats nach Mariupol. Sie besuchten mehrere Kirchen, darunter auch die der Orthodoxen Kirche der Ukraine angehörende Kirche des Heiligen Petro Mohyla. Petro Andriuschtschenko, ein Berater des bereits aus der Stadt geflohenen ukrainischen Bürgermeisters von Mariupol bezeichnete die ungebetenen Besucher als mit Priestergewändern bekleidete Geheimdienstbeamte und berichtete, sie hätten die zahlreichen von Freiwilligen und Wohltätern gesammelten Bücher der Bibliothek der Kirche in den Hof gebracht und verbrannt.

Im Juli eroberten russische und von Russland unterstützte Truppen die Stadt Lyssytschansk in der Region Lugansk. Innerhalb weniger Tage beschlagnahmten sie das Gebäude der Baptistengemeinde, der größten protestantischen Gemeinde in der Stadt. Männer in Uniform rissen das Eingangstor nieder, um sich Zutritt zu verschaffen. „Sie warfen all unser Eigentum hinaus, einschließlich unserer christlichen Literatur, darunter Bibeln und Lehrmaterial“, berichtete der Pastor der Gemeinde, Eduard Nosatschov. Einige der verbliebenen Gemeindeglieder nahmen die Bibeln, die man in einen Nebenraum geworfen hatte, nach und nach mit und versteckten sie trotz der Gefahr an sicheren Orten. Das Gebäude wird jetzt von der von Russland kontrollierten Stadtverwaltung genutzt. Ende September nutzten es die Behörden der Volksrepublik Lugansk auch als Wahllokal für das Scheinreferendum über den Anschluss des Lugansker Gebiets an Russland. Pastor Nosatschov, der selbst bei den Ereignissen nicht anwesend war, da er bereits im April die Stadt wegen der Kämpfe verlassen hatte, berichtete auch, dass die christlichen Gemeinden am Ort vor dem Krieg die Bevölkerung unterstützt hätten. Dennoch hätten die Bewohner nach Einrücken der Russen die örtlichen Christen und deren Wohnsitz an die neuen Machthaber verraten. Nach Angaben von Pastor Nosatschov hätten Russische Beamte auch gegenüber Mitgliedern verschiedener christlicher Gemeinden in Lyssytschansk erklärt, dass die Militärverwaltung alle Baptisten, Pfingstler und Adventisten als Extremisten eingestuft und ihnen die Betätigung verboten hätte.

Am 14. Juni führten Beamte des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB eine Razzia in einer Baptistengemeinde in Vasilivka durch und erfassten die Daten aller Anwesenden. Dies berichtete ein Leiter des Ukrainischen Baptistenbundes gegenüber Forum 18. Die Beamten erklärten, dass die Gemeinde als „destruktive Sekte“ geschlossen würde und dass keine weiteren Versammlungen gestattet würden. Durchsuchungen fanden an mehreren Gottesdienststätten in den besetzten Gebieten statt. Am 18. Juni nahm das russische Militär Valentin Zhuravlev, einen Pastor der protestantischen Kirche Quelle des Lebens in Melitopol, der auch als Tierarzt tätig ist, bei einer nicht politischen überkonfessionellen Gebetsversammlung auf dem Stadtplatz fest. Er wurde Berichten zufolge bereits freigelassen. Anfang August beschlagnahmte das russische Militär das Gebäude der von Pastor Viktor Sergeyev geleiteten Christengemeinde Melitopol und verbot alle weiteren Gottesdienste. Das große Gebäude mit Brunnen und Palmen auf dem Gelände wird inzwischen als Kultur-, Unterhaltungs- und Sportkomplex genutzt. Am 4. August postete die Ortschefin eines nahegelegenen Dorfes ein Foto von sich selbst und dem beschlagnahmten Gebäude der Christengemeinde Melitopol auf Telegram, auf dem eine große russische Flagge prangte. Dazu schrieb sie: „Grüße vom Jugend- und Sportministerium. Das Gebäude der Sekte, die sich gegen die russische Föderation versammelt hat, dient ab jetzt dem Nutzen der Russischen Föderation.“ Das Gebäude der Pfingstgemeinde von Melitopol wurde laut Berichten einer lokalen Nachrichtenagentur vom 30. August vom russischen Militär beschlagnahmt und dient jetzt als Militärbasis

Am 11. September war die protestantische Gnadenkirche in Melitopol Ziel einer Razzia des russischen Militärs während des sonntäglichen Gottesdienstes. Die Soldaten erfassten Namen und Ausweisdaten aller Anwesenden. Allen Männern wurden Fingerabdrücke abgenommen und ihre Identitätsdokumente wurden ihnen abgenommen. Das Militär beschuldigte die Mitglieder der Gemeinde, Verbindungen zu den USA zu haben und erklärten das Gebäude für verstaatlicht. Sie sprachen ein Verbot aus, wieder zu kommen. Zwei Pastoren wurden festgenommen.

Am 21. September besuchten russische Militärangehörige die Baptistengemeinde im Dorf Tschkalovo im Bezirk Melitopol und verboten alle weiteren Gottesdienste. „Nach dem Referendum werdet ihr nicht mehr hier sein wir haben nur einen Glauben – den Orthodoxen“ erklärte laut Angaben eines Gemeindemitglieds einer der Soldaten.

Ebenfalls geschlossen wurde die Birlik (Einheit) Moschee in einem Dorf in der Region Cherson. Rustem Asanov, der Imam der Moschee, ein Krimtatar, wurde bereits im Frühjahr festgenommen und in einem unterirdischen Raum von russischen Besatzern misshandelt. Die Moscheegemeinde wurde wie andere Religionsgemeinschaften aufgefordert, sich von ihrem ukrainischen Dachverband zu trennen und der entsprechenden russischen religiösen Körperschaft anzuschließen. Ein Behördenvertreter, der sich weigerte seinen Namen zu nennen und sich nur mit dem Pseudonym „Bars“ (Leopard) zu erkennen gab, erklärte gegenüber Imam Asanov, dass sich zu gegebener Zeit alle Religionsgemeinschaften in den von Russland kontrollierten Gebieten nach russischem Recht beim Justizministerium der Russischen Föderation neu registrieren lassen müssten.

Quelle: Forum 18, Oslo (Bericht vom 21. Oktober 2022). Deutsche Fassung: Arbeitskreis Religionsfreiheit der ÖEA.

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