Verfolgung und Diskriminierung von Christen (Schluss)

Hier der Schluss der Reihe zur Christenverfolgung von Max Klingberg:

 

Verfolgung und Diskriminierung von Christen (Teil 5)

Arabischer Herbst?

Die Demokratiebewegung im Iran und der Arabische Frühling hatten gezeigt, dass es in einigen Ländern sehr wohl eine Gegenentwicklung gibt. Getragen wird sie vorwiegend von Studenten und Akademikern, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Trennung von Religion und Politik fordern. Zu ihnen gehören liberale Muslime, wenige religiöse und Kultur-Muslime, aber Atheisten mit muslimischem Hintergrund.

Diese Entwicklung rührte an den Grundfesten der dortigen Gesellschaften. Die Wahlen und die bisherige Entwicklung zeigen aber, dass die Wege zu liberalen, offenen Gesellschaften noch sehr lang sind und es keineswegs klar ist, in welche Richtung die weitere Entwicklung geht. Die Veränderungen haben zahlreiche bisher Verdeckte Konflikte frei gelegt – auch Konflikte innerhalb der Islamisten.

Es gab auch Unerwartetes und Überraschungen. Die ägyptischen Muslimbrüder etwa bemühten sich darum, die Furcht der ägyptischen Christen zu zerstreuen. Und manche Kopten sehen in den frommen Muslimen bessere Bündnispartner als in „gottlosen“ Säkularisten. Die Partei der Muslimbrüder hat nicht nur christliche Mitglieder gewonnen, sondern sogar christliche Kandidaten aufgestellt. Mehr noch: Die oberägyptischen Ortschaft Qufãdah im Gouvernorat al-Minya zählt nur wenige Tausend Einwohner. Sie zeigt aber, dass die Situation vielschichtiger ist als das übliche Stereotyp. Orts-Oberhaupt ist der koptische Priester Abuna Yu’annis. In einem Ort mit nur etwa 15% christlichen Einwohnern hat er für die salfistische al-Nūr Partei kandidiert – und gewonnen. Es gibt in der Tat Gewalt gegen Christen, aber die Situation ist kompliziert und passt nicht in ein einfaches Schema. Wie sie weitergeht, ist gegenwärtig nicht absehbar.

Schon die erheblichen wirtschaftlichen Probleme werden die Zukunft für alle Beteiligten schwieriger machen. Hinzu kommen die innerstaatlichen Konflikte: Der Exodus der irakischen Christen aus dem Irak hat sich verlang- samt, doch die christliche Minderheit ist dort auf einen Bruchteil zusammengeschmolzen. Manche Beobachter sehen trotz einiger relativ ruhiger Regionen im Nord-Irak bereits das Ende der dortigen heimischen Kirchen, die immerhin auf eine längere Geschichte zurückblicken können, als die Kirchen in Mitteleuropa. Die Situation in Syrien, bisher eines der wichtigsten Fluchtziele, ist durch den Bürgerkrieg selbst für viele die dort heimischen Christen geradezu unerträglich geworden. Im Ganzen Betrachtet leiden in der „islamischen Welt“ vor allem Frauen, säkulare Muslime und ganz besonders die Angehörigen religiöser Minderheiten in besonderem Maß.

In der Mehrheit der muslimisch geprägten Staaten der Erde ist die Lage für die einheimischen Christen und für die anderen Minderheiten im günstigsten Falle gleich geblieben – und zwar gleich schlecht. In mehreren islamisch geprägten Staaten hat der Druck auf die örtlichen Christen jedoch noch weiter zugenommen, vor allem durch verstärkte Einschüchterungen durch islamische Fundamentalisten.

Einheimische christliche Minderheiten

Wenn Mitteleuropäer islamisch geprägte Staaten als Touristen besuchen oder dort arbeiten, werden sie meist völlig anders behandelt, als die einheimischen Christen. In vielen muslimischen Ländern existieren Kirchen verschiedenster Konfessionen, in denen ausländische Christen relativ große Freiheit genießen. Die einheimischen Christen können eben diese Kirchen jedoch vielfach nicht aufsuchen – zum einen wegen der Sprachbarriere, zum anderen weil sie Repressalien fürchten müssen.

Einheimische können in aller Regel nicht nur keine offiziell genehmigten (Konvertiten-)Gemeinden gründen, sie werden auch durch den Sicherheitsapparat des jeweiligen Landes überwacht, an einem normalen Gemeindeleben und nicht selten an jeglicher öffentlicher Äußerung oder Evangelisation gehindert – und damit in der Bedeutungslosigkeit gehalten.

Wenn ausländische Christen bevorzugt werden, dann kommt dies praktisch ausschließlich Christen aus wohlhabenden und einflussreichen Staaten zugute. Christliche Gastarbeiter aus den Philippinen werden z. B. auf der ara- bischen Halbinsel zum Teil noch härter ausgebeutet als ihre muslimischen Leidensgenossen aus Pakistan, Bangladesch und Indien. Das gilt insbesondere für christliche Hausangestellte, die zum Teil auch sexuell missbraucht werden.

Die einheimischen Christen und Kirchen werden innerhalb eines Landes zum Teil sehr unterschiedlich behandelt. Besonders deutlich wird das in den zentralasiatischen Republiken, die aus der ehemaligen Sowjetunion hervorgegangen sind. In Usbekistan ist die Lage der ethnisch usbekischen Konvertitengemeinden sehr prekär. Die Lage der Mehrheit der einheimischen Christen ist aber für ein muslimisch geprägtes Land relativ unspektakulär. Denn: Die Mehrheit der einheimischen Christen stellen ethnische Russen aber auch Ukrainer, Armenier und andere europäische Minderheiten.

Sie gehören überwiegend orthodoxen, missionarisch völlig inaktiven Gemeinden an. In anderen Fällen werden die einheimischen christlichen Minderheiten zum Spielball bei der Auseinandersetzung zwischen Regierungen und einflussreichen islamischen Fundamentalisten, die bis zum Arabischen Frühling vielfach als die schärfsten Konkurrenten um die Macht im Staat galten. Oft wurden militante islamische Extremisten daher konsequenter verfolgt als die Untergrundkirchen.

Außerdem müssen Angehörige christlicher Minderheiten nicht automatisch gleich (schlecht) behandelt werden. Nach Aussage vieler ägyptischer Christen gibt es vermutlich mehr koptische als muslimische Euro-Millionäre. Christen aus diesen sehr reichen Familien haben es in Ägypten in Einzelfällen sogar geschafft in Generals- und Ministerränge aufzusteigen. Ob dies auch in Zukunft möglich sein wird, bleibt abzuwarten. Gleichzeitig gibt es auch muslimische Müllsammler und es gibt einheimische, muslimische Nubier, die möglicherweise noch stärker diskriminiert werden als die christlichen Kopten – ganz zu schweigen von den muslimischen, aber schwarzafrikanischen Flüchtlingen aus dem sudanesischen Darfur.

Konvertiten – am härtesten verfolgt

In islamisch geprägten Ländern trifft es am härtesten Konvertiten, also Christen, die einen muslimischen Familienhintergrund haben. Ihr Glaube wird nicht als private Angelegenheit betrachtet, sondern als Verrat am Islam und als Schande für die Familie. Konvertiten, deren Glaubenswechsel entdeckt wird, drohen schlimmste Sanktionen – bis hin zu Schlägen, Morddrohungen und Mord. In Ländern ohne funktionierende soziale Sicherungssysteme und in islamisch geprägten Gesellschaften mit ihren Vorstellungen von „Ehre“ und „Schande“ ist ein (Über-)Leben ohne Familie insbesondere für Frauen kaum vorstellbar. Konvertiten werden in den meisten muslimischen Ländern nicht „nur“ diskriminiert – sie werden verfolgt. Zuerst oft von den eigenen Angehörigen, obwohl auch Misshandlungen und Morde durch staatliche Sicherheitsorgane und durch nichtstaatliche Extremisten immer wieder berichtet werden.

Jüngere Frauen, deren Konversion zum Christentum bekannt wird, werden fast immer unverzüglich verheiratet. Da es sich um eine „Schande“ handelt, findet sich praktisch nie ein Mann, der die Frau oder das Mädchen freiwillig ehelicht. Das Familienoberhaupt, oft der väterliche Großvater, bestimmt, zu- meist einen Cousin, der die Konvertitin heiraten muss.

Die Konvertitin und ihr Ehemann finden sich in einer erzwungenen Ehe wieder, die sie beide nicht wollten. Schlimmer noch: im kulturellen Kontext von „Ehre“ und „Schande“ wird von der übrigen Familie und – sofern die Konversion der Frau bekannt wurde – auch von der Nachbarschaft erwartet, dass der Ehemann seine Frau wieder zu einer „guten Muslimin“ macht. Gelingt ihm das nicht, so verliert er vor der Familie und der muslimischen Nachbarschaft sein Gesicht. Die „Ehre“ aber ist für viele orientalische Män- ner von größerer Bedeutung, als das eigene Lebensglück. Wichtiger als das Lebensglück einer ungeliebten und unter Zwang geheirateten Ehefrau ist sie in jedem Fall. Für christliche Konvertitinnen, die ihrem neuen Glauben nicht überzeugend abschwören, auch durch Teilnahme an islamischen Riten wie den Pflichtgebeten und ähnlichem, beginnt ein oft jahrelanges Martyrium. Sie werden geschlagen, körperlich und seelisch misshandelt, bis hin zur Folter durch den Ehemann oder durch Brüder. Schläge, vielfache Erniedrigungen und dauerhafte sexuelle Gewalt sind alltäglich. Vergewaltigung in der Ehe existiert nach islamischem Eheverständnis nicht, da der Ehemann „das Recht“ am Körper seiner Frau hat.

Die Frauen können nirgendwo hin entfliehen, da ihre Angehörigen sie wieder an den Ehemann ausliefern würden. Die privaten Kontakte der Frau sind in aller Regel der Familie bekannt. Eine Infrastruktur für Opfer häuslicher Gewalt wie es sie in Deutschland gibt, mit Frauenhäusern, Beratungsstellen, Notschlafstellen usw., existiert in den meisten islamischen Ländern nur rudimentär oder gar nicht. Einrichtungen der Kirche nehmen Konvertiten ebenfalls nicht auf – würden sie dort entdeckt, hätte das mit großer Wahrscheinlichkeit die Schließung der gesamten Einrichtung zur Folge.

Auf den Entscheidungsträgern der Kirchen ruht die Verantwortung für die kirchlichen Einrichtungen. Sie haben nicht nur Angst vor der Schließung ihrer Liegenschaften, sondern auch vor Verhaftungen durch die Staatssicherheit und vor gewalttätigen Übergriffen, Provokationen und Spitzeln islamischer Extremisten. Solche Sorgen sind keineswegs unbegründet. Konvertiten finden daher bei den Kirchen keinen Schutz!

Selbst in christlich geprägten Ländern Europas sind ehemalige Muslime, die sich zu ihrem christlichen Glauben bekennen, nicht automatisch sicher. Auch sie können Opfer von Einschüchterungen, körperlicher Gewalt, Morddrohungen oder sogar von „Ehrverbrechen“ werden.

Der Druck, dem sie ausgesetzt sind, ist immens, auch wenn er für uns in der Regel nur in Ausnahmefällen sichtbar wird. Etwa bei besonders grausamen „Ehrenmorden“, über die dann in Einzelfällen in Europa berichtet wird. Im August 2008 hatte beispielsweise ein Muslim aus Saudi-Arabien seiner eigenen Tochter die Zunge herausgeschnitten und die junge Frau anschließend lebendig verbrannt, weil sie Christin geworden war. Sowohl verstümmeln als auch verbrennen bei lebendigem Leib für den Übertritt zum Christentum sind weniger selten als man es erhoffen möchte.

Meisten werden solche „Ehrdelikte“ aber nicht wegen des Übertritts zum Christentum vollstreckt, sondern wegen anderer angeblicher oder tatsächlicher „Verfehlungen“, z.B. wegen angeblichem oder tatsächlichem Verlust der Jungfräulichkeit oder der Flucht vor einer Zwangsehe. Ebenso erschreckend wie solche Grausamkeiten ist das Verständnis mancher Kultur-Relativisten oder deren beständiges Ignorieren solche Grausamkeiten.

Christen gegen Christen

Traurig aber wahr ist, dass in vielen Fällen auch Christen für Benachteiligung und Leiden anderer Christen verantwortlich sind. In manchen Ländern genießen einzelne christliche Kirchen eine gesellschaftliche oder auch rechtlich dominierende Position.

Das Beispiel der Lutherischen Kirchen in Skandinavien zeigt, dass das keineswegs zwingend zu einer Belastung für andere Kirchen führen muss. In manchen Staaten, wie z.B. in Russland oder Griechenland, gehen große Kirchen gegen kleine, „konkurrierende“ Denominationen vor. In Ägypten sind koptisch-orthodoxe Christen von ihren Geistlichen mit der Exkommunikation bedroht worden, wenn sie auch nur zu einem evangelischen Hauskreis gehen wollten. Fälle von körperlicher Gewalt an Kopten, die sich entschlossen hatten, zu einer anderen christlichen Konfession zu wechseln, sind leider keine Einzelfälle – das gilt auch für „Ehrenmorde“ an Christen, die sich entschieden hatten, Muslime zu werden oder Muslime zu heiraten.

Während in muslimisch geprägten Ländern die Geheimdienstmitarbeiter, „Befrager“ und Folterer soweit bekannt offenbar ausnahmslos Muslime sind, stellen sich auch regelmäßig Angehörige der christlichen Minderheiten in den Dienst dieser Geheimdienste, teils als Spitzel, teils indirekt. Missionarisch aktive Konvertiten berichten, dass sie verhaftet und gefoltert wurden – nicht weil Muslime, sondern weil Christen sie bei der Staatssicherheit angezeigt hätten, um „Ärger“ zu vermeiden oder möglicherweise auch um konkurrierenden Konfessionen zu schaden.

Die Sorge vor Provokationen und Repressalien durch Sicherheitsbehörden und Extremisten gegen missionarisch aktive Gemeinden ist durchaus sehr berechtigt. Aber mancher Laie und mancher Geistliche geht in vorauseilendem Gehorsam deutlich weiter, als die Umstände ihn zwingen oder sein Ge- wissen ihm erlauben könnte.

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1 Kommentar
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Jordanus
11 Jahre zuvor

wunderbar, das ist mal ein differenzierterer Blick – können wir brauchen!

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