Versöhnung durch Sühne

In seiner Vorlesung zur Rechtfertigungslehre (aus: Dogmatik-Vorlesungen 1957–1960,  Münster: Lit Verlag, 2013, S. 150–152) eröffnete Hans Joachim Iwand den Teil zur Versöhnungslehre mit einer religionsgeschichtlichen Darstellung. Deutlich wird dabei, dass er er den alttestamentlichen Kult als Erwartung und Vorbereitung des neutestamentlichen Sühnegeschehens deutete (vgl. Röm 3,24–26).

Wir gehen […] zunächst nicht vom biblischen Verständnis des Wortes [,Versöhnung1] aus, denn jene lexikographische Form, Theologie zu treiben, indem wir ein bestimmtes biblisches Verständnis des Wortes zum Ausgangspunkt nehmen, verliert nur allzu leicht den Sachbezug, in dem das Wort steht. Und die Schrift will ja nicht als eine Sammlung theologischer Worte und Begriffe gelesen sein, sondern als Zeugnis vom Handeln Gottes, wie es sterblichen und sündhaften Menschen widerfahren ist. So begegnet uns denn auch der Begriff ,Versöhnung’ im AT wie im NT im Zusammenhang mit Taten und Handlungen, sei es nun solchen Gottes mit uns oder solchen, die von Menschen her auf Gott hin vollzogen werden. Und wie immer man es auch fassen möge, ,versöhnen’ hat es im AT zunächst einmal mit Sühne zu tun. Es gilt, Gottes Zorn zu versöhnen, und so hat unser Wort seinen ureigensten Bereich in den Opferhandlungen, die sich in einem geregelten Kultus vollziehen. Man weiß eines, und man weiß das unter allen Völkern, dass es besonders bedrängende Lagen gibt, in denen es gilt, den Zorn Gottes zu beschwichtigen. Je kostbarer das Opfer ist, das der Mensch bringt, desto eher hofft er Gott zu besänftigen (placare, reconciliare). Wir werden gut daran tun, über diese in der gesamten Religionsgeschichte der Menschheit verbreitete Handlung des Sühnens ein wenig vorsichtiger zu urteilen, wenn wir erkennen, wie sehr diese Neigung in der menschlichen Natur verwurzelt ist: Man meint – und das eben ist die furchtbare und traurige Verfinsterung und Gottesfeme unseres Lebens -, dass es eine Wiedergutmachung1 Gott gegenüber gäbe, man meint, wir könnten etwas geben, um Gott umzustimmen. Dabei geben wir nun aber gerade , etwas’, also nicht uns selbst: nicht ein Ganzopfer des Menschenherzens, sondern etwas, das nicht wir sind! Und eben dies ist das Bedenkliche und Widergöttliche, daschen Religionen und Kulten vor, weshalb diese ja auch nicht irgendwelchen Phantasien entstammen, vielmehr einen sehr realen und oftmals erschütternden ernsten Akt im Handeln einer leidenden und gequälten Menschheit darstellen, die versucht, sich mit dem Himmel zu versöhnen. Es ist ein Wissen da um Schuld und die Meinung, dass Schuld und Strafe Zusammenhängen: von daher der Versuch der Menschen, der so alt ist wie sie selbst und den keine Aufklärung ihnen je wird ausreden können, die Götter zu versöhnen. Das ist die Wurzel aller Kulte.

In diesem Sinne haben auch der Kult und das Opfer seinen Platz im AT gefunden, und zwar so deutlich und so entschieden, dass hier als beherrschend heraustrat, was bei den Heiden sozusagen mehr an den Rand gedrängt war und nur hin und wieder aufbrach. Gerade jenes leidenschaftliche Bemühen, Gott zu versöhnen, beherrscht das Leben des alttestamentlichen Gottesvolks. Hier weiß man, dass die Sünde, damit dass sie getan ist, nicht hinter uns liegt, sondern dass sie weiterlebt, dass Gottes Arm noch ausgereckt ist, dass solche Menschentat damit, dass sie geschehen ist, eine Wirklichkeit wurde (etwa Kains Bluttat), die als solche nun auch die Wirklichkeit unseres Lebens gestaltet, und dass darum Gottes Grimm und Zorn über eben dieser Wirklichkeit steht. Es ist undenkbar, dass Gott auf die Sünde, die Übertretung seines Willens, nicht reagiert, undenkbar, dass er schwiege, wenn sein Name missbraucht, seine Anrufung unterlassen oder wenn er gar verraten wird, um anderen Göttern zu dienen.Es fallt auf, dass die Bibel unbedenklich vom Zorn Gottes redet, von seinen Gerichten und von seinem Grimm, beispielhaft im 1. Kapitel des Römerbriefs, in dem Paulus geradezu die Quintessenz der Zomesworte Gottes aus dem AT zusammengetragen hat. Dieser Zorn ist aber nichts anderes als das Verhalten Gottes zu der durch die Tat des Ungehorsams bestimmten Wirklichkeit des Menschen und der Welt. Wenn die Welt Gottes Welt ist, kann Gott neben sich und um sich nicht diese „Nichtigkeit“ [vgl. Röm 1, 21], diese auf den Nenner , Sünde4 zu bringende Größe dulden. Der Zorn Gottes ist Gottes Nein gegenüber der Zumutung, diese Wirklichkeit nun einfach auch als Wirklichkeit gelten zu lassen. Und selbst wenn wir Menschen sie gelten ließen – Gott kann und wird das nicht tun. Und eben das weiß in einer besonderen Weise, die nicht von den Tatsachen zur Ursache, sondern von der Ursache zur Tatsache geht, das AT: Es weiß, dass wir dahin müssen durch seinen Zorn [vgl. Ps. 90, 9], es weiß, dass die Gesetzgebung Leben und Tod bedeutet [vgl. Dtn 30] , es weiß, dass Gott in einem heiligen Volk leben will – und nur in ihm. Das ist die Größe des AT, dass es sich nicht begnügt mit der Harmonisierung und Versöhnung von Gott und Welt, sonderneben darin als widergöttlich erwiesen wurde, dass Gott das Werk der Versöhnung selbst übernommen hat. Der Sühne-Gedanke liegt in allen natürlichen Religionen und Kulten vor, weshalb diese ja auch nicht irgendwelchen Phantasien entstammen, vielmehr einen sehr realen und oftmals erschütternden ernsten Akt im Handeln einer leidenden und gequälten Menschheit darstellen, die versucht, sich mit dem Himmel zu versöhnen. Es ist ein Wissen da um Schuld und die Meinung, dass Schuld und Strafe Zusammenhängen: von daher der Versuch der Menschen, der so alt ist wie sie selbst und den keine Aufklärung ihnen je wird ausreden können, die Götter zu versöhnen. Das ist die Wurzel aller Kulte.In diesem Sinne haben auch der Kult und das Opfer seinen Platz im AT gefunden, und zwar so deutlich und so entschieden, dass hier als beherrschend heraustrat, was bei den Heiden sozusagen mehr an den Rand gedrängt war und nur hin und wieder aufbrach. Gerade jenes leidenschaftliche Bemühen, Gott zu versöhnen, beherrscht das Leben des alttestamentlichen Gottes-volks. Hier weiß man, dass die Sünde, damit dass sie getan ist, nicht hinter uns liegt, sondern dass sie weiterlebt, dass Gottes Arm noch ausgereckt ist, dass solche Menschentat damit, dass sie geschehen ist, eine Wirklichkeit wurde (etwa Kains Bluttat), die als solche nun auch die Wirklichkeit unseres Lebens gestaltet, und dass darum Gottes Grimm und Zorn über eben dieser Wirklichkeit steht. Es ist undenkbar, dass Gott auf die Sünde, die Übertretung seines Willens, nicht reagiert, undenkbar, dass er schwiege, wenn sein Name missbraucht, seine Anrufung unterlassen oder wenn er gar verraten wird, um anderen Göttern zu dienen.

Es fällt auf, dass die Bibel unbedenklich vom Zorn Gottes redet, von seinen Gerichten und von seinem Grimm, beispielhaft im 1. Kapitel des Römerbriefs, in dem Paulus geradezu die Quintessenz der Zomesworte Gottes aus dem AT zusammengetragen hat. Dieser Zorn ist aber nichts anderes als das Verhalten Gottes zu der durch die Tat des Ungehorsams bestimmten Wirklichkeit des Menschen und der Welt. Wenn die Welt Gottes Welt ist, kann Gott neben sich und um sich nicht diese „Nichtigkeit“ [vgl. Röm 1, 21], diese auf den Nenner ,Sünde‘ zu bringende Größe dulden. Der Zorn Gottes ist Gottes Nein gegenüber der Zumutung, diese Wirklichkeit nun einfach auch als Wirklichkeit gelten zu lassen. Und selbst wenn wir Menschen sie gelten ließen – Gott kann und wird das nicht tun. Und eben das weiß in einer besonderen Weise, die nicht von den Tatsachen zur Ursache, sondern von der Ursache zur Tatsache geht, das AT: Es weiß, dass wir dahin müssen durch seinen Zorn [vgl. Ps. 90, 9], es weiß, dass die Gesetzgebung Leben und Tod bedeutet [vgl. Dtn 30] , es weiß, dass Gott in einem heiligen Volk leben will – und nur in ihm. Das ist die Größe des AT, dass es sich nicht begnügt mit der Harmonisierung und Versöhnung von Gott und Welt, sondern dass es weiß und herausarbeitet, dass Gott selbst versöhnt sein muss und dass sein Zorn alles, selbst das erwählte Volk und selbst die Stätte seiner eigenen Anbetung nicht schont. Zorn Gottes heißt im AT: dass es kein Mittel gibt, um vor Gott zu bestehen, wenn er Sünden anrechnen will [vgl. Ps 130, 3], dass das Mittel, den Zorn zu wenden, allein in Gott selber liegt.

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