Woke TikTok-Blase

Meltem Seker studiert Politikwissenschaft an der Eberhard Karls Universität Tübingen und engagiert sich bei TikTok, um zu sehen, wie dort kommuniziert wird. Sie stammt selbst aus eine Migrantenfamilie, ist aber eine Kritikerin der Identitätspolitik. Das hat sie in einem ihrer Videos auch zum Ausdruck gebracht: „Ich sprach darüber, wie es ist, immer diejenige zu sein, die aus der Reihe tanzt, nicht hineinpasst, die nicht an die Ideen, die Theorien, die Ideologien der anderen glaubt. Mein Video war eine Reaktion auf die vielen negativen Erfahrungen und Diffamierungen, die ich an der Uni mitmachen musste. Grund dafür ist mein kritischer Ansatz zur Identitätspolitik, denn der Status quo in geisteswissenschaftlichen Studiengängen ist das Wiederholen verschiedener Dogmen: Geschlecht sei ein Gefühl, uneingeschränkte Massenmigration kein Problem und die Stimmabgabe für Die Grünen die Lösung für alles. Äußert man Kritik, wird einem eine beliebige Phobie angehängt oder Hass vorgeworfen.“

Kritik am Mainstream und an der Identitätspolitik kommt allerdings bei TikTok nicht gut an. Meltem Seker beschreibt sehr hilfreich, dass bestimmte Positionen schnell mit Hass-Wellen belegt werden und die Algorithmen die Entwicklung der „Gespräche“ stark beeinflussen: 

Es zeigt sich also, dass durchschnittliche Meinungen auf TikTok auf viel Gegenwind stoßen und schlichtweg schockieren. Keine meiner erläuterten Hate-Wellen wurde durch radikale Äußerungen ausgelöst. Viel mehr zeigt sich durch vergangene Wahlergebnisse, dass mindestens die Hälfte der deutschen Bevölkerung ähnliche oder sogar radikalere Sichtweisen vertritt. Eine sachlich begründete und abgewogene Migrationskritik sollte nicht dazu führen, dass ich auf rassistische Weise angegangen werde und mir vorgeworfen wird, meine eigene Identität zu hassen. Oder dass ich als Nazi bezeichnet werde.

Kritik am Islam sollte mir keine hundert Hassnachrichten einbringen, und die Diskussion um eine Sportlerin, der eine genetische Männlichkeit vorgeworfen wird, sollte nicht zu vulgären Beleidigungen und Suizidaufforderungen führen. Die emotionalen Reaktionen auf TikTok zeigen mir, dass der Algorithmus, die Blasenbildung und die Echokammern ein verzerrtes Bild der Realität darstellen. Das ist problematisch, wenn man bedenkt, dass immer mehr junge Menschen die App nutzen, um auf dem neuesten Stand zu sein. Oft wird automatisch davon ausgegangen, dass die TikTok-Startseite die Realität widerspiegelt und nicht die eigenen Interessen. 

Gleichzeitig spielt der Algorithmus immer radikalere Videos auf die Startseite. Somit ist es ungewohnt, sobald man auf Meinungen trifft, die von der eigenen Meinung abweichen. Gleichzeitig gibt es auf TikTok das Problem, dass es keine Mitte gibt. Durch den Algorithmus gehen kurze und provokante Inhalte viral, die die Fronten stärken. Lange, komplexe und sachliche Videos haben dort keine Chance. Das erkenne ich daran, dass teilweise nur zwei Prozent der Nutzer meine Videos zu Ende sehen.

Mehr: www.cicero.de.

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ErzgebirgsEngländer
23 Tage zuvor

Ich kenne es ganz anders: hier sind viele in den (komisch einander ähnlichen) AfD und BSW Blasen. Das ist es: es gibt viele Blasen. Ein Kollege von mir behauptete, bei der nächsten Wahl, laut seiner Social-Media Einschätzung, wird die AfD eine Mehrheit gewinnen – all die, die sich davor gescheut haben, werden beim nächsten Mal AfD wählen, und, laut ihm, „werden sie alle AfD wählen“. TikTik ist keine Woke-Blase – sie hat eine. Und sie hat eine starke Anti-Woke-Blase. Du wirst einer Blase zugewiesen, und isoliert und ausgenutzt. Die fehlende Blase ist die Mit-Einander-Reden-Blase. Anders benannt: die Demokratie-Blase. Die darf es nicht geben: wem gehört immerhin TikTok?

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