Angela Merkel

Was wir über die Bundeskanzlerin Merkel und die C-Parteien lernen

Was wir nicht wahrhaben wollten, aber in der letzten Woche mit Wucht bestätigt bekommen haben, beschreibt Stephan-Andreas Casdorff im TAGESSPIEGEL:

Dass sie [also Merkel] mehr, als die Menschen glauben wollen, situativ entscheidet, intuitiv, impulsiv. Dass sie sich mancher Gefahr, die große Inhaltlichkeit bietet, nicht aussetzen will. Nicht mehr. Vor mehr als einem Jahrzehnt, da hatte sie diese Anwandlung, in Leipzig 2003, als sie auf dem Parteitag die „Maggie Merkel“ gab, die „Angie Thatcher“. Aber das ist lange vorbei, von den meisten vergessen. Ist heute eine Agenda 2030 mit ihr vorstellbar, eine, die sie vertritt bis zum Letzten? Vielmehr ist es so, dass sie sich dann, wenn es funktioniert, die Agenda zu eigen macht. Und für sie funktioniert es ja auch.

Merkels Anspruch ist nicht inhaltliche Führung, ihr reicht die Macht. Das wissen die Menschen. Sie kennen sie, frei nach einem Ausspruch von ihr selbst. Sie trägt ihren Anspruch halt nicht deutlich vor sich her, ihr Machtwille ist bemäntelt, sie behelligt nicht alle damit. Das ist der Mehrheit ja eher angenehm. Und der Mehrheit in der CDU ist die Mehrheit bei Wahlen angenehm.

Für DIE TAGESPOST schreibt Martin Lohmann:

Wer später einmal festzustellen hat, wer denn Ehe und Familie nicht zu schützen in der Lage war, als diese beiden Institutionen der oft mit süßem Nebel getarnten Attacke fahrlässig überlassen wurden, wird kaum entlastende Elemente bei jenen finden können, die das C im Namen der Partei vor sich hertragen. Im Gegenteil. Überall liefen sie anderen hinterher: schleichende familiäre Kindesenteignung durch Ganztagsschulen und Kitas, Verunmöglichung genuiner Erziehungsrechte, unterlassene Stärkung familiärer Autonomie und Unabhängigkeit, Naturrechtsleugnung, Missachtung der Ökologie des Menschen. Woran das liegen könnte? Vielleicht daran, dass Angst vor dem Anstoßen und elementare Wissens- und Überzeugungslücken eine fatale Koalition der Nichtigkeit eingegangen sind. Vielleicht auch, weil „Konservativen“ jene strategische Begabung abgeht, die eine reaktionäre 68er-Diktatur bis in logistische Details beherrschte. Das C in der Politik ist hohl. Hinter der Hülle verbirgt sich alles, was Nicht- und Antichristen (auch) unterschreiben könnten.

Mit Merkels überraschungsresistenter Bekenntniswende ist nun auch besiegelt, woran andere zäh und systematisch arbeiteten: das Ende der staatlich geschützten Ehe. Nun kann alles, was irgendwie eine Beziehung ist, beanspruchen, Ehe – eben für alle! – sein zu wollen. Das dem Anspruch beraubte C wurde missbraucht, politikuntauglich gemacht. Was aber, wenn das Salz schal gemacht wurde? Das ist die eigentliche Gewissensfrage.

Sie ist nicht der Staat – oder doch?

Mit feinen Beobachtungen kommentiert Christian Geyer-Hindemith die „Selbstsäkularisierungsthese“ von Angela Merkel:

[Kardinal] Marx umspielt derart eloquent und sympathisch das theologische Zentrum, spart es mit soziologischen Beobachtungen aus und lässt dabei doch so kardinalsrollenkonform die römische Flagge heraushängen, dass nach der Sendung niemand den Eindruck hat, einen Abend vertan zu haben. Aber doch jeder Angela Merkel recht geben muss, dass das Christentum in Deutschland womöglich dabei ist, sich selbst abzuschaffen.

Die Kanzlerin als Hohepriesterin der deutschen Flüchtlingspolitik. In einer Situation der schwächelnden kirchlichen Verkündigung übernimmt Angela Merkel die Deutung des Christlichen im Rahmen einer regierungsamtlichen politischen Theologie (geistlich begleitet von Kardinal Marx). Ohne jeden eschatologischen Vorbehalt (Erik Peterson) gibt der Berliner Heilige Stuhl (vulgo Kanzleramt) die Devise aus: Christenpflicht bricht europäisches Recht. Damit, mit der Ersetzung von Recht und politischer Gestaltungsfähigkeit durch Nächstenliebe, macht sich Angela Merkel persönlich zu einem Moment ihrer Gesellschaftsanalyse, nach der die Selbstabschaffung des Christentums droht. Dezent und mit der gebotenen Lakonie hat das neulich der Schriftsteller Martin Mosebach formuliert. Auf die Frage des „Deutschlandfunks“, ob Angela Merkel nicht in gewisser Weise die Jeanne d’Arc urchristlicher Werte sei, antwortete Mosebach: „Das geht doch eben gerade nicht. Urchristliche Werte sind immer höchst persönlich. Der Staat ist nicht zur Nächstenliebe angehalten, weil er gar keinen Nächsten hat. Er ist keine Person. Ich meine, das konnte Ludwig XIV. von sich sagen, der Staat bin ich, aber Angela Merkel ist nicht der Staat.“

Schöne neue Welt zwischen Thron und Altar: Es ist in unserem Land wohl alles noch ein bisschen verrückter als die kühnsten historischen Bilder erahnen lassen.

Mehr: www.faz.net.

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