Wofür es sich zu kämpfen lohnt

Pastor Matthias Mockler hat für IDEA das Buch Wofür es sich zu kämpfen lohnt – und wofür nicht: Ein Plädoyer für theologische Triage von Gavin Ortlund rezensiert. Hier ein Auszug:

Der Streit um Lehrmeinungen ist heute bei vielen Christen verpönt. Sie sagen: „Das spaltet nur und schadet der Einheit, die Jesus für uns will!“ Gleichzeitig gibt es auch Christen, die sehr streitlustig sind. Selbst Randthemen der Bibel machen sie zu grundlegenden Bekenntnisfragen. In seinem Buch „Wofür es sich zu kämpfen lohnt – und wofür nicht“ zeigt der US-Pastor Gavin Ortlund einen besseren Weg: Streit ist erlaubt und manchmal sogar nötig. Die Frage ist allerdings: Für welche Themen kämpfen wir – und mit welcher Haltung tun wir es? Dabei ist Ortlund nicht auf Streit aus. Eines seiner Hauptanliegen ist es, unnütze Spaltungen unter Christen zu verhindern. Die theologische Zersplitterung schade der Kirche und schwäche sie in ihrer Mission. Und doch gibt es Themen, die sind so zentral, dass Kompromisse einer echten geistlichen Einheit schaden.

Anhand vieler Beispiele und persönlicher Zeugnisse hilft Ortlund dem Leser, wichtige Lehrmeinungen von weniger wichtigen zu unterscheiden. Diejenigen, die ungern streiten, bringt er zum Nachdenken: Gibt es theologische Fragen, in denen ich mich klarer positionieren müsste? Denen, die zu viel streiten, hält Ortlund den Spiegel vor: Wenn dir Gottes Wort so wichtig ist, wie hältst du es dann mit seinem Ruf zur Liebe und Einheit in der Gemeinde?

Mehr: www.idea.de.

Australien: Stellungnahme zu Vorschlägen für eine Reform des Abtreibungsrechts

Die Anglikanische Diözese von Sydney (Australien) hat auf Vorschläge zur Reform des Abtreibungsrechts reagiert. Im Fall, dass der Gesetzesentwurf verabschiedet würde, die dies substantielle Auswirkungen für das Gesundheitssystem und die Gewissensfreiheit von Ärzten. 

Ich zitiere: 

Das Sozialkomitee der anglikanischen Diözese Sydney äußert gemeinsam mit dem Erzbischof von Sydney, Kanishka Raffel, ernste Bedenken über den Gesetzesentwurf 2025 zur Reform des Abtreibungsrechts (Zugang zur Gesundheitsversorgung), der von der grünen Abgeordneten Dr. Amanda Cohn eingebracht wurde. Wir haben an den Premierminister von NSW, den Oppositionsführer und den Vorsitzenden der Nationals geschrieben und sie aufgefordert, sich dem Gesetzentwurf zu widersetzen.

Dieser Gesetzentwurf befasst sich nicht mit der Rechtmäßigkeit der Abtreibung, die bereits in den bestehenden Gesetzen geregelt ist, sondern zielt darauf ab, die Abtreibungsdienste auf Kosten der Einschränkung der Gewissens- und Religionsfreiheit der Bürger von NSW zu erweitern.

Im Falle einer Verabschiedung würde Dr. Cohns Gesetzentwurf dem Gesundheitsminister die Möglichkeit geben, öffentliche Gesundheitseinrichtungen zur Bereitstellung von Abtreibungsdiensten anzuweisen. Außerdem würden Ärzte, die eine Abtreibung aus moralischen Gründen ablehnen, verpflichtet werden, ihre Patienten an andere Ärzte zu überweisen, die den Eingriff vornehmen.

Diese Änderungsanträge verletzen die Freiheiten der Gläubigen. Religiöse Gesundheitsorganisationen und Einzelpersonen müssen die Freiheit haben, nach ihren religiösen Überzeugungen zu handeln. Der Gesetzentwurf würde sie dazu zwingen, entweder direkt an Abtreibungsdiensten teilzunehmen oder Patienten an andere zu verweisen, was für viele ein moralisches Dilemma darstellt. Wenn das Gesetz in Kraft tritt, könnten christliche Gesundheitsfachkräfte und -organisationen gezwungen werden, gegen das Gesetz zu verstoßen, ihre Überzeugungen zu verletzen oder ihre Aufgaben aufzugeben.

Diese Entwicklung könnte auf uns in Deutschland auch noch zukommen. Ich befürchte, dass keine der großen Kirchen hierzulande so scharf reagieren würde, wie es notwendig wäre. 

Hier der gesamte Brief: Statement_on_Abortion_Law_Mar_25.pdf.

Glaubenswachstum bei Calvin

Dr. Ralf Wüstenberg hat im Jahr 2003 einen Vortrag über das Heiliungskonzept von Johannes Calvin referiert (veröffentlicht als Ralf K. Wüstenberg, „Wachstum im Glauben? Eine Analyse der Rede vom „Fortschreiten„ in Calvins ‚Institutio‘“, Neue Zeitschrift für Systematische Theologie 46 (2004): S. 264–279). Er hat verschiedene Lesarten einer progressiven Heilung gegenübergestellt, und zwar: 

  1. Eschatologisches Gezogenwerden;
  2. Wachstum als quantitative Mehrung;
  3. Wachstum als Vertiefungsbewegung.

Hier sein Ergebnis: 

Aus der bisherigen Analyse lassen sich drei Typen des Wachstumsgedankens unterscheiden: Wachstum als eschatologisches Gezogenwerden (Typ 1), Wachstum als quantitative Mehrung (Typ 2) und Wachstum als Vertiefungsbewegung (Typ 3). Diese Typen sind nicht deckungsgleich mit den drei Aspekten im Begriff Fortschreiten. Eher spitzen die beiden ersten bestimmte Momente in den analysierten Teilaspekten zu. Auf diese Akzentuierungen möchte ich meine kritischen Schlussbemerkungen beschränken.

Typ 1, Wachstum als eschatologisches Gezogenwerden, akzentuiert – wie soeben gesehen – das Ziel des Glaubensweges. Der finale Aspekt wird im Fortschrittsgedanken zugespitzt, indem ganz auf die freudige Erwartung von Tod und Auferstehung abgestellt wird. Die analysierte Funktion des eschatologischen Aspekts, nämlich den Gedanken vom Wachstum angemessen einzubetten, ihn im „Schon Jetzt“ in Grenzen und für das „Noch Nicht“ offen zu halten, wird verschoben: Alles läuft nun steil auf das Kommende zu. Zutreffend ist, wie erwähnt, dass dieses Moment im Fortschrittsgedanken bei Calvin begegnet. Angesichts der Alternative ‚nach vorn schauen‘ / ‚zurückschauen‘ kann ich mich aber nicht mit Faber für die erstere Haltung als die für die Lehre des Reformators bestimmende aussprechen. Denn mit der Akzentuierung des Zielgedankens im eschatologischen Aspekt droht der ethische Aspekt im Fortschrittsgedanken Calvins verdunkelt zu werden. Wenn alles nur noch steil auf das Ziel zuläuft, dann spielt der Blick zurück auf Schuld und Verantwortung nur noch eine Nebenrolle.

Typ 2, Wachstum als quantitative Mehrung, begegnete in der Abhandlung des soteriologischen Aspekts im Fortschrittsbegriff und trat uns dann noch einmal im ethischen Aspekt entgegen. Wachstum bezieht sich einmal auf ein faktisches Mehrwerden von Glauben. Hier ist der Glaube wie ein Samenkorn vorgestellt, das zu keimen beginnt. Wachstum bezieht sich zum anderen auf ein faktisches Wenigerwerden dessen, was den Glauben behindert. Hier lautet die Vorstellung: Der Heilige Geist setzt immer weiter seine Herrschaft gegenüber der Sünde durch. Beide Vorstellungen beschreiben Wachstum als faktische Erweiterungsbewegung. Wo der quantitative Aspekt in den Wachstumsgedanken hineinkommt, droht unter der Hand der soteriologische Aspekt verdeckt zu werden. Glaube nimmt nicht mehr und mehr beim Menschen zu, sondern dieser wächst mehr und mehr in die Einsicht hinein, wie sehr er immer wieder angesichts der Verheißungen zurückbleibt. Darum meint Calvin meines Erachtens weniger eine Erweiterungs- als eine Vertiefungsbewegung, wenn er vom Fortschreiten redet. Ich zitierte noch einmal den Reformator: „Je mehr sich einer durch Heiligkeit auszeichnet, umso mehr soll er spüren, wie weit er noch immer von der vollkommenen Gerechtigkeit entfernt ist, damit er nur auf Gottes reines Erbarmen vertraut.“

Im Typ 3, Wachstum als Vertiefungsbewegung, kommt dieser soteriologische Gedanke am deutlichsten heraus, ohne dass die anderen Aspekte im Fortschrittsbegriff Calvins zurücktreten müssten. Denn Fortschreiten als Vertiefungsbewegung bedeutet

a) soteriologisch: sich seiner heillosen Situation immer klarer werden und damit hineinwachsen in die Einsicht, total angewiesen zu sein auf Gottes Zuwendung (Der Glaubende darf diese Abhängigkeit immer stärker spüren, indem er sich immer deutlicher erkennt als jemanden, der aus Mangel an Vertrauen immer wieder zurückbleibt hinter den Verheißungen.);

b) eschatologisch: sich immer tiefer ausgerichtet wissen auf ein Ziel und damit darauf, dass alles Fortschreiten ein Ende finden darf, wenn Christus mit uns zum Ziel kommt;

c) ethisch: hineinwachsen in die Einsicht, dass der Glaube keinen Stillstand kennt, sondern immerfort in Bewegung ist und damit in Gefahr. Wenn er sich auch nur ein klein wenig gehen lässt, dann gerät er notwendig ‚auf’s Schlüpfrige‘, wie Calvin sagen kann. Dabei führt die Einsicht in das stete Zurückbleiben nicht in die Lethargie, sondern in ein stetiges Neubemühen, ein semper incipere.

Nicht in Abrede gestellt werden soll, dass die Typen 1 und 2 je für sich wichtige Gedanken hervorheben. Grundlegend zur Erläuterung der Rede vom Fortschreiten in der „Institutio“ bleibt aber nach meiner Einsicht der Typ 3, denn erstens wird der Wachstumsgedanke nicht mit quantitativen Vorstellungen belastet, sondern in Grenzen gehalten, wo die Einsicht bestimmend bleibt, dass der Glaube durch die Erkenntnis des Zurückbleibens reift. Und zweitens wird diese Erkenntnis des Zurückbleibens auf alle drei Aspekte bezogen: soteriologisch als Erkenntnis des Zurückbleibens im Vertrauen auf die Verheißungen Gottes; eschatologisch als Erkenntnis des Zurückbleibens im Hoffen darauf, das alles Wachstum wirklich zum Ziel führt, und ethisch als Erkenntnis des Zurückbleibens im Handeln angesichts der Fragilität des gelebten Glaubens im Heute, Hier und Jetzt.

Es erhärtet sich also die These vom Fortschreiten im Glauben im Sinne einer Erkenntnis des Zurückbleibens.

Karl Barth: Vorlesungsvorbereitung als Nachtschicht

Eberhard Busch, von 1965–1968 persönlicher Assistent von Karl Barth, schreibt in seiner Barth-Biographie, wie hart dieser für die Vorbereitung seiner Vorlesungen gearbeitet und gekämpft hat (Karl Barth’s Lebenslauf, 1976, S. 140–141): 

Der Schreibtisch, an dem Barth von jetzt an (bis zu seiner Emeritierung) arbeitete, war derselbe, „an dem schon mein so viel gediegenerer Vater gelebt und gearbeitet hat“. „Da gabs nun ein tage- und nächtelanges Studieren und Hin- und Herwälzen von alten und neuen Büchern, bis ich einigermaßen – ich will nicht sagen, aufs Roß, aber wenigstens auf den akademischen Esel kam, so daß ich reiten konnte an der Universität.“ Mit unerhörtem Fleiß gab sich Barth der Vorbereitung seiner Vorlesungen hin „fast immer Nachtschicht!“ „Mehr als einmal wurde das, was ich [morgens] um 7 Uhr vorbrachte, erst zwischen 3-5 Uhr fertig.“

Es war „immer etwas schneller“ zu arbeiten, „als mein natürliches Tempo wäre … Und unsere ‚komplizierenden‘, alles auf den Kopf stellenden Gesichtspunkte vereinfachen das Geschäft auch nicht: es ist ein ewiger Krieg zwischen diesen ‚Gesichtspunkten‘ und dem Stoff, der durchaus in die alte bekannte banale Form zurückschnellen möchte“‘‘. Und wie oft seufzte der junge Professor „angesichts der Türme von Stoff, die ich nicht beherrsche“!“ Wie oft klagte er darüber, „wie ich armes Maultier da im Nebel meinen Weg su muß, über allem andern auch immer noch gehemmt durch mans de gelehrte Beweglichkeit, unbefriedigende Lateinkenn schlechtestes Gedächtnis!“ „In meinem Kopf gehts zu wie in ei Hyänenkäfig vor der Fütterung.“

Das „Hirntod“-Konzept auf dem Prüfstand

In den USA wächst die Kritik am Konzept des Hirntodes und seiner praktischen Umsetzung. Dies wurde Ende Februar auf einem Symposium an der Catholic University of America in Washington deutlich, an der über hundert Ärzte, Theologen, Bioethiker, und Vertreter weiterer akademischer Disziplinen teilnahmen. DIE TAGESPOST berichtet:

Auch wenn sich die rechtlichen Regeln zum „Hirntod“ in den Vereinigten Staaten von denen in Deutschland unterscheiden, betreffen die auf der Tagung in Washington diskutierten Probleme auch das deutsche Todesfeststellungsverfahren. Vor einer Organentnahme wird nach den Regelungen der Bundesärztekammer angeblich der „irreversible Hirnfunktionsausfall“ festgestellt. Tatsächlich werden aber nicht alle, sondern nur wesentliche Teile des Gehirns auf ihre Funktionsfähigkeit hin überprüft. Nicht getestet wird das Kleinhirn, obwohl es zum gesetzlich geforderten Umfang des Funktionsausfalls gem. § 3 Abs. 2 Nr. 2 Transplantationsgesetz gehört. Ferner soll nach den deutschen Richtlinien die Produktion bzw. Abgabe von Hormonen durch den Hypothalamus dem „irreversiblen Hirnfunktionsausfall“ nicht widersprechen. Das Gleiche gilt für noch messbare elektrische Aktivität in der Großhirnrinde oder eine gewisse geringfügige Hirndurchblutung. Es stellt sich daher die Frage, wie man unter diesen Umständen überhaupt von einem „irreversiblen Hirnfunktionsausfall“ sprechen kann.

Auf der Tagung in Washington wurde auch das „Hirntod“-Konzept als solches kritisiert. So fragte der Arzt und Philosoph Michael Accad, wie ein Teil des menschlichen Organismus (das Gehirn) für die Integration des gesamten Organismus verantwortlich sein könne. Der Mensch sei bereits in seinen vorgeburtlichen Entwicklungsstadien, in denen noch kein Gehirn existiert, ein integrierter Organismus. Deshalb könne das Gehirn nicht das „Integrationsorgan“ des Menschen sein. Nach christlicher Auffassung sei die Seele das Lebensprinzip des Menschen. Die Trennung von Leib und Seele könne nicht direkt naturwissenschaftlich festgestellt werden. Solange ein integrierter Organismus existiere, müsse davon ausgegangen werden, dass auch das Lebensprinzip noch wirke. Erst wenn es zu erkennbarer Desintegration komme (nachweisbar zum Beispiel durch das Auftreten der traditionellen sicheren Todeszeichen „Leichenflecke“ und „Leichenstarre“), könne auch sicher vom Eintritt des Todes ausgegangen werden.

Mehr: www.die-tagespost.de.

Das mysteriöse Schweigen von Papst Pius XII.

Tausende von Menschen baten den Papst im Zweiten Weltkrieg, gegen das Unrecht der Nazis Stellung zu nehmen. Alle wurden mit der gleichen Antwort abgefertigt. Hubert Wolf fasst für die NZZ die neuesten Erkenntnise zum Schweigen des Vaticans in der Judenfrage zusammen. In dem Artikel „Papst Pius XII. wusste Bescheid über die Shoah – und schwieg: Jetzt zeigen die vatikanischen Archive, weshalb“ heißt es: 

Alle Versuche, das Schweigen Pius’ XII. mit seinem mangelnden Wissen über den Holocaust zu entschuldigen, werden durch die vatikanischen Akten eindeutig widerlegt. Der Papst war auf dreifache Weise über die Entwicklung der Judenverfolgung in Europa genau informiert.

Erstens durch Hunderte von Berichten seiner diplomatischen Vertreter aus den einzelnen Ländern, den Nuntien und Delegaten. Zweitens durch rund 10 000 bisher unbekannte Bittschreiben jüdischer Menschen aus ganz Europa von 1939 bis 1945, die Pius XII. um Hilfe baten und ihre Not und Verfolgung minuziös schilderten – und denen Papst und Kirche tatsächlich nicht selten zu helfen versuchten. Und schliesslich durch ein geheimes jesuitisches Informationsnetzwerk, dessen Fäden beim Geheimsekretär des Papstes, dem Jesuiten Pater Robert Leiber, zusammenliefen. Er legte die entsprechenden Schriftstücke im Privatarchiv von Pius XII. ab.

Hier findet sich auch ein Brief von Leibers Ordensbruder Lothar König vom 14. Dezember 1942, in dem es heisst: «Die letzten Angaben über ‹Rawa Ruska› mit seinem SS-Hochofen, wo täglich bis zu 6000 Menschen, vor allem Polen und Juden, umgelegt werden, habe ich über andere Quellen bestätigt gefunden. Auch der Bericht über Oschwitz (Auschwitz) bei Kattowitz stimmt.»

Ende 1942 wusste der Papst also Bescheid über die Existenz der Massenvernichtungslager Belzec und Auschwitz. König konnte Angaben, die er in einem früheren, leider nicht erhaltenen Brief an Leiber gemacht hatte, bestätigen. Im Winter 1942/43 wurde die «Endlösung» der Judenfrage im Vatikan schreckliche Gewissheit. In einer internen Notiz des Staatssekretariats vom 5. Mai 1943 kann man lesen: «Juden. Schreckliche Situation.» Von den ehemals 4,5 Millionen Juden in Polen seien nur noch 100 000 am Leben. Und es wird klar festgehalten: «Spezielle Todeslager in der Nähe von Lublin (Treblinka) und bei Brest-Litowsk.»

Warum also schwieg Papst Pius XII.?

Das Schweigen zum Genozid an katholischen Polen lässt sich dezidiert nicht mit einem «Antisemitismus» von Pius XII. erklären. Es muss andere Gründe haben. Diese erhellen aus innervatikanischen Diskussionen, die sich in internen Aktennotizen niedergeschlagen haben: Der Papst wollte über den Parteien stehen und strikte Neutralität wahren, zumal er nach seinem Selbstverständnis als «Padre comune» für Katholiken auf allen Seiten der Fronten da sein musste.

Er fürchtete, seine Äusserungen könnten von einer Kriegspartei instrumentalisiert werden. … Ein weiterer Grund, der in den Quellen zumindest immer wieder angedeutet wird, lautet: Öffentliche Proteste des Papstes machten die Lage der Juden, die sich in der Hand der Nationalsozialisten befanden, nur noch schlimmer und päpstliche Hilfe im Verborgenen auch im Einzelfall noch viel schwieriger.

Mehr: www.nzz.ch.

Ist Ihr Baby heterosexuell oder schwul?

Krankenhäuser in South Jersey (USA) verteilen Formulare, in denen schwangere und frisch entbundene Mütter nach der Geschlechtsidentität und sexuellen Orientierung ihrer Babys gefragt werden, so eine Patientin aus South Jersey. Das meldet NJ.COM, ein Anbieter lokaler Nachrichten. Zitat: 

„Welches Geschlecht wurde Ihrem Baby bei der Geburt zugewiesen?“

„Welche der folgenden Aussagen beschreibt Ihr Baby am besten? Lesbisch oder schwul; heterosexuell, bisexuell, fragend/unsicher, möchte lieber nicht antworten.“

Das Formular von Inspira Health erklärt, dass die Fragen nach staatlichem Recht erforderlich sind und dem Krankenhaus dabei helfen sollen, seinen Auftrag zu erfüllen, „eine sichere und mitfühlende Erfahrung zu bieten“. Das Gesetz von 2021 verpflichtet medizinisches Fachpersonal, Patienten nicht nur nach ihrer Rasse und ethnischen Zugehörigkeit, sondern auch nach ihrer Geschlechtsidentität und sexuellen Orientierung zu fragen. Die Teilnahme der Patienten ist freiwillig. 

Lillie Mingle sagte, als sie das Formular in einem Paket vom Krankenhaus erhielt: „Ich war schockiert, und dann überkam mich Ekel. Unabhängig von meinen persönlichen Überzeugungen war allein die verwendete Sprache sehr beunruhigend.“ Mingle veröffentlichte das Formular in den sozialen Medien, woraufhin sie Antworten von anderen Müttern erhielt, die angaben, in anderen Krankenhäusern, die nicht mit Inspira verbunden sind, einen ähnlichen Fragebogen erhalten zu haben. Die Senatorin des Bundesstaats, Holly Schepisi, R-Bergen, bekam Wind von dem Gerede und stellte Nachforschungen an. Am Freitag sagte sie, sie arbeite an einem Gesetzesentwurf, der das Gesetz ändern und etwas „gesunden Menschenverstand“ einführen würde.

Hier: www.nj.com.

Vergeben – Warum eigentlich?

Lilia Stromberger-Hauff hat das Buch Vergeben – Warum eigentlich? von Tim Keller gelesen. Fazit:

Tim Kellers Buch ist gerade für diejenigen eine Bereicherung, die meinen, sie hätten schon alles rund um das Thema Vergeben im Griff. Zu sehr wird in diesem Buch deutlich, dass das Evangelium nur verstanden werden kann, wenn begriffen wird, dass man selbst von teurer Gnade abhängig ist und dass eine platte Entschuldigung auch vom besten Menschen vor Gott einfach nie reicht, um die Sünde zu sühnen: Es brauchte das Kreuz, um das Unentschuldbare zu vergeben.

Verletzte Personen werden hier ermutigt, die eigenen Verfehlungen, aber auch die der Menschen um sie herum begründet anzugehen und dann die Schönheit der konkreten Vergebung zu erleben, die vom Kreuz her möglich ist.

Kann es sein, dass zwischen Menschen reservierte Beziehungen bestehen, weil echtes Vergeben und Versöhnen nicht umgesetzt wird? Daher ist dieses Buch mit den anschaulichen, sehr greifbaren Gedankengängen und mit den vielen praktischen Anregungen (auch in den vier Anhängen) gewinnbringend für Theologen, engagierte Gemeindemitarbeiter und vor allem für Personen, die Menschen seelsorgerlich begleiten, um die inneren Auseinandersetzungen rund um Vergeben und Versöhnen zu durchschauen und beantworten zu können.

Man sollte sich allerdings Zeit zum reflektierenden Lesen gönnen, weil es Keller nicht um schnelle Antworten geht, sondern darum, die eigene Not und das Ausmaß von Vergeben im Gesamtkontext zu verstehen. Immer wieder kreist er um die Kernaussagen, daher wirkt die Struktur anfangs etwas verwirrend. Es wird ein ehrliches Mitdenken abverlangt, denn Keller ist sehr konkret und aufrüttelnd, indem er das, was der Mensch innerlich diskutiert, ungeschminkt formuliert. Menschen müssen irgendwie mit dem Zerstörten im Leben umgehen, daher ist Vergeben das zentrale Dauerthema, um das Evangelium im Alltag wirksam zu erleben und auszudrücken.

Mehr: www.evangelium21.net.

Vorherbestimmt?

Eine Rezension von James N. Anderson zum Buch:

John C. Lennox, Vorher bestimmt? Die Souveränität Gottes, Freiheit, Glaube und menschliche Verantwortung. Dillenburg: CV, 2019. 399 S. 19,90 €.[1]

John Lennox ist emeritierter Professor für Mathematik an der Universität Oxford und ein evangelikaler Christ, dem es seit langem ein Anliegen ist, den christlichen Glauben im öffentlichen Raum zu verteidigen. In den letzten Jahren ist er als wortgewandter, gut informierter und überzeugender Apologet bekanntgeworden, der Bücher über die Beziehung zwischen Christentum und Wissenschaft geschrieben und sich an öffentlichen Debatten mit prominenten Skeptikern wie Richard Dawkins, Christopher Hitchens und Michael Ruse beteiligt hat. Sein 2007 erschienenes Buch Hat die Wissenschaft Gott begraben?[2], das ich meinen Studenten oft empfohlen habe, entlarvt geschickt den Mythos des Konflikts zwischen Religion und Wissenschaft. Ich wünschte, ich könnte mich für seinen jüngsten Ausflug in die systematische und philosophische Theologie ebenso begeistern. Sein Buch hätte durchaus den Titel Totengräber des Calvinismus tragen können.

Wie Lennox erklärt, ist dieses Buch „vor allem für Christen geschrieben, die sich für Fragen nach Gottes Souveränität, dem freien menschlichen Willen und der Verantwortung des Menschen interessieren oder darüber verunsichert sind“ (S. 12). Nachdem er gebeten worden war, bei vielen Gelegenheiten seine Ansichten zu diesem heiklen Thema mitzuteilen, beschloss Lennox, es in einem Buch zu behandeln. Das Hauptanliegen seines Buches ist der theistische Determinismus, den Lennox zwar nirgends explizit definiert, aber offensichtlich als die Auffassung versteht, dass Gott jedes Ereignis in der Schöpfung – einschließlich der Entscheidungen und Handlungen seiner Geschöpfe – bestimmt. Genauer gesagt, übrigens sogar ursächlich bestimmt. Das Buch besteht aus 20 Kapiteln und ist in fünf Teile gegliedert. In dieser Rezension werde ich den Inhalt jedes Teils zusammenfassen und dabei einige kritische Anmerkungen vorlegen. Endlich werde ich mit mehreren Bedenken schließen, die durch den Titel des Buches hervorgerufen werden.

Teil 1: Das Problem

Kapitel 1 („Das Wesen und die Grenzen der Freiheit“) führt in das allgemeine Thema des Buches ein. Lennox merkt an, dass Philosophen zwischen „Freiheit der Spontanität“ und „Freiheit der Indifferenz“ unterschieden haben. Erstere wird einfach als die Freiheit definiert, zu tun, was man will (d. h. Freiheit von Zwang). Dagegen wird „Freiheit der Indiffernz“ verstanden als die Freiheit, unter genau denselben Umständen etwas anderes zu tun (d. h. die Freiheit, nicht X zu tun, obwohl man tatsächlich X getan hat). Diese zweite Ansicht wird als „libertäre Willensfreiheit“ bezeichnet. (Ich möchte nebenbei anmerken, dass, anders als Lennox sagt, nicht alle zeitgenössischen Befürworter des Libertarismus der Meinung sind, dass dies als Freiheit der Indifferenz verstanden werden sollte.)

Nachdem er zwischen diesen beiden Arten von Freiheit unterschieden hat, erklärt Lennox: „Wenn ich in diesem Buch den Begriff des ‚freien Willens‘ gebrauche, dann meine ich ihn in diesem obigen [zweiten] Sinne“ (S. 23). Mit anderen Worten: Wann immer Lennox vom freien Willen spricht, meint er den libertären freien Willen. Dies ist ein bemerkenswertes Eingeständnis gleich zu Beginn eines Buches, das vorgibt, zwischen verschiedenen Ansichten über den freien Willen zu unterscheiden. Wenn man sich die Frage stellt: „Wie sieht die Bibel den freien Willen?“, reicht es nicht aus, den freien Willen libertär zu definieren. Das würde nämlich entweder bedeuten, dass theistische Deterministen nicht an den freien Willen glauben oder dass sie inkonsequent sind, wenn sie es doch tun. Dies wäre eine offensichtliche Suggestivfrage und daher voreingenommen. Sicherlich würden die meisten theistischen Deterministen bestätigen, dass wir einen freien Willen haben (zumindest in Bezug auf viele unserer Entscheidungen), aber sie sind der Meinung, dass der freie Wille eher nach kompatibilistischen als nach libertären Grundsätzen verstanden werden sollte.

Die folgende Analogie soll verdeutlichen, wie fragwürdig dieses Vorgehen von Lennox ist. Kritiker des Christentums wie Richard Dawkins und Sam Harris definieren Glauben in der Regel als „Glauben an die Abwesenheit von Beweisen“ und behaupten auf dieser Grundlage, dass der christliche Glaube eine Gefahr für die Vernunft und die Wissenschaft darstelle. Lennox würde zu Recht gegen diese höchst voreingenommene Definition protestieren.[3] Er könnte durchaus entgegnen, dass Glaube im christlichen Sinne als „Vertrauen auf der Grundlage von Beweisen“ definiert werden sollte. Aber nehmen wir einmal an, sein Gegner würde antworten: „Sicher, mir ist klar, dass Menschen den Glauben auf unterschiedliche Weise definiert haben, aber in meiner Kritik am Christentum werde ich mich an die Definition von Glauben als Glaube in Abwesenheit von Beweisen halten!“

Ich kann mir vorstellen, dass Lennox mit einer solchen Antwort alles andere als zufrieden wäre. Er würde zu Recht das Gefühl haben, dass seine Position nicht ernst genommen und nicht in ihrem eigenen Kontext betrachtet würde. Doch das Buch, das hier besprochen wird, behandelt den theistischen Determinismus (oder besser gesagt den theistischen Kompatibilismus) auf ähnliche Weise. Anstatt ernsthafte Argumente für eine libertäre Sichtweise des freien Willens vorzubringen oder sich mit den besten Verteidigungen des Kompatibilismus auseinanderzusetzen, versucht der Autor, die ganze Debatte zu umgehen, indem er davon ausgeht, dass echte Freiheit immer libertäre Freiheit sein muss.

Kapitel 2 („Verschiedene Arten des Determinismus“) beginnt gut, indem es den physischen Determinismus von Atheisten wie Stephen Hawking und Sam Harris vom theistischen Determinismus einiger Christen unterscheidet. Leider geht es ab diesem Punkt bergab, denn die Diskussion über den theistischen Determinismus ist voll von fragwürdigen Behauptungen und Scheinargumenten. Lennox geht ohne Begründung davon aus, dass theistischer Determinismus (die Ansicht, dass Gott letztendlich alles bestimmt, was in seiner Schöpfung geschieht) theistischen kausalen Determinismus (die Ansicht, dass Gott alles kausal bestimmt) mit sich bringt. Lennox zieht nicht einmal die Möglichkeit eines theistischen nicht-kausalen Determinismus in Betracht, geschweige denn eine hybride Ansicht, bei der Gott alle Dinge durch eine Kombination aus kausalen und nicht-kausalen Mitteln determiniert. Darüber hinaus scheint Lennox zu glauben, dass theistischer Determinismus einen intramundanen kausalen Determinismus (die Ansicht, dass jedes Ereignis innerhalb der Schöpfung durch frühere Ereignisse innerhalb der Schöpfung kausal bestimmt wird) mit sich bringt.[4] Dies ist jedoch keineswegs zwingend. Selbst wenn intramundaner Determinismus mit menschlicher Freiheit und moralischer Verantwortung unvereinbar wäre – eine an sich umstrittene Behauptung –, würde dies theistischen Determinismus als solchen nicht ausschließen.[5]

Als ein Beispiel dafür, dass Lennox die andere Seite nicht fair repräsentiert, betrachten Sie Folgendes:

„Es gibt verschiedene Arten, das Konzept der Souveränität zu verstehen. Eine mögliche ist der göttliche Determinismus. Eine weitere besagt, dass Gott ein liebender Schöpfer ist, der den Menschen in seinem Bild geschaffen hat und ihn mit einer bedeutungsvollen Fähigkeit zur Wahl geschaffen hat, die das gesamte großartige Potenzial der Liebe, des Vertrauens und der moralischen Verantwortung beinhaltet.“ (S. 54)

Man beachte die unzweideutige Schlussfolgerung: Theistische Deterministen müssen leugnen, dass Gott den Menschen in seinem Bild und mit einer „bedeutungsvollen Fähigkeit zur Wahl“ geschaffen hat (engl. „a significant capacity to choose“)! Natürlich würde kein ernsthafter Calvinist so etwas sagen. Es geht nicht darum, ob Gott uns mit dem Vermögen geschaffen hat, echte, bedeutende Entscheidungen zu treffen, sondern darum, ob diese Behauptung (die beide Seiten bejahen) mit dem göttlichen Determinismus vereinbar ist. Lennox glaubt, dass dies nicht der Fall ist – aber er liefert kein Argument.

Weitere Beispiele für Scheinfragen und voreingenommene Karikaturen gibt es zuhauf:

  • Theistische Deterministen glauben, dass Gott „der unwiderstehliche Verursacher des menschlichen Verhaltens ist, sei es gut oder schlecht“ (S. 54).
  • Paul Helms Behauptung, dass alle Ereignisse unter der direkten Kontrolle Gottes stehen, ist eine „offenbar extreme deterministische Position“ (S. 56).
  • Theistische Deterministen gehen davon aus, dass Gott „das Verhalten einzelner Moleküle“ in meinem Arm lenkt und „direkt kontrolliert“ (vgl. S. 56–57). (Das ist eine irreführende Karikatur der Aussagen von Paul Helm und R. C. Sproul.)
  • Echte menschliche Freiheit bedeutet, eine wirkliche „Fähigkeit zu Handlungen“ zu haben, die „unabhängig von seiner [d. h. Gottes] direkten Kontrolle sind“ (S. 57).
  • Theistische Deterministen vertreten die Ansicht, dass Gott „das menschliche Schicksal wie ein meisterhafter Schachmeister oder Puppenspieler festlegt, ohne dass er die Reaktionen der Menschen beachtet“ (S. 61). (Lennox begeht hier den allzu häufigen Fehler, Determinismus und Fatalismus miteinander zu vermischen.)
  • Theistische Deterministen „bestehen darauf, dass der menschliche freie Wille eine Illusion ist“ (S. 62). (Nur wenn man den freien Willen auf die voreingenommene Weise definiert, wie es Lennox tut.)

Es ließen sich noch Dutzende weitere Beispiele aus dem Rest des Buches anführen. Der Punkt ist klar. Bevor die Bibel überhaupt aufgeschlagen, bevor ein einziger Text untersucht worden ist, war die Sache bereits entschieden. Der Kompatibilismus wurde a priori ausgeschlossen. Echte Freiheit ist libertäre Freiheit. Jede Form von Determinismus untergräbt die moralische Verantwortung, und da die Bibel unsere moralische Verantwortung eindeutig bekräftigt, muss sie etwas anderes lehren als theistischen Determinismus. Der Gott des theistischen Determinismus kann nicht der Gott der Bibel sein!

Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass fast alle Probleme mit Lennox’ Argumenten in dem Buch auf diese Ausrutscher in den ersten beiden Kapiteln zurückzuführen sind. Die Art und Weise, wie er Begriffe definiert und die Probleme einordnet, präjudiziert seine Schlussfolgerungen.

In Kapitel 3 wird untersucht, was Lennox als das „moralische Problem“ des theistischen Determinismus ansieht. Das Problem besteht im Wesentlichen aus zwei Aspekten. Erstens impliziert der theistische Determinismus, dass Gott „aktiv am Bösen mitwirkt“ (S. 65), weil das Böse „direkt von Gott verursacht wird“ (S. 66 u. 67). Zweitens impliziert der theistische Determinismus eine fatalistische Sichtweise der Prädestination, nach der „‚ich sowieso gerettet werde, wenn ich gerettet werden soll. Ich kann nichts dagegen tun, weder in die eine noch in die andere Richtung‘“ (S. 65, hier eigene Übersetzung). Wie ich bereits angemerkt habe, verpflichtet der theistische Determinismus als solcher nicht zu der Vorstellung, dass Gott das Böse direkt verursacht, und Calvinisten haben eine solche Implikation fast ausnahmslos bestritten (z. B. indem sie zwischen primären und sekundären Ursachen unterschieden). Darüber hinaus ist der Calvinismus eine ausdrücklich nicht-fatalistische Form des Determinismus, da er bekräftigt, dass unser ewiges Schicksal von den Entscheidungen abhängt, die wir treffen. In der Debatte zwischen Calvinisten und Arminianern geht es nicht darum, ob unsere Entscheidungen einen Unterschied machen – natürlich tun sie das! –, sondern darum, wie diese Entscheidungen mit Gottes ewigem Ratschluss zusammenhängen.

Leider zeigt Lennox einmal mehr, dass er die calvinistische Position nicht wirklich versteht und auch nicht weiß, wie sie von den Alternativen unterschieden werden sollte. Er geht einfach ohne Begründung davon aus, dass der theistische Determinismus verwerfliche Auswirkungen hat. Und auf dieser vorurteilsbehafteten Grundlage lehnt er ihn dann ab.

In Kapitel 4 legt Lennox seine Gründe dafür dar, warum er „Begriffe wie Calvinist, Hyper-Calvinist, Reformierter, Radikal Reformierter, Arminianer usw.“ vermeidet (S. 90–91). Er gibt einige kluge Ratschläge, wie man parteiische Streitigkeiten vermeiden kann, welche Gefahr es birgt, Menschen mit Etiketten abzustempeln, und wie riskant es ist, theologische Systeme oder Paradigmen zu übernehmen, die anschließend wie „Zwangsjacken“ fungieren, in die die Worte der Heiligen Schrift hineingepresst werden müssen. Lennox betont, dass es ihm nur darum geht, die wahre Wahrheit zu finden, die richtigen Antworten auf die wichtigen Fragen nach der göttlichen Souveränität und der menschlichen Freiheit zu entdecken, anstatt in einem Gefecht zwischen theologischen Traditionen Partei zu ergreifen. Ohne seine Aufrichtigkeit grundsätzlich in Frage zu stellen, muss ich zugeben, dass ich dieses Kapitel ein wenig unehrlich finde. Ob es einem gefällt oder nicht, Bezeichnungen erfüllen einen bedeutsamen Zweck. Sie können natürlich missbraucht werden, aber wir kommen auch nicht ohne sie aus. Ich vermute, dass jeder Theologe, den Lennox als „theistischen Deterministen“ (eine weitere Bezeichnung!) kennzeichnet, die Bezeichnung „Calvinist“ oder „Reformierter“ als angemessene Beschreibung seiner Position akzeptieren würde. Unabhängig davon, ob er die konventionellen Bezeichnungen verwendet oder nicht, greift Lennox in eine seit langem andauernde theologische Debatte ein und er ergreift dabei ganz eindeutig Partei.

Teil 2: Die Theologie des Determinismus

Kapitel 5 versucht, das Thema der Debatte zu fokussieren. Lennox räumt ein, dass in der „Schrift eindeutig Lehren, die man sinnvoll mit den Begriffen ‚Gottes Souveränität‘ und ‚menschliche Verantwortung‘ beschreiben kann“, zu finden sind, „auch wenn beide Begriffe in der Bibel nicht vorkommen“ (S. 104). Das Problem besteht darin, dass die Menschen die eine oder andere dieser beiden Lehren überbetonen. Ich bezweifle nicht, dass Lennox glaubt, eine ausgewogene Darstellung des Problems zu bieten, aber selbst hier kann er nicht umhin, Fragen aufzuwerfen und seine Gegner zu karikieren:

„Die Ersten sind der Meinung, dass die ‚Spannung‘ allein durch die Souveränität Gottes aufgelöst werden kann, wodurch eine tatsächliche Bedeutung der menschlichen Verantwortung praktisch geleugnet wird, da Gott die direkte Ursache aller Dinge ist. Dies ist der theistische Determinismus.“ (S. 105)

Ich hoffe, der Leser kann erkennen, warum diese Aussage zu beanstanden ist. Theistischer Determinismus als solcher bedeutet eben nicht, dass Gott die „direkte Ursache aller Dinge ist“. Darüber hinaus wirft die Behauptung, dass eine solche Sichtweise die „tatsächliche Bedeutung der menschlichen Verantwortung praktisch“ leugnet, eindeutig die Frage des Inkompatibilitätsprinzips auf.

Kapitel 6 („Das biblische Vokabular“) untersucht, wie die Konzepte von Vorherwissen, Vorherbestimmung und Erwählung in der Bibel (oder zumindest im Neuen Testament; es wird nur ein alttestamentlicher Text zitiert) dargestellt werden. Was eine verantwortungsvolle linguistische Untersuchung hätte sein können, artet leider in Zerrbilder und Eisegese aus. Zum Beispiel stellt sich Matthäus 22,14 in der Lesart von Lennox als „Viele sind berufen, aber nur wenige antworten“ dar (vgl. S. 124–125). Und Apostelgeschichte 13,48 sagt uns (trotz des passiven Partizips im Griechischen), dass die Heiden sich selbst für das ewige Leben bestimmt haben (vgl. S. 125–127).[6]

Das Kapitel schließt mit einem Argument, das dem Wesleyanischen Philosophen Thomas McCall entlehnt ist. Dieses besagt, dass, wenn der göttliche Determinismus wahr wäre, jeder gerettet werden würde, denn Gottes universelle Liebe bedeute, dass er alles in seiner Macht Stehende tun wird, um sicherzustellen, dass jeder das Evangelium freiwillig annimmt und gerettet wird. Abgesehen von den Mängeln in der Argumentation übersieht Lennox die Tatsache, dass selbst nach seiner nicht-deterministischen Sichtweise Gott eindeutig nicht alles in seiner Macht Stehende tut, um sicherzustellen, dass jeder Mensch das Evangelium freiwillig annimmt. (Warum schickt Gott zum Beispiel keine Engel, die das Evangelium predigen, nach Nordkorea?) Der Punkt sollte offensichtlich sein: Calvinisten und Nicht-Calvinisten müssen gleichermaßen zugeben, dass Gott andere Ziele hat als die Maximierung der Zahl der geretteten Menschen.

Teil 3: Das Evangelium und der Determinismus

Teil 3 ist im Wesentlichen eine mehrteilige Kritik der reformierten Lehre vom völligen Unvermögen, nach der gefallene, nicht wiedergeborene Menschen nichts geistlich Gutes tun und auch nicht auf die Einladung des Evangeliums reagieren können, es sei denn, sie empfangen eine besondere göttliche Gnade. In Kapitel 7 werden drei Hauptargumente widerlegt, die vorgebracht wurden, um „den Gedanken zu unterstützen, dass Menschen von Natur aus unfähig sind, Gott zu antworten“ (S. 135). Ich gehe davon aus, dass Lennox hier eine positive geistliche Erwiderung wie rettenden Glauben und Buße im Sinn hat, da kein Calvinist behaupten würde, dass der Ungläubige unfähig sei, irgendwie auf Gott zu reagieren. Doch selbst dann scheint er nicht zu wissen, dass die Position, der er widerspricht, keine spezifisch calvinistische oder deterministische Ansicht wiedergibt. Zum Beispiel behaupten die Fünf Artikel der Remonstranz (Articuli Arminiani Sive Remonstrantia, die ursprüngliche Erklärung der arminianischen Lehre), dass der natürliche „Mensch weder aus sich selbst noch aus der Kraft seines freien Willens die rettende Gnade hat, da er im Zustand des Abfalls und der Sünde von sich aus weder denken, noch wollen, noch tun kann, was wahrhaft gut ist (wie es der rettende Glaube in höchstem Maße ist)“. Diese Behauptung war kein Zufall; die Remonstranten waren äußerst sensibel gegenüber dem Vorwurf des Semi-Pelagianismus. Auf jeden Fall ist es enttäuschend, dass die Kapitel 7 und 8 sich nicht mit einer ernsthaften Exegese der Standard-Beweistexte zu völligen Verdorbenheit/Unfähigkeit befassen, wie z. B. Johannes 6,44, Römer 6,16–19, Römer 8,7–8, 1. Korinther 2,14–16 und Epheser 2,1–10. Stattdessen werden die Lehre und die Argumente, die sie stützen, wiederholt falsch dargestellt.

Kapitel 9 bietet eine ausführliche Diskussion der Perikope Johannes 6,22–65, die mit ihrem auffällig prädestinatorischen Ton seit langem eine Lieblingsstelle der Calvinisten ist. Es ist Lennox’ Verdienst, dass er versucht, sich direkt damit auseinanderzusetzen und eine alternative, nicht-deterministische Lesart anzubieten. Leider besteht Lennox’ modus operandi [d. h. Vorgehensweise] darin, einen Abschnitt des Textes zu zitieren, eine falsche Darstellung der calvinistischen Lesart des Textes zu bieten und zu erklären, dass der Text, was auch immer er bedeuten mag, dies nicht bedeuten kann. Schließlich kommt er zu dem Schluss, dass eine andere – vermutlich nicht calvinistische – Lesart übernommen werden muss. Zum Beispiel zu den Versen 37–40:

„Was auch immer ‚vom Vater gegeben‘ bedeutet, wir können nicht behaupten, dass es die menschliche Verantwortung eliminiert, da diese Verantwortung drei Sätze später von Christus bestätigt wird. Wie wir auch gesehen haben, reicht es nicht, lediglich zu behaupten, dass Menschen verantwortlich sind, schon gar nicht, wenn wir dann Gott so darstellen, als mache er die Menschen verantwortlich für etwas, was sie gar nicht tun konnten.“ (S. 180–181)

Kein Calvinist glaubt, dass die bedingungslose Erwählung „die menschliche Verantwortung eleminiert“. Im Gegenteil, Calvinisten bestehen darauf, dass der göttliche Determinismus mit der menschlichen Verantwortung vereinbar sein muss. Lennox geht auch hier einfach davon aus, dass Inkompatibilität eine Selbstverständlichkeit ist, und besteht darauf, dass der Text in diesem Sinne interpretiert werden muss. Darüber hinaus ist das Axiom, welches seiner Argumentation zugrunde liegt – dass nämlich moralische Verantwortung immer auch die moralische Befähigung mit sich bringt – ein grundlegend pelagianischer Grundsatz, der (wie ich bereits erwähnt habe) sogar von den Remonstranten implizit geleugnet wurde.

Aufgrund seiner Grundannahmen ist Lennox gezwungen, die erklärende Beziehung zwischen dem göttlichen Geben und dem menschlichen Empfangen umzukehren:

„Der zweifache Bezug auf den Willen des Vaters [in den Vv. 39–40] deutet darauf hin, dass die zweite Aussage die Erste erklärt. Die Betonung der ersten Aussage liegt auf der Gabe des Vaters, und die zweite Aussage betont die menschliche Verantwortung, zu schauen und zu glauben. Das heißt, dass diejenigen, die der Vater ihm gegeben hat, genau dieselben sind, die auf den Sohn geschaut und an ihn geglaubt haben. Die Gabe ist kein willkürlicher Akt göttlichen Determinismus. Gott ist entschlossen, dass diejenigen, die kommen, schauen und glauben, niemals verloren gehen.“ (S. 182–183)

So, wie Lennox den Text liest, wird die Gabe des Vaters von der menschlichen Reaktion abhängig gemacht: Wenn jemand zu Jesus kommt, dann übergibt der Vater ihn an Jesus. Aber das kehrt die Logik von Vers 37 um. „Alles, was mir der Vater gibt, wird zu mir kommen“ bedeutet, dass, wenn der Vater jemanden Jesus übergibt, dann wird er auch zu Jesus kommen.[7] Das Kommen ist vom Geben abhängig. Nach Lennox’ Ansicht würden wir erwarten, dass Jesus sagt: „Alles, was zu mir kommt, wird mir der Vater geben.“ Aber das hat er nicht gesagt.

Ich werde die Geduld des Lesers nicht mit weiteren kritischen Erörterungen von Lennox’ Auslegung von Johannes 6 strapazieren. Ich möchte lediglich anregen, dass es eine lehrreiche Übung wäre, seine Darstellung beispielsweise mit der von D. A. Carson zu vergleichen.[8]

Teil 4: Israel und Determinismus

Dieselbe exegetische Methode wird auf Römer 9–11 in den Buchkapiteln 12 bis 15 angewendet. Lennox erkennt an, dass Römer 9 ein zentraler Punkt in der Argumentation für die bedingungslose Erwählung ist. Deshalb bemüht er sich, zu zeigen, dass Paulus nichts dergleichen lehrt. Sein Kommentar ist hier erneut gespickt mit fragwürdigen Annahmen (z. B. dass göttliche Vorbestimmung mit menschlicher Verantwortung unvereinbar ist) und falschen Darstellungen der calvinistischen Sichtweise (z. B. dass göttliche Vorbestimmung bedeutet, dass Gottes Wahl willkürlich und launisch ist). Darüber hinaus sieht es so aus, dass seine Auslegung des Textes nicht einmal in sich schlüssig ist. Er behauptet, Paulus spreche das Problem an, warum „genau dieses Volk, das von Gott als privilegiertes Werkzeug seiner Offenbarung an die Welt ausgewählt worden war, nun zum Großteil das Evangelium des Messias ablehnt“ (S. 252). Dies ist eindeutig eine Sorge um die Erlösung („das Evangelium … ablehnen“) von Individuen innerhalb einer Gruppe (Israel). Lennox behauptet jedoch später, dass in den Versen 10–13 „nicht von einer individuellen Erwählung zur Erlösung, sondern von einer gemeinschaftlichen Erwählung zum Dienst und einer bestimmten Rolle“ die Rede ist (S. 261). Man muss sich fragen, wie Gottes kollektive Erwählung Israels zu einer „privilegierten Rolle“ das Problem lösen soll, welches zuvor beschrieben wurde. Die Erwählung einer Gruppe erklärt nicht die Fragmentarisierung innerhalb dieser Gruppe. Und wenn die Erwählung, von der Paulus hier spricht, keine Erwählung zur Erlösung ist, wie passt dies dann zum Problem der Juden, die das Evangelium ablehnen? Was ist hier wahrscheinlicher: dass der inspirierte Apostel innerhalb weniger Absätze den Überblick über das Problem verloren hat oder dass Lennox einem theologischen Paradigma verhaftet ist, das ihn daran hindert, der inneren Logik des Textes zu folgen?

Wie bei der früheren Behandlung von Johannes 6 besteht Lennox’ Ansatz darin, Inkompatibilismus als gegeben hinzunehmen, jede prädestinatorische Lesart des Textes abzulehnen (weil sie die menschliche Verantwortung untergraben und Gott ungerecht machen würde) und auf einer Interpretation zu bestehen, die – egal wie künstlich sie ist – es schafft, den libertären freien Willen zu bewahren. So müssen wir beispielsweise „die Geschichte des Pharaos so lesen, dass sie den vermeintlichen Einwand in Frage stellt, dass der Wille Gottes unwiderstehlich sei“ (S. 273). Tatsächlich zieht der Einwand in Vers 19 jedoch nicht den Schluss, dass Gottes Wille unwiderstehlich sei – er setzt es im Gegenteil als Prämisse voraus, und der Apostel gibt keinen Hinweis darauf, dass er dem widerspricht. Wenn Paulus glaubte, dass Gottes Souveränität in der Erlösung durch den freien Willen des Menschen eingeschränkt sei, dann scheitert sein Bild vom Töpfer und dem Ton kläglich daran, diese Überzeugung zu vermitteln.

Lennox’ Auslegung von Römer 9–11 ist mit weiteren Problemen behaftet, zu vielen, um sie in einer Buchbesprechung, die sowieso schon überfrachtet ist, zu dokumentieren. Ich möchte jeden, der sich von Lennox’ Auslegung beeindrucken lässt, einfach dazu ermutigen, sie mit denen von Douglas Moo, Thomas Schreiner oder John Piper zu vergleichen und zu überlegen, in welcher Interpretation Paulus etwas ganz anderes behauptet als das, was er auf den ersten Blick zu behaupten scheint.

Teil 5: Gewissheit und Determinismus

Der letzte Teil des Buches befasst sich mit der Frage, ob ein wahrer Gläubiger jemals abtrünnig werden kann – und wie wir die verschiedenen Warnpassagen im Neuen Testament verstehen sollten. Hier wird der Calvinist weniger Meinungsverschiedenheiten mit Lennox haben, da er die Ansicht vertritt, dass jemand, der durch einen entscheidenden regenerativen Akt des Heiligen Geistes wiedergeboren wurde, nicht wieder „ungeboren“ werden kann: „Die Wiedergeburt ist unumkehrbar.“ Amen! Lennox interpretiert Hebräer 6,1–12 daher nicht als Warnungen für echte Gläubige, so, als ob sie ihre Erlösung verlieren könnten, sondern als Warnung an bekennende Gläubige, um zu zeigen, dass ihr Glaube echt sein muss.

Auffällig ist jedoch, dass in diesen Kapiteln das nachdrückliche Bewahrungsversprechen aus Johannes 10,27–29 überhaupt nicht erwähnt wird, obwohl es sicherlich einer der stärksten Texte zur Unterstützung der Position ist, die Lennox hier verteidigt. Vielleicht wäre es kontraproduktiv gewesen, die Aufmerksamkeit auf diesen Text zu lenken, da er unmittelbar auf Johannes 10,25–26 mit seinen prädestinarischen Implikationen folgt: „Ihr glaubt nicht, weil ihr nicht zu meinen Schafen gehört.“ Der Fairness halber sollte ich erwähnen, dass Lennox Johannes 10 an anderer Stelle in seinem Buch ausführlich behandelt. Doch dort bemüht er sich (wie bei seiner Behandlung von Johannes 6,37), die Beziehung zwischen dem Erklärungsobjekt und dem Erklärungsgrund umzukehren: Nach Lennox werden Menschen zu Schafen Christi, indem sie glauben (eine Interpretation, die sich nur schwer mit Johannes 10,16 vereinbaren lässt).

Zum Glauben vorherbestimmt?

Nachdem wir den Inhalt des Buches untersucht und einige Probleme mit seiner Argumentation hervorgehoben haben, lohnt es sich, einen Schritt zurückzutreten und über die im Titel gestellte Frage nachzudenken (engl. Determined to Believe?). Man kann zwar nie sicher sein, ob der Autor oder der Verleger für den Titel eines Buches verantwortlich ist, aber man kann davon ausgehen, dass Lennox dem Titel immerhin zugestimmt hat und die Frage verneinen würde: Niemand ist vorherbestimmt, an Christus zu glauben.

Aber was ist Lennox’ Meinung nach die richtige Position in dieser Frage? Vermutlich meint er, dass wir in Bezug auf unsere Glaubensüberzeugungen eine Art Indeterminismus bejahen sollten. Was ist dann der Grund für diesen Indeterminismus? Der libertäre freie Wille? Sicherlich nicht, denn niemand wählt aus, was er glaubt. (Versuchen Sie es selbst: Können Sie ihren freien Willen dazu nutzen, etwas zu glauben, an das Sie noch nicht glauben.) Unsere Glaubensüberzeugungen unterliegen nicht der willentlichen Kontrolle, zumindest nicht auf direkte Weise. Wie viele Christen könnten sagen, dass sie sich dafür entschieden haben, an das Evangelium zu glauben? Viele von uns wurden von klein auf gelehrt, dass die Bibel das Wort Gottes ist und Jesus der Sohn Gottes, der am Kreuz starb und anschließend wieder auferstand, um uns von Sünde und Tod zu erlösen. Wir haben uns nie dafür entschieden, an das Evangelium zu glauben, und wir entscheiden uns auch nicht dafür, weiterhin daran zu glauben.

Auch scheint die Ausübung des freien Willens kein typischer Faktor für diejenigen zu sein, die erst später im Leben zum Glauben kommen. Wie viele Menschen denken, wenn sie über ihre Bekehrung nachdenken: „Ich habe das Evangelium gehört und mich entschieden, daran zu glauben?“ Denken Sie insbesondere an die dramatische Bekehrung des Saulus (Apostelgeschichte 9,1–9). Hat er sich entschieden, an das Evangelium zu glauben? Wie hätte er nicht glauben können (Galater 1,15–16)?

Betrachten wir nun die Alternative. Wenn dieser vermeintliche Indeterminismus nicht auf einem libertären freien Willen beruht, muss er seinen Ursprung in einer anderen indeterministischen Quelle haben. Wie ließe sich das vom reinen Zufall unterscheiden? Ich kann nicht für andere sprechen, aber ich würde es vorziehen, dass mein Glaube an Jesus auf dem Wohlgefallen eines souveränen Gottes beruht und nicht auf etwas, das einer Quantenfluktuation ähnelt. Auf jeden Fall setzt sich Lennox bei all seinen Bemühungen, den theistischen Determinismus zu widerlegen und Raum für libertäre Freiheit zu schaffen, nie mit der Frage auseinander, wie diese Dinge mit dem zusammenhängen, was wir glauben, und wie wir dazu kommen, es zu glauben.

Es wird nicht verborgen geblieben sein, dass diese Rezension überwiegend kritisch ausgefallen ist. Ich wünschte, es wäre anders gewesen. An dem Ansatz von Lennox gibt es viel zu bewundern. Sein Engagement, sich den schwierigen Fragen nicht zu entziehen, sein Wunsch nach ehrlichen und respektvollen Diskussionen, seine offensichtliche Liebe zu Christus und zur Bibel und sein leidenschaftlicher Wunsch, das Evangelium zu verkünden und zu verbreiten, all das erstrahlt aus dem Buch. Dennoch ist meine ehrliche Einschätzung, dass es als Kritik am theistischen Determinismus (oder sagen wir es einfach: am Calvinismus) und als biblische Verteidigung der Idee, dass Gottes Kontrolle über seine Schöpfung durch den freien Willen des Menschen eingeschränkt wird, zu kurz greift.

James N. Anderson

Reformed Theological Seminary, Charlotte (USA)

 

Der Text erschien zuerst als Buchrezension in Reformed Faith & Praxis, Bd. 3, Nr. 3, Dezember 2018, S. 52–62. Mit freundlicher Genehmigung von Ron Kubsch für www.TheoBlog.de übersetzt. Die Rezension kann hier als PDF-Datei heruntergeladen werden: Lennox_Vorherbestimmt.de.pdf.

Fußnoten

  1. Rezensiert wurde die englischsprachige Originalausgabe: John C. Lennox, Determined to Believe?, Grand Rapids: Zondervan, 2018. In dieser Übersetzung wird zitiert aus: John C. Lennox, Vorher bestimmt?, Dillenburg: CV, 2019.

  2. John Lennox, Hat die Wissenschaft Gott begraben?, Witten: SCM R. Brockhaus, 2014.

  3. Vgl. John Lennox, Hat die Wissenschaft Gott begraben?, 2014, S. 11–14.

  4. Siehe zum Beispiel seine Aussagen über das kausale „Verknüpfungs-Argument“ (vgl. S. 40–42) und über „bloße Automaten“ (S. 46).

  5. Für eine weitere Diskussion dieses Punktes siehe James N. Anderson, „Calvinism and the First Sin“, in: Calvinism and the Problem of Evil, hrsg. von David E. Alexander u. Daniel M. Johnson, Eugene, OR: Wipf and Stock, 2016, S. 200–232.

  6. Die Heiden reagierten auf Gottes Initiative: „Sie reihten sich ein und glaubten“ (S. 127).

  7. < Alle S sind P > ist logisch äquivalent zu < Wenn x ein S ist, dann ist x ein P >.

  8. Siehe D. A. Carson, The Gospel According to John, The Pillar New Testament Commentary, Grand Rapids, MI: Eerdmans, 1990.

 

Die Kosten der Selbstoptimierung

Longevity – dieser Begriff ist in den letzten Jahren in unserer Gesellschaft immer präsenter geworden. Sicherlich ist er auch Ihnen schon begegnet. Man kann sogar fast von einer Longevity-Bewegung sprechen. Gemeint ist Langlebigkeit einschließlich zweier Aspekte: lange Lebensspanne und hohe Lebensqualität im Alterungsprozess. 

Dazu sind in den letzten Jahren unzählige Produkte, Behandlungen und Angebote auf den Markt gekommen: Anti-Aging-Superfoods, Biohacking, Kältekammern oder hyperbare Sauerstofftherapien. Die Fachärzting Jenifer Blythe hat für die FAZ herausgearbeitet, dass bei dem Trend der Wert von stabilen und liebevollen Beziehungen leider vernachlässigt wird:

Damit wird deutlich, Gesundheit unterliegt nicht bloß der individuellen Verantwortung, sondern ist ein Produkt des sozialen Miteinanders. Die Bedeutung von zwischenmenschlichen Beziehungen für unsere Gesundheit kann deshalb nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Auch die prominenteste und umfassendste Langzeitstudie, die „Harvard-Studie über das Leben“ mit einer Laufzeit von mehr als 75 Jahren zeigt, dass die besten Prädiktoren für ein langes und gesundes Leben nicht Reichtum, Selbstoptimierung oder Erfolg sind, sondern stabile, liebevolle Beziehungen. Je mehr wir uns in reale, echte soziale Netzwerke einbinden, desto besser ist unsere körperliche und geistige Gesundheit.

Mehr: www.faz.net.

Das Ebenbild Gottes und seine Not

Die Lehre vom Ebenbild Gottes ist für die christliche Theologie und Ethik von grundlegender Bedeutung und bildet die Grundlage für Gerechtigkeit und das Gedeihen des Menschen in der Gesellschaft. Diese Lehre wird jedoch heute von antichristlichen Kräften scharf angegriffen.

Fazit:

Der Patristiker Robert Louis Wilken argumentiert in seinem Buch „The Spirit of Early Christian Thought“, dass „die biblische Lehre vom Ebenbild Gottes das christliche Denken auf einen anderen Kurs gebracht hat“ – in der Tat auf einen Kurs, der die Welt neu gestalten sollte. Diese Lehre wird in der Lehre von Gregor von Nyssa in seinem Werk „Über die Erschaffung des Menschen“ wunderbar zusammengefasst, wo er sagt: „Denkt daran, wie viel mehr ihr vom Schöpfer geehrt werdet als der Rest der Schöpfung. Er hat weder den Himmel noch den Mond, die Sonne, die Schönheit der Sterne oder irgendetwas anderes, das du in der Schöpfung sehen kannst, nach seinem Bild geschaffen. Du bist nach dem Abbild jener Natur geschaffen, die das Verständnis übersteigt … Nichts in der Schöpfung kann mit deiner Größe verglichen werden.“ 

Das ist es, was der christliche Glaube der Welt zu geben hat: die Menschenwürde im Abbild Gottes. Als evangelikale Christen müssen wir aber auch lehren, dass Gottes Schöpfung des Menschen nach seinem Bild als Mann und Frau ebenso grundlegend für die Menschenwürde und das göttliche Abbild ist, indem wir unerschrocken die Institutionen Ehe und Familie fördern. Denn dagegen führt die Welt Krieg: Männlichkeit, Weiblichkeit, natürliche Ehe und Familie. Aber was Gott geschaffen und offenbart hat, ist nicht nur gut, sondern sehr gut. Und es ist gut für uns – für die Erholung des Westens, ja – aber auch für die Regeneration und Erneuerung jedes Menschen, ob Mann oder Frau, durch den persönlichen Glauben an Christus, der das vollkommene Abbild des unsichtbaren Gottes ist (Kol 1,15).

Mehr (nur in Englisch): www.thegospelcoalition.org.

Renaissance der Männlichkeit ist überfällig

Lange galt der westliche Mann als Auslaufmodell, wurde als gestrig oder gar „toxisch“ gescholten. Jetzt erleben alte Muster eine Renaissance. Das hat auch mit einer bestimmten Zukunftsangst zu tun – und weltanschaulicher Grenzenlosigkeit, meint Matthias Politycki. Er schreibt:

Dreißig, vierzig Jahre lang hatten die Befürworter einer neuen, differenzierten, emanzipierten – man möchte fast sagen: einer feministisch verstandenen – Männlichkeit alle guten Argumente auf ihrer Seite. Männer, die sich nicht als „neue“, sondern als herkömmliche Männer begreifen wollten, hatten es „noch immer nicht begriffen“, man unterstellte ihnen, daß sie „abgehängt“ waren und sich deshalb „in patriarchale Ersatzklischees flüchten“ mußten. Selbstredend galten sie als misogyn, sprich, als erledigt. Und wer es anders sah, war gut beraten, den Mund zu halten – habe den Mut, dich deiner eigenen Feigheit zu besinnen.

So hat sich die Diskussion über Männlichkeit im Lauf der Jahre auf „toxische“ Männlichkeit fokussiert; die Beschäftigung mit „herkömmlicher“ Männlichkeit (in all ihrer Ambivalenz) ist hingegen fast ganz aus dem öffentlichen Gespräch verschwunden. „Man darf nicht einmal das Wort Männlichkeit verwenden, ohne als Faschist zu gelten“, sagte der französische Philosoph Michel Onfray vor gar nicht so langer Zeit im Interview.

Doch das ändert sich gerade. Angesichts der Kriege, die gefährlich nah an unseren Alltag herangerückt sind, und einer immer häufiger sichtbaren maskulinen Gewalt im Inneren wankt der ideologische Überbau, den sich der Westen auf zunehmend selbstzerstörerische Weise verordnet hat, lösen sich jahrzehntelang dekretierte Selbstverständlichkeiten wie von selbst auf.

Mehr (hinter einer Bezahlschranke): www.welt.de.

Universitäten als „Safe Spaces“?

Mit einem „Hochschulsicherheitsgesetz“ will Nordrhein-Westfalen unter einer schwarz-grünen Regierung Hochschulangehörige vor Diskriminierung schützen. Keine gute Idee! 

Maria-Sibylla Lotter schreibt in der NZZ: 

Bei der Vision der Hochschule als „Safe Space“ scheint das Ministerium eines vergessen zu haben: Menschen können nicht nur Opfer von Übergriffen, sondern auch von Falschbeschuldigungen oder übertriebenen Empfindlichkeiten werden. Und Machtmissbrauch gibt es nicht nur von Autoritäten gegenüber Abhängigen. Macht kann heute über die Opferrolle sehr effektiv ausgeübt werden. Die Berliner Grünen haben das gerade vorgeführt. Die Verfassungsjuristen fürchten, dass das Gesetz im politischen Meinungskampf instrumentalisiert wird.

Viele Formulierungen im Gesetzesentwurf sind vage, missverständlich und laden geradezu zum Missbrauch ein. Garantiert werden soll nicht nur der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung, sondern auch der „soziale Geltungsanspruch“ und die freie „persönliche Lebensgestaltung“. Das mag gut klingen. Aber wann wird eine kritische Auseinandersetzung zur „Anfeindung“, zur „Infragestellung des sozialen Geltungsanspruchs“ oder zur Abwertung der „persönlichen Lebensgestaltung“? Und wer entscheidet darüber?

Es kommt oft vor, dass ein Thema oder ein Gedankenexperiment Studierende irritiert. Solche Irritationen können produktive Diskussionen und Lerneffekte auslösen. Wenn man sich als Gesprächspartner gegenseitig ernst nimmt, werden solche Diskussionen vielleicht auch hitzig und führen zu Kritik an persönlichen Haltungen. Ist es in Zukunft eine «Infragestellung des sozialen Geltungsanspruchs», wenn eine Studierende einer anderen «Überempfindlichkeit» oder «Fanatismus» vorwirft? Die Gefahr besteht. Und dann wird es solche Diskussionen nicht mehr geben.

Schon vor Weihnachten 2024 veröffentlichten 46 Erstunterzeichner, vor allem Verfassungsrechtler, auf der Plattform Verfassungsblog.de Protestschreiben an Ministerin Ina Brandes, den Entwurf zurückzuziehen (vgl. hier). „Der Gesetzentwurf verlässt den Boden des verfassungsrechtlichen Schutzes der Wissenschaft und rechtsstaatlicher Verfahrensvorgaben“, heisst es darin.

Mehr: www.nzz.ch.

Der moralische Gottesbeweis bei Kant

Rüdiger Safranski schreibt in Romantik: Eine deutsche Affäre (2007, S. 137):

Kant hatte die alte Metaphysik mit ihren Gottesspekulationen destruiert. Die theoretische Vernunft, so lehrte er, kann Gott nicht erkennen. Kant vertrieb die theoretische Vernunft damit rigoros aus den seligmachenden Gefilden, wo sie nichts zu suchen, jedenfalls nichts zu finden hat. Ubriggeblieben war die Gotteshypothese für die praktische Vernunft, also für die Moral. Kant erklärt die Sittlichkeit zum einzig verbleibenden religiösen Organ. Dabei ist, genaugenommen, die Religion nicht das Fundament der Moral, sondern es wird umgekehrt die Religion auf die Moral gegründet. Das ist sehr bedeutsam. Würde Moral auf Religion begründet sein, wäre sie gottgegeben, also heteronom [d.h. von fremden Gesetzen/Gesetzgebern abhängend, Anm. R.K.]. Sie soll aber autonom sein. So will es der Kantsche Freiheitsbegriff.

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