Inklusion

Illusion Inklusion

Heike Schmoll schreibt in der FAZ (Ausgabe vom 23.05.2017, Nr. 119, S. 1), dass die Schulen wieder einmal zum Schauplatz einer Ideologie geworden sind. Der pädagogische Großversuch der Inklusive stoße  sowohl bei den Eltern der Kinder als auch bei den Lehrern auf wachsende Ernüchterung. Was wohl gemeint war, widerspreche viel zu oft dem Kindeswohl.

Es heißt in dem Kommentar:

[Die Gruppe zu integrierenden Kinder], die am meisten Aufmerksamkeit braucht, wird immer größer. Das sind Kinder mit emotional-sozialer Entwicklungsstörung, die man früher als schwer erziehbar bezeichnet hätte. Zwischen 2005 und 2015 ist diese Gruppe um 86 Prozent auf 85 500 gewachsen. Jeder Zweite davon besucht eine Regelschule.

Das schadet dem Unterricht, aber am meisten den betroffenen Schülern selbst. Der Berliner Psychoanalytiker Bernd Ahrbeck hat in einer Expertise davor gewarnt, die Verfassung dieser Kinder zu bagatellisieren. Die meisten seien bindungsgestört und „stark beeinträchtigt“. Viele von ihnen seien anfällig für frühen Drogenmissbrauch und schwänzten ganz ‚ einfach die Schule. Allein durch stärkere Toleranz und gutgemeinte Integration lassen sich die Probleme dieser Kinder nicht lösen.

Eine unglaubliche Gleichmacherei

Warum werden Wesensmerkmale wie Behinderung, Begabung oder sexuelle Identität oft einfach wegdiskutiert? Christian Geyer mischt sich in eine verlogene Debatte um die angeblich erlösende Gleichheit ein.

Nicht jeder kann alles. Und nicht jeder kann das, was er kann, genauso gut wie jemand anderer, der es besser kann. Die Pointe der Inklusionssemantik liegt aber darin, jeden Unterschied als Ungleichheit zu deuten und jede Ungleichheit als Ungerechtigkeit. So wird unter der regulativen Idee der „Vielfalt“ (Schule der Vielfalt, „diversity management“ in Unternehmen) ein egalitäres Anspruchsdenken installiert, das so weit geht, Unterschiede als solche möglichst gar nicht mehr namhaft zu machen. Geschlecht, Behinderung, Alter oder Intelligenz gehören dann gar nicht erwähnt, sie erscheinen als bloße Zuschreibungen im Auge des Betrachters.

Die Analyse kategorialer Unterschiede wird als Essentialismus geschmäht, dem ein naiver Wesensbegriff zugrunde liege. Die propagierte Dekategorisierung („alles ist Zuschreibung“) vollzieht sich aber zunehmend auf dem Rücken der Betroffenen. Frau Allmendinger beispielsweise macht unfreiwillig die diskriminierenden Folgen für die Behinderten sichtbar, ja, befördert sie selbst. So kritisiert die Arbeitsmarktforscherin, „dass viele Bundesländer Inklusion fördern wollen, ihr Förderschulsystem aber unangetastet lassen“. Sie fordert, „Förderschulen konsequent zu schließen“ – und lässt damit die Katze aus dem Sack.

Das tut der Erlösungsstrategie der Inklusion aber keinen Abbruch. In ihrem Zentrum steht die Verabsolutierung des Prinzips der sozialen Partizipation. Es stellt alle anderen Bedürfnisse der Betroffenen in den Schatten. Gemeinschaft ist Trumpf: Alle sollen sich überall zugehörig fühlen können.

Das ist die Gegenthese zur ausdifferenzierten Gesellschaft, ein sozialer Radikalismus, vor dem schon der Anthropologe Helmuth Plessner in seiner Schrift „Grenzen der Gemeinschaft“ gewarnt hat. Natürlich soll niemand wegen seiner geschlechtlichen Identität diskriminiert werden dürfen. Doch das begründet umgekehrt noch keine Verpflichtung, alle möglichen sexuellen Gemeinschaftsmodelle am Ehebegriff partizipieren zu lassen.

Die Illusion der Vielfalt liegt ja darin, alle Ungleichheiten für unwirksam und unwichtig zu halten, haben sie sich erst einmal zur Vielfalt gerundet. Aber auch sexuelle Inklusion hat zwischen Deskription und Normativität von Vielfalt zu unterscheiden, sollen nicht legitime Fragen wie solche nach der Sicherung des Kindeswohls als unerheblich abgetan werden. Daher auch die Gefährlichkeit von Frau Allmendingers Appell zur Schließung der Sonderschulen. Um einer Gemeinschaftsideologie willen wird die besondere Förderung von besonders zu Fördernden fahrlässig aufs Spiel gesetzt.

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Die Illusion mit der Inklusion

Es ist ein hehres Ideal: Kinder mit und solche ohne Behinderung sollen gemeinsam unterrichtet werden. Doch viele Lehrer und Fachleute sagen: Das hilft keinem der Schüler wirklich.

Katrin Hummel zieht eine differenzierte und nüchterne Bilanz. Darin heißt es:

Josef Kraus, Präsident des deutschen Lehrerverbandes, zweifelt ebenfalls daran, dass Regelschulen in jedem Fall der geeignete Ort für Förderkinder sein sollen: „Warum es die hochdifferenzierten, höchst individuell fördernden und von hochprofessionellem Lehrpersonal geführten Förderschulen wegen der UN-Konvention zukünftig nicht mehr oder kaum noch geben soll, erschließt sich keiner nüchternen Betrachtung.“

Es gibt Eltern von Förderkindern, die das genauso sehen, zum Beispiel die „Landeselternschaft der Förderschulen mit Schwerpunkt geistige Entwicklung NRW“. Längst nicht alle wollen von ihrer neuen Wahlfreiheit Gebrauch machen und ihre Kinder auf Regelschulen schicken. Man würde sie aber dazu zwingen, wenn man die Förderschulen abschaffen würde – was man tun müsste, damit die Inklusion bezahlbar wird.

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Inklusion mit Augenmaß

Manchem gilt Inklusive als Zauberwort, das eine neue pädagogische Epoche einläuten soll. Erzwungene Gemeinsamkeit aller hilft aber weder den behinderten noch den nichtbehinderten Kindern. Heike Schmoll wirbt dafür, Freiräume für individuelle Entscheidungen zu erhalten – für die Eltern und vor allem ihre behinderten Kinder.

Nicht nur in Hamburg ist die gemeinsame Beschulung von behinderten und nichtbehinderten Kindern an die Stelle der Utopie von der Einheitsschule getreten. Inklusion scheint für viele das Zauberwort zu sein, das eine neue pädagogische Epoche einläuten soll. Völlig unklar ist indessen, wie der gemeinsame Unterricht in Schulen eigentlich verwirklicht werden soll. Weder sind die meisten Gebäude barrierefrei, noch verfügen die Schulen über Lehrer, die für die neue Aufgabe auch nur annähernd ausgebildet wären. Wer die Inklusion als quasi-totalitären Anspruch an Schulen zu kritisieren wagt, setzt sich dem Verdacht aus, der Selektion anzuhängen und sich den Forderungen der UN-Behindertenrechtskonvention zu widersetzen.

Doch davon kann keine Rede sein. In der UN-Konvention, der mehr als 150 Staaten einschließlich der Bundesrepublik zugestimmt haben, geht es ganz elementar darum, Menschen mit Behinderungen Zugang zum staatlichen Bildungssystem zu geben. Den haben sie in Deutschland längst, und zwar je nach Grad der Behinderung an allgemeinbildenden Schulen oder Förderschulen, die in der Konvention ausdrücklich nicht als Form von Diskriminierung gebrandmarkt werden, sondern als behindertengerechte Förderung. Würde dies erst einmal zur Kenntnis genommen, könnte die emotionalisierte Debatte über die Inklusion erheblich sachlicher geführt werden.

Hier der ausgezeichnete Kommentar: www.faz.net.

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