Paul Bruderer

Thomas – ein angefochtener Jünger

Paul Bruderer hat für die Zeitschrift IDEA den feinen Artikel „Über den Umgang mit Glaubenskrisen“ verfasst (Ausgabe 15, 10.04.2024, S. 18–21). Hier ein Auszug: 

Thomas wird manchmal der „ungläubige Thomas“ genannt. Ungläubig würde jedoch heißen, dass er sich bewusst von Jesus abwendet und den Glaubenskontakt zu Christen abbricht. Dies trifft auf Thomas nicht zu. Vielmehr wird er uns vorgestellt als einer, der aufgrund der Ereignisse in seinem Leben – der Tod von Jesus Christus mit den daraus resultierenden theologischen Fragen – das bisher Geglaubte infrage stellt. Dies ist eigentlich das Zeichen eines gesunden Glaubens. Ein reifer und gesunder Glaube ist fähig, die Gründe für unsere Hoffnung zu artikulieren (1. Petrus 3,15) und ist entsprechend auch angefochten, wenn diese Beweise wegbrechen.

Es ist etwas Gutes, dass Thomas nicht – salopp gesagt – „jede Kröte schluckt“, die man ihm vorhält. Er ist nicht leichtgläubig wie Christen, die nahezu alles akzeptieren, was ihnen auf einem Tablett serviert wird – vom Pfarrer, Prediger, dem neuesten Buch auf dem Markt oder Influencer in den Sozialen Medien. Thomas ist hierin ein Glaubensvorbild und eine Ermutigung für alle, die durch eine Glaubenskrise gehen, sich nicht abfertigen zu lassen mit schnellen oder fadenscheinigen Antworten. Thomas ist kein Ungläubiger, sondern ein angefochtener Gläubiger. Sein Ruf nach Beweisen gleicht einem Protest, bringt aber im Grunde seine Sehnsucht zum Ausdruck, wieder an Jesus glauben zu können. Christen sollten vorsichtig sein, Zweifler vorschnell als „Ungläubige“ zu sehen oder als solche, die „den Glauben verloren haben“. Sie sollten sich bewusst sein, dass der Zweifler in ihrer Mitte möglicherweise eine ähnliche Kehrtwende erleben wird wie Thomas, der vom Zweifler und Spielverderber zum Lehrer und Leiter in der Gemeinde wird.

IDEA-Abonnenten können die gesamten Artikel hier nachlesen: www.idea.de.

Culture Shift

Paul Bruderer beschreibt für „Daniel Option“, wie auf ihn innerhalb der evangelikalen Szene Druck in Sachen Sexualethik ausgeübt wurde: 

Ab 2014 traten die Forderungen immer häufiger und lauter an mich heran, gewisse Verhaltensweisen (z.B. ausgelebte Homosexualität oder sexuelle Intimität vor und ausserhalb der Ehe) grundsätzlich gutzuheissen, solange diese einvernehmlich unter Erwachsenen gelebt werden. Was mir bisher als ein respektvoller und willkommen heissender Umgang mit diesen Menschen schien, wurde nun immer mehr als etwas bezeichnet, das gegen diese Menschen gerichtet ist. Sogar als etwas Aggressives. Ich hätte eine aggressive Theologie, meinten einige. Die Forderung kam immer direkter und fordernder, meine Meinung grundlegend zu ändern.

Ich vergesse nicht, wie ein guter Freund von mir mich direkt und scharf konfrontierte: «Paul, wir haben als Christen unsere Meinung geändert in Bezug auf die Sklavenfrage und in der Frauenfrage. Wir werden (dieses Wort betonte er deutlich) unsere Meinung auch in der Frage ausgelebter Homosexualität ändern!»

Der Ball war bei mir. Ich hatte Hausaufgaben zu tun und nahm mir 2 Jahre Zeit. Inzwischen waren diese Fragen an der Basis meiner Kirchgemeinde angekommen. Ich bin meiner Gemeinde dankbar, dass sie mir die nötige Zeit gab, nochmals über die Bücher zu gehen. Und über die Bücher gehen musste ich tatsächlich! Ich war schon über 10 Jahre Pastor und Lehrer. Ich musste mir aber nochmals fast von Null auf überlegen, was die Bibel eigentlich ist und wie dieses Jahrtausend alte Buch, das in einer anderen Kultur geschrieben wurde, sich auf unsere Zeit übertragen lässt. Ich habe in dieser Zeit auch viel mit Menschen gesprochen, die persönlich mit diesen Themen und Fragestellungen leben.

Ich habe die Frage ernsthaft an mich herangelassen: Könnte es sein, dass wir als Christen während 2000 Jahre gleichgeschlechtlich empfindenden Menschen zu Unrecht abverlangt haben, ihre sexuelle Präferenz nicht auszuleben? Haben wir ihnen 2000 Jahre lang Unrecht getan? Progressiv-Liberale, die mich heute kennen, werden mir nicht glauben, dass ich diese Frage wirklich an mich herangelassen habe. Ich kann es ihnen nicht beweisen. Ich hoffe, sie glauben es mir. Es war mir eine Not, hier Gottes Wege zu finden, denn ich weiss, dass seine Wege für den Menschen gut sind. Ich will den Menschen auf jeden Fall dienen, aber nach Gottes Art und Weise.

Nach den 2 Jahren kam ich aus diesem Prozess heraus mit der Erkenntnis, dass die Sklaven- und Frauenfrage keineswegs dieselben sind wie die Frage, ob Homosexuelle ihre Präferenz mit Gottes Segen ausleben können. Nur der Neo-Marxismus unserer Zeit wirft alle drei Gruppen in einen Topf: alle drei werden der grossen Kategorie von unterdrückten Minderheiten zugeordnet. Sie unterscheiden sich lediglich im Mass an sogenannter Intersektionalität. Aber der Neo-Marxismus hat wenig Unterscheidungsvermögen und den einzelnen Menschen sieht er schon gar nicht!

Mehr: danieloption.ch.

Nach oben scrollen
DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner