Peter Berger

Die Abdankung der Transzendenz

Peter L. Berger schreibt über den (angeblichen) Verlust der Transzendenz in unserer modernen Kutlur – letztlich in der Tradition von Schleiermacher stehend (Auf den Spuren der Engel, 1991, S. 20): 

Die Entmachtung oder Abdankung der Transzendenz hat verschieden getönte Reaktionen ausgelöst: prophetischen Zorn, tiefe Trauer, Triumph – oder auch nur eine von keinerlei Gefühl getrübte Sachlichkeit. Der konservative Wortführer der Religion, der ein gottloses Zeitalter verdonnert, der „fortschrittliche“ Intellektuelle, der es willkommen heißt, und der kühle Analytiker, der es lediglich registriert, haben jedoch eines gemeinsam: sie halten diese Lage in einer Zeit, in der sich das Göttliche – mindestens in seinen klassischen Formen – in den Hintergrund menschlicher Belange und Vorstellungen zurückgezogen hat, für unausweichlich.

Das Wort „übernatürlich“  (oder auch „transzendent“) ist zu Recht auf Kritik aus den verschiedensten Lagern gestoßen. Religionshistoriker und Kulturanthropologen weisen darauf hin, daß es eine Ieilung der Wirklichkeit suggeriert: ein geschlossenes System rational faßbarer „Natur“ und, jenseits und außerhalb, ein geheimnisvolles Irgendwo. Eine solche Vorstellung ist für die Moderne bezeichnend und führt sogleich in die Irre, wenn man mit ihr an primitive oder archaische Kulturen herangeht. Alttestamentler bemängeln, das Wort „übernatürlich“ werde der Konkretheit und Historizität der jüdischen Religion nicht gerecht, christliche Theologen, daß es zu einer der Inkarnations-, wenn nicht schon der Schöpfungslehre innewohnenden Weltbejahung im Widerspruch stehe. Dennoch trifft es, vor allem in seiner alltäglichen Bedeutung, eine fundamentale Kategorie der Religion: nämlich die Überzeugung oder den Glauben, daß es eine andere Wirklichkeit gibt, und zwar eine von absoluter Bedeutung für den Menschen, welche die Wirklichkeit unseres Alltags transzendiert. Diese Grundvorstellung von Wirklichkeit, nicht nur von irgendeiner ihrer historischen Varianten, ist es, was angeblich in der modernen Welt abgestorben oder im Absterben begriffen ist.

Peter Berger (1929–2017)

Der Religionssoziologe Peter L. Berger ist am 27. Juni 2017 verstorben. Der katholische Theologe Paul M. Zulehner erinnert sich an einen Freund. Vor sieben Jahren hatte ich ein Gespräch zwischen Al Mohler und Peter Berger hier gepostet.

In Erinnerung an Berger ein Zitat aus seinem Buch: Erlösender Glaube (2004, S. 1):

Wenn wir vorübergehend die Frage außer Acht lassen, warum jemand einen Glauben hat: Es gibt gute Gründe, weshalb viele Menschen, häufig sehr erfolgreich, ohne einen Glauben durchs Leben gehen. Schwieriger ist es einzusehen, warum jemand kein Interesse an diesem Thema haben sollte. Religiöser Glaube, egal in welcher Form, basiert immer auf einer Grundannahme – nämlich der, dass es eine Wirklichkeit jenseits der Wirklichkeit des gewöhnlichen, alltäglichen Lebens gibt, und dass diese tiefer liegende Wirklichkeit eine gutartige ist. Anders ausgedrückt: Religiöser Glaube impliziert, dass es etwas gibt, das über den Tod und die Verwesung hinaus geht, die, wie wir wissen, nicht nur uns selbst erfassen werden, sondern alles, was uns in der Welt etwas bedeutet – die Menschheit und den Planeten, auf dem die Menschheitsgeschichte ihren Lauf nimmt, und (wenn die moderne Physik Recht behält) das gesamte Universum.

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