Verschwörungserzählung
Die feministische Gendersprache basiert auf einer Verwechslung von Genus und Sexus; es gebricht ihr an Legitimität, meint Gerald Ehegartner (NZZ, 14.04.25, S. 14):
Trotz all diesen Argumenten folgt die Genderlinguistik unbeirrt der trügerischen Verknüpfung von Sexus und Genus. Wer dieses Trugbild weiterhin als real liest, wird sich über die folgende Zählung des Dudens freuen: Etwa 46 Prozent aller Nomen sind feminin, 34 Prozent maskulin und 20 Prozent neutral. Weiters steht der Pluralartikel «die» im Deutschen mit dem femininen Artikel in Verbindung, genauso wie die 3. Person Plural «sie» mit der 3. Person Singular feminin gekoppelt ist. Hätten darob nicht auch die Männer Grund, sich nicht mitgemeint zu fühlen? Aber selbstredend war hier erneut kein «Kampf der Geschlechter» ausschlaggebend, sondern die kollektive Sprachintelligenz wählte unbewusst jenes Genus, das mit dem Plural (Kollektiva) korrespondiert.
Die Behauptung eines linguistischen Patriarchats ist eine moderne Verschwörungserzählung rund um das «generische Maskulinum», die als Grundlage für den ersten künstlichen Umbau der deutschen Grammatik dient. Dieser unterscheidet sich grundlegend von Orthografiereformen oder neuen Wortschöpfungen, da diese nicht in die Sprachstruktur eingreifen. Wir haben es hier mit einer auf fehlerhaften Annahmen basierenden Gesinnungsgrammatik zu tun, die nicht nur das Geschlecht sprachlich durchgehend sichtbar machen möchte, sondern in der Sprache auch eine bestimmte Ideologie abbilden möchte.
Die Gendersprache hat sich für die «Diesseitsreligion» des Wokeismus zu einem Fetisch oder einer Art Sakralsprache entwickelt. Der auf Falschannahmen beruhende Umbau der deutschen Grammatik und die Hinzufügung von Sonderzeichen, die nicht Teil der deutschen Orthografie sind, entziehen dem Bemühen um sprachliche Gleichstellung jedoch die Legitimität in der Sache.
Bekannt ist auch, dass sich die Mehrheit der Bürger und Sprachwissenschafter gegen die Gendersprache ausspricht. Dennoch wird der ideologische Umbau der Sprache nirgendwo sonst auf der Welt so systematisch vorangetrieben wie im deutschsprachigen Raum. Dabei war Deutsch stets eine widerständige, in der Mitte der Bevölkerung verwurzelte Sprache, die sich trotz lang andauernder Geringschätzung als Weltkultur- und Wissenschaftssprache etablieren konnte.