Seelsorge

Wieviel Psychotheraphie verträgt die Seelsorge?

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Noch etwa Mitte der 50er Jahre gab es in evangelikalen Seminaren und Ausbildungsstätten keine Seelsorgemodelle, mit denen man angehende Pastoren auf die seelsorgerlichen Herausforderungen im Gemeindealltag vorbereitet hat. Auch gab es damals kaum Literatur zu seelsorgerlichen Themen (die alte reformatorische Literatur war in Vergessenheit geraten). Seit den 60er Jahren dagegen boomt der Markt und es erscheinen jedes Jahr unzählig viele neue Ratgeber und Handbücher zur Seelsorge und Lebenshilfe. Seit dieser Zeit muss sich ein engagierter Christ und Seelsorger nicht mehr nur mit der Spannung von Psychologie (oder Psychotherapie) und Seelsorge auseinandersetzen. Was den Laien oder Profi erwartet, ist ein schier unüberschaubarer Markt an säkularen Forschungszweigen und Therapieformen sowie ein beständig wachsendes Angebot teilweise unverträglicher christlicher Seelsorgemodelle.

Anbei ein Vortrag, den ich im Jahr 2004 zum Thema gehalten habe. Doris Nauer hat in ihrem Aufsatz »Leadership in a Multidimensional Concept of Pastoral Counseling« den Ansatz wie folgt eingeordnet: »Radikale Reflexion der theologischen Tradition, der biblischen Verwurzelung, des ausdrücklich christlich-geistlichen Profils und der spirituellen Dimension der pastoralen Seelsorge« (Nauer/Naua/Witte, Religious Leadership and Christian Identity, Tilburg Theological Studies, Münster: LIT Verlag, 2004, S.72).

Hier der Aufsatz: mbstexte001.pdf.

Redet Gott durch Farben?

In den vergangenen Jahren erschienen unüberschaubar viele Bücher zum Thema Privatoffenbarungen. Uns wird darin geradezu auf­dringlich vermittelt, wir könnten Gott schmecken, riechen, spüren, in­wendig hören oder sehen. Jetzt werden uns auch Seminare angeboten, in denen wir lernen können, Gottes Willen durch Farbfragmente zu erkennen.

Natürlich wird in den einschlägigen Abhandlungen beständig darauf verwiesen, dass das inwendige Reden Gottes mit der Bibel zu prüfen sei. Dabei weiß jeder, dass Gott uns in seinem Wort weder den Namen des Ehepartners nennt, noch uns über die Entwicklungen am Aktienmarkt aufklärt. Da umgekehrt Privatoffenbarungen (glücklicherweise) die in Je­sus Christus unüberholbar abgeschlossene Offenbarung selten berühren, bleibt die Prüfung meist ein Akt der Willkür.

Nehmen wir ein Beispiel aus einem Ge­betsseminar. Zwei Teilnehmer erkennen die Farbe rot. Rot sagt einem dritten Beter etwas, denn das ist die Farbe seiner Firma, die in einer Krise steckt. So fühlt der Dritte sich ermutigt, da er nun weiß, dass er von Gott wahrgenommen wird.

Das Beispiel ist hochproblematisch. Erstens hätte der Betroffene auch durch die einfache Bibellektüre auf den Gedanken kommen können, dass Gott ihn wahrnimmt. Zweitens transportieren Farben keine inhaltlichen bzw. sprachlichen Botschaften, sie haben nur eine Signalwirkung. Die Entschlüsselung des Farbsignals bleibt deshalb eine rein subjektive Ange­legenheit. Der Mann hätte das Farbsignal durchaus auch in dem Sinn in­terpretieren können, dass Gott die sofortige Schließung des Betriebes er­warte. Es wäre ja denkbar, dass die Farbe nicht nur für eine Firma, son­dern auch für Rotlicht »offenbart« worden wäre?

Meines Erachtens lässt sich allerdings herausfinden, ob das von den Se­minarleitern vorgeschlagene Verfahren zur Gewinnung geistlicher Er­kenntnis durch das Wort Gottes legitimiert werden kann. Orientieren wir uns dabei an einer klassischen und schlichten Regel der Reformatoren. Sie haben zurecht herausgearbeitet, dass wir unser Leben vor Gott durch das gestalten sollen, was die Bibel gebietet, verheißt oder in Beispielen wiedergibt (z.B. Lutherische Apologie, XXI). Wo in der Bibel finden wir Gebot, Verheißung oder Beispiel dafür, dass Gott seinen Willen durch Farben offenbart?

Ich gehöre nicht zu den Christen, die prophetische Geistesgaben auf die Zeit vor der Fertigstellung des neutestamentlichen Kanons beschrän­ken und halte es für möglich, dass Gott sich uns auf diese oder jene Weise klar verständlich mitteilt. Aber als Seelsorger beob­achte ich zunehmend, wie Christen aufgrund diffuser Eindrücke oder Impulse schwerwiegende Fehlentscheidungen treffen. Die Anleitung zu ihrem Unglück haben sie meist aus frommen Bücherstuben. So manch kleiner Katastrophe könnten wir vorbeugen, würden wir unsere Sinne lieber durch feste Speise und einen vernünftigen Gottesdienst üben (vgl. Hebr 5,14 u. Röm 12,1-3). Anstatt ein esoterisches Christentum zu propa­gieren, sollten verantwortliche Leiter und Lehrer (und Verlagsleiter) bei Augustinus in die Schule gehen (auch wenn er in New Perspective-Kreisen derzeit einen schlechten Ruf hat). Der Kirchenvater, der sich ja bekanntlich übernatürlichen Erfahrungen nicht verschlossen hat, gab Deogratias fol­genden Rat mit auf den Weg: „Freilich müssen wir … von solchen Wun­derzeichen und Traumbildern auf den festen Pfad und die glaubwürdi­geren Weissagungen der Heiligen Schrift lenken“ (Vom ersten katecheti­schen Unterricht II, 10).

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