Der Mensch wurde von Gott majestätisch ausgestattet. „Und Gott sah alles an, was er gemacht hatte, und sieh, es war sehr gut.“ (Gen 1,31). „Du hast ihn wenig geringer gemacht als Gott, mit Ehre und Hoheit hast du ihn gekrönt“, schreibt der Psalmist in Ps 8,6. Allerdings ist der Mensch durch den Sündenfall aus dem status integritatis (d.h. Stand der Unversehrtheit vor dem Fall) in den status corruptionis (d.h. Stand der Verderbnis nach dem Fall) gefallen.
Damit ergeben sich allerlei Fragen: Welche Konsequenzen hatte der Sündenfall auf die Gottebenbildlichkeit? Ist uns Menschen unter der Sünde überhaupt die Gottebenbildlichkeit erhalten geblieben? Die kirchlichen Antworten fallen nicht einheitlich aus. Schon Augustinus hat mit dieser Frage gerungen. Der Kirchenvater schrieb in seiner Auslegung zur Genesis: „Adam hat durch die Sünde das Bild Gottes (lat. imaginem Dei) verloren, nach dem er erschaffen worden ist“ (27,38). In den Retractationen kommentierte er später korrigierend: Das „ist nicht so zu verstehen, als ob nichts vom Bilde in ihm zurückgeblieben wäre, sondern in dem Sinn, dass dieses Bild so verfremdet worden ist, dass es neu geformt werden musste“(II, 24).
Ich will hier einige der vorgeschlagenen Lösungen erörtern.
(1) Die altkirchliche Anthropologie versuchte das Problem dadurch zu lösen, dass sie streng zwischen Ebenbildlichkeit (imago) und Ähnlichkeit (similitudo) unterschied. Das Ebenbild umfasst die personalen Qualitäten des Menschen und bleibt ihm auch im status corruptionis erhalten. Die Gottähnlichkeit beinhaltet moralische Qualitäten, die dem Menschen durch den Sündenfall verloren gegangen sind. Die imago Dei ist gegenüber der Gottähnlichkeit also niederer aber dafür unverlierbar, die höhere similitudo ist dagegen verlierbar.
(2) Die Reformatoren verwarfen die patristisch-mittelalterliche imago-Lehre. Zum einen hielten sie die überkommene exegetische Begründung eines dualistischen imago-Begriffes für unhaltbar. Aus der Unterscheidung von demût und tsælæm in Gen 1,26 lasse sich kein doppelter Begriff ableiten, vielmehr handele es sich dort um einen hebräischen Parallelismus. „Der Mensch heißt ‚Ebenbild‘“, – so Calvin – „weil er eben Gott ‚ähnlich‘ ist!“ (Institutio I,15,3).
Auch aus systematischen Überlegungen heraus distanzierten sich die Reformatoren von der katholischen Fassung. Sie erkannten in der Unterscheidung von Ebenbild und Gottähnlichkeit einen Dualismus von Natur und Gnade, die Gefahr also, dass der Mensch in eine natürliche und übernatürliche Seinsweise geteilt werde. Demzufolge setze die Gottähnlichkeit auf die dem Menschen konstant gegebene Natur auf. Die natura würde in diesem Sinne weitgehend als ein neutrales Gebiet verstanden. Und genau hier, nämlich bei der Annahme einer vom Sündenfall unberührten Ebenbildlichkeit – die ja oft mit dem Verstand und der Willensfreiheit gleichgesetzt wurde – sahen die Reformatoren eine verhängnisvolle Verkürzung der biblischen Anthropologie. Die Natur ist gemäß reformatorischer Theologie kein neutraler Ort. Die Folgen des Falls haben den gesamten Menschen korrumpiert und ihm eine ihn in die Gottesferne treibende Dynamik verliehen. Der Mensch ist gerade kein ruhender Block, er ist viel „ärger dann ein Stein und Block, dann er widerstrebt dem Wort und Willen Gottes bis Gott ihne vom Tode der Sünden erwacht, erleuchtet und erneuert“. Es ist eben wirklich nichts Gutes im Menschen (vgl. Röm 7,18).
Tatsächlich vertritt die Lutherische Konkordienformel einen so engen imago-Begriff, dass sie die Gottebenbildlichkeit mit der iustitia originalis, also der Ursprungsgerechtigkeit, gleichsetzt und damit eine Gottesebenbildlichkeit des natürlichen Menschen bestreitet. Calvin kommt zu einem ähnlichen Schluss, wenn er schreibt (Institutio I,15,3):
„Das Ebenbild Gottes ist also die ursprünglich hervorragende Stellung der menschlichen Natur, die in Adam vor dem Fall hell erstrahlte, danach aber derart verderbt, ja schier zerstört worden ist, dass aus dem Untergang nur noch Verworrenes, Verstümmeltes und Beflecktes übrig geblieben ist.“
Um die Radikalität dieses Gedankens abzuschwächen, deuteten die Reformatoren gelegentlich einen Rest der Imago im natürlichen Menschen an. Insgesamt jedoch ist die Tendenz erkennbar, der Sünde und ihren Folgen eine die Gottebenbildlichkeit zersetzende Macht zuzugestehen.
(3) Hilfreich ist deshalb die von der altprotestantischen Orthodoxie (Quenstest u. Holla) eingeführte und später von Brunner weiterentwickelte Differenzierung zwischen einer Gottebenbildlichkeit im allgemeinen Sinn (imago Dei generaliter) und im besonderen Sinn (imago Dei specialiter). Die erste der beiden wird strukturell, die zweite materiell gefasst. Während dem Menschen mit seiner Personalität auch nach dem Fall ein „Strukturimago“ erhalten geblieben ist, ist die Urgerechtigkeit im status corruptionis verlustig gegangen. Erst dem Menschen im Stand der Gnade wird die besondere Ebenbildlichkeit wiedergeschenkt. Die dann neue Kreatur (2Kor 5,17) wird durch den Geist des Herrn zum vollkommenen Ebenbild des Sohnes Jesus Christus erneuert (vgl. Röm 8,29; 2Kor 3,18; Eph 4,24 u. Kol 3,10). Christus allein kann den durch Sünde entstandenen Schaden durch göttliche Rechtfertigung heilen. Joest, der die imago stark christozentrisch interpretiert, schreibt treffend:
„Er [Christus] ist die eikôn Gottes (2.Kor 4,4; Kol 1,15; dem Sinn nach auch Hebr 1,3). Man wird das in doppeltem Sinn zu verstehen haben: er ist es, weil in ihm als dem eingeborenen Sohn Gott selbst heilbringend gegenwärtig ist und darin sein das Rechte schaffendes Verhalten zum Menschen erweist. Und er ist es, sofern er als der erstgeborene Sohn das rechte Verhalten des Menschen zu Gott verwirklicht. In diesem zweiten Sinne kann dann gesagt werden, daß wir ‚seinem Bilde gleichgestaltet‘ werden sollen (Röm 8,29; Kol 3,10).“
Die völlige Gleichgestaltung mit dem Sohn bleibt dabei eschatologisches Ereignis. Seinen „vollen Glanz“ wird der Gerechtfertigte erst im Himmel bekommen (Institutio, I,15,4).
Die altkirchliche Unterscheidung zwischen Ebenbildlichkeit und Gottähnlichkeit ist also exegetisch fragwürdig und aufgrund des implizierten neutralen Bodens im Menschen euphemistisch. Die radikale reformatorische Behauptung einer Auflösung der imago Dei im natürlichen Menschen kann ebenfalls nicht überzeugen, da sie die in Gen 9,6 und Jak 3,9 allen Menschen zugestandene Gottebenbildlichkeit unberücksichtigt lässt. Die durch die Orthodoxie eingeführte Unterscheidung zwischen einer Struktur- und Materialimago kann begrifflich überzeugen und harmoniert mit dem Gesamtzeugnis der Schrift.
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Hier der Beitrag als PDF-Dabei mit den Quellenangaben: Gottebenbildlichkeit.pdf
Wie sieht Schaeffer das?
Für ihn war es ein zentraler Punkt
(für die Begegnung mit den Menschen, die Ansprache der Menschen),
dass auch der gefallene Mensch noch ein Geschöpf ist,
das wesentliche Züge des Bildes Gottes trägt.
Francis Schaeffer in Genesis in Raum und Zeit, 1976, S. 34–39: Was unterscheidet nun Adam und Eva vom Rest der Schöpfung? Die Anwort ist in 1 Mose 1,26 zu finden: »Und Gott sprach: Wir wollen Menschen machen nach unserem Bild …« Adam und Eva sind von der übrigen Schöpfung unterschieden, weil sie nach dem Bilde Gottes erschaffen wurden. Für den Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts ist dieser Satz nach dem Bilde Gottes eine der wichtigsten Aussagen der Schrift, denn die Menschen haben heute keine Antwort mehr auf die entscheidende Frage: »Wer bin ich?« Durch seine naturalistischen Theorien, beherrscht von der Naturkausalität im Universum, das als geschlossenes System betrachtet wird, und vom evolutionären Konzept einer mechanischen Zufallsparade vom Atom zum Menschen, hat der Mensch seine Identität verloren. Wenn er nun in die Welt hinausblickt und der Maschine gegenübersteht, kann er sich nicht dagegen abgrenzen. Er kann sich von den anderen Dingen nicht unterscheiden. Der Christ hingegen hat dieses Problem nicht. Er weiß,… Weiterlesen »
Danke für diesen Beitrag!
Als dichterischen Versuch eines theologischen Laien möchte ich zu diesem Thema SEHR empfehlen Reinhold Schneiders Text aus der unmittelbaren Nachkriegszeit „Die Würde des Menschen“. Dort finden sich Überlegungen zur Ebenbildlichkeit, die mir geholfen haben, die Lektüre des Buches „Der letzte Judenälteste von Bergen-Belsen“ (von Hans-Dieter Arntz) zu „überstehen“.
Schneiders Text findet sich in dem Band „Gedanken des Friedens“ , Herder, 1946, ist aber auch einzeln publiziert worden.
[Kurze Korrektur: bei (3) heißt es wohl „Quenstedt und Hollaz“]
[…] 10. Aus exegetischer Sicht ist eine Unterscheidung von demût und tsælæm in Gen 1,26 fragwürdig. Es handelt sich um einen hebräischen Parallelismus, vgl. Kubsch. […]