Albert Camus

Klarheit, Ironie, Verweigerung und Hartnäckigkeit

Albert Camus

In meiner Jugend habe ich Albert Camus’ Mythos des Sisyphos regelrecht „verschlungen“. Neben der kierkegaardschen Schwere („Es gibt nur ein philosophisches Problem, den Selbstmord.“) erspürte ich im Mythos Aufrichtigkeit und Gerechtigkeitsliebe. Camus stand für etwas ein. Er zählt zu denen, die Nazis und Kommunisten schnell durchschauten. Der aus Algerien stammende Philosoph demaskierte Despoten und leistete Widerstand.

Als ich vor einigen Jahren von John Warwick Montgomery erfuhr, dass Camus am Ende seines Lebens einige Leute neugierig zum christlichen Glauben befragte und vor seinem tragischen Unfalltod die Taufe erbat (die ihm allerdings verwehrt wurde, siehe dazu hier), hat mich das sehr gefreut. Wer weiß, vielleicht hat Camus am Ende seines kurzen Lebens seine Zweifel und Fragen noch in ernstgemeinte Gebet gepackt und die Gnade Gottes verstehen können.

Nun begegnet mir Camus nochmals, in einem ganz anderen Zusammenhang. Die FAZ berichtete am 20. März (Nr. 68, S. 25) über einen wiedergefundenen Leitartikel, den der Schriftsteller 1939 für die kleine Tageszeitung Le Soir républicain verfasst hatte. Der Artikel ist als Antwort auf die Zensur konzipiert, die damals auch ihn traf. „Es ist schwierig, heute über die Freiheit der Presse zu schreiben, ohne gleich als Mata-Hari angeklagt zu werden“, schreibt Camus. Und er verteidigt die Pressefreiheit. Zitat aus der FAZ:

Die Pressefreiheit sei nur ein Aspekt der Freiheit schlechthin. Aber es gehe darum, sie mit aller Hartnäckigkeit zu verteidigen, weil es keine andere Möglichkeit gebe, „den Krieg wirklich zu gewinnen“. Allerdings hielt er diesen Kampf für verloren: „Die Frage lautet nicht mehr, wie man die Pressefreiheiten erhalten kann.“ Sondern nur noch: „Wie ein Journalist, wenn diese Freiheiten aufgehoben sind, frei bleiben kann. Das Problem beschäftigt die Gemeinschaft nicht mehr. Es betrifft das Individuum.“

Er glaubt an die Möglichkeit, im „Krieg und in der Knechtschaft die Freiheit nicht nur zu erhalten, sondern zu manifestieren“. Vier Bedingungen zählt er auf: „Klarheit, Verweigerung, Ironie und Hartnäckigkeit“. Klarsichtig sei nur, wer sich dem Hass und der Lüge entziehe.

Die Vorzeichen heute sind andere als 1939. Trotzdem sollte ein Freund der Freiheit auf Camus’ Fingerzeig achten: Klarheit, Verweigerung, Ironie und Hartnäckigkeit. Der freie Schreiber bleibt standhaft. Er kämpft für das, was er als wahr erkannt hat, veröffentlicht nichts, was unüberlegt Hass schüren oder die Verzweiflung fördern könnte.

Noch etwas. Camus sagt: „Eine in dogmatischem Ton vorgebrachte Wahrheit wird in neun von zehn Fällen zensuriert. Wird die gleiche Wahrheit witzig formuliert, entgeht sie in fünf von zehn Fällen der Zensur.“

Das Ärgernis des Kreuzes

Francis Schaeffer schreibt ist seinem Buch Gott ist keine Illusion (Wuppertal: Brockhaus, 1984, S. S. 112–113):

Ein ernst zu nehmender Kommentar zum Dilemma des Menschen findet sich in Albert Camus‘ Die Pest. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges schleppen Ratten diese Seuche nach Oran ein, und bei oberflächlicher Betrachtung könnte man meinen, Camus wolle hier lediglich die Katastrophe schildern, die jeder Stadt zu­stoßen kann. Aber es geht ihm um tiefere Probleme. Er stellt den Leser vor eine schwere Wahl: Entweder muß er dem Arzt zur Seite stehen und die Pest bekämpfen, wobei er — so sagt Camus — gleichzeitig Gott bekämpft; oder er kann sich auf die Seite des Priesters stellen, die Pest nicht bekämpfen und damit unmenschlich sein. Dies ist die Alternative: Vor diesem Dilemma stand Camus und stehen alle, die — wie er — die christliche Ant­wort nicht kennen.
Aber auch die moderne Theologie weist keinen Ausweg aus die­sem Dilemma. Ihre Anhänger landen immer wieder bei Camus‘ Problem und Baudelaires Aussage. Wenn sie von ihrer Position aus die Welt betrachten wie sie wirklich ist, muß ihnen ihre Ver­nunft sagen, daß Gott der Teufel ist. Weil sie aber mit dieser Schlußfolgerung nicht leben können, behaupten sie in blindem Glauben, Gott sei gut. Genau das sei — so sagen sie — »das Är­gernis des Kreuzes«: Wider allen äußeren Schein und wider alle Vernunft zu glauben, daß Gott gut ist. Hier müssen wir nach­drücklich widersprechen. Dies ist nicht das »Ärgernis des Kreu­zes«! Das wahre Ärgernis besteht darin, daß man das Evange­lium noch so klar und treu verkündigen kann und die Welt sich doch an einem bestimmten Punkt davon abwenden wird, weil sie sich gegen Gott auflehnt. Die Menschen lehnen das Evangelium nicht deshalb ab, weil es ihnen sinnlos erscheint, sondern weil sie sich nicht vor dem Gott beugen wollen, der wirklich da ist. Das ist das »Ärgernis des Kreuzes«.

Die verweigerte Taufe von Albert Camus [aktualisiert]

CAmus.jpgVor 50 Jahren starb der Schriftsteller und Philosoph Albert Camus (1913–1960) bei einem Autounfall. Sein Werk ist aktueller denn je und liefert Antworten auf die Fragen unserer Zeit. Der Rheinische Merkur schreibt dazu:

Camus bleibt präsent: Als der linke Antikommunist, der Parteien verabscheute, als Atheist Gott respektierte und die Würde des Einzelnen über politische Interessen stellte, war das genaue Gegenteil eines Fanatikers. Wissbegierde und Ehrlichkeit, Mut und Konsequenz, die Auflehnung gegen ein sich Abfinden, das alles sind Tugenden, die unsere Zeit mehr als nötig hat.

Was kaum jemand weiß und deshalb weniger präsent ist, erzählte mir vor einigen Jahren John Warwick Montgomery (Quelle liegt mir vor):

Ich lernte vor nicht all zu langer Zeit von einem inzwischen pensionierten Pastor einer Kirche in Paris, dass Albert Camus sich dort im Monat seines tragischen Todes bei einem Autounfall taufen lassen wollte. Camus hatte den Bankrott der humanistischen Existenzphilosophie miterlebt und, wie viele andere intelligente Seelen über die Jahrhunderte hinweg, kein Problem damit, den Evangeliums-Narrativen zu vertrauen.

Anmerkung vom 09.01.2010: In einer ersten Ausgabe des Beitrags schrieb ich, dass Camus sich taufen ließ. Das war ein Irrtum. Camus wollte sich kurz vor seinem Unfall taufen lassen. Der Pastor der Kirche, die Camus gelegentlich besuchte, hat jedoch die Taufe verweigert, weil Camus ausdrücklich eine private Taufe wünschte. Mehr dazu in den Kommentaren.

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