Anselm Schubert

The Gospel of Jesus’ Wife

War Jesus verheiratet? Diese Frage bekam im Jahr 2012 Auftrieb, als die Harvard-Professorin Karen L. King einen Papyrus vorgestellt hatte, in dem signalisiert wird, dass Jesus zusammen mit einer Frau lebte. Das Thema wurde von der Presse dankbar aufgenommen. Es gab zum Beispiel Beiträge im DLF, im SONNTAGSBLATT und natürlich bei EVANGELISCH.DE

Ein paar Jahre später ist Ernüchterung eingetreten. Seit 2020 wissen wir, dass der deutschstämmige Erotikproduzent Walter Fritz für das Papyrus verantwortlich war.  Ich zitiere nochmals Anselm Schubert (Christus (m/w/d), München: C.H. Beck, 2024, S. 231–232):

Wie der schwule sollte auch der verheiratete Jesus sein eigenes Evangelium bekommen. 1945 waren im ägyptischen Nag Hammadi umfangreiche Reste frühchristlich-gnostischer Texte gefunden worden. Wir hatten bereits gesehen, dass darin immer wieder ein besonderes Verhältnis zwischen Christus und Maria Magdalena angedeutet wird, Maria Magdalena als Lieblingsjüngerin, als Lehrerin der Jünger oder sogar als «seine Gefährtin» beschrieben wird und Jesus sie küsst, da er sie «mehr liebte als alle Jünger», 133 Das Philippusevangelium deutet an einer Stelle überdies an, es gebe «den Menschensohn, und es gibt den Sohn des Menschensohnes».

Während die wissenschaftliche Forschung darauf hinwies, dass die frühchristliche Gnosis kaum etwas so negativ bewertete wie Körperlichkeit, Geschöpflichkeit und Sexualität und deshalb von Anfang an annahm, dass die Verse eine metaphorische und mystische Bedeutung hatten, mehrten sich seit Bekanntwerden der ersten Übersetzungen um 1970 populär- und pseudowissenschaftliche Darstellungen, die nun reißerisch behaupteten, Jesus habe mit Maria Magdalena ein Kind gezeugt. Diese Debatte berief sich einerseits auf die pseudepigraphischen Evangelien des 19. Jahrhunderts, andererseits auf die neuen Funde und stand eng in Verbindung mit der feministischen «Entdeckung» Maria Magdalenas (…).

2012 verkündete die amerikanische Koptologin Karen L. King die Entdeckung und Entzifferung eines Papyrusfragments, das ein unbekannter Sammler ihr vorgelegt hatte. Das kaum visitenkartengroße Fragment umfasste nur wenige, bruchstückhaft erhaltene Zeilen; aber es war deutlich zu erkennen, dass Jesus an einer Stelle «meine Frau» erwähnt und es wenig später hieß: «sie kann mein Jünger sein». Nach dieser Aussage hatte King das Fragment «Gospel of Jesus‘ Wife» genannt, und unter diesem Namen erfreute sich der Fund für kurze Zeit globaler Aufmerksamkeit. King ließ das Fragment im folgenden Jahr physikalisch und chemisch untersuchen: Sowohl Papyrus als auch Tinte schienen echt. Dennoch meldeten sich Zweifel an der Echtheit des Fragments, denn ein solcher Beweis, dass Jesus eine Frau gehabt hatte, schien einfach allzu sehr dem Zeitgeist zu entsprechen. Hinzu kam, dass nicht nur die Schrift unbeholfen wirkte, der gesamte Bestand des kurzen Textes schien aus Formulierungen des koptischen Thomasevangeliums zu bestehen. Wenig später stellt man fest, dass eine grammatikalische Besonderheit offensichtlich auf einer fehlerhaften Onlineausgabe des Thomasevangeliums aus dem Jahr 2002 beruhte. 2020 identifizierte der Journalist Ariel Sabar den unbekannten Sammler schließlich als den Deutschen Walter Fritz – einen in Florida lebenden Erotikaproduzenten und ehemaligen Koptologiestudenten aus Berlin. 

Der „Jesus“ von Morton Smith

Im Jahre 1973 veröffentlichte Morton Smith, ein angesehener Althistoriker, ein Manuskript, das er 1958 im Kloster Mar Saba südöstlich von Jerusalem entdeckt haben wollte. Das Manuskript enthielt den Teil eines Briefes, der Clemens von Alexandria zugeschrieben wurde. Die Entdeckung Smith’s löste viele Diskussionen über Jesus aus. Edwin M. Yamauchi schrieb damals für CHRISTIANITY TODAY:

Mit beachtlicher Gelehrsamkeit legt Smith ein starkes Argument für die Echtheit des Briefes vor, in dem behauptet wird, dass die karpokratianischen Gnostiker ihre Lehren aus einem geheimen Markus-Evangelium ableiteten. Es wird behauptet, dass Markus nach dem Tod des Petrus in Rom nach Alexandria kam und ein spirituelleres Evangelium für diejenigen verfasste, die sich vervollkommnen wollten. Zu den aus diesem Evangelium zitierten Passagen gehört die Beschreibung der Auferweckung eines toten Jünglings durch Jesus. Nach seiner Auferstehung kam der Jüngling mit nur einem Leinentuch über seinem nackten Körper zu Jesus, „und er blieb die Nacht bei ihm, denn Jesus lehrte ihn das Geheimnis des Reiches Gottes.“

Smith geht jedoch weit über die Beweise hinaus, indem er behauptet, dass dieses angebliche Evangelium älter ist als das kanonische Markus-Evangelium, und spekuliert, dass die ursprüngliche Essenz des Christentums erotische Magie war. Clemens‘ Brief scheint nicht mehr als ein Zeugnis für ein weiteres apokryphes Evangelium zu sein. Nur diejenigen, die bereit sind, das Schlimmste über das Christentum zu glauben, werden seine radikalen Ansichten über die bis dahin unbekannte Natur Christi als Vermittler erotischer Magie begrüßen.

Heute wissen wir mehr über die Arbeitsweise von Morton Smith. Ich zitiere aus Christus (m/w/d) von Anselm Schubert (München: C.H. Beck, 2024, S. 229–231):

Nur wenige Jahre später erfuhr die Debatte um die Männlichkeit Jesu eine unerwartete Verschärfung. Der amerikanische Neutestamentler Morton Smith (1915-1991) veröffentlichte im Jahr 1973 das Fragment eines «Geheimen Markusevangeliums», das er angeblich 1958 in der Bibliothek des bei Jerusalem gelegenen Klosters Mar Saba gefunden hatte. Der kurze Text gab sich als Kopie eines Briefes des Clemens von Alexandria an einen Unbekannten aus. Demnach existiere in Alexandria ein geheimes Evangelium aus der Feder des Markus, das Ketzer mit ihren Lügen verfälschten. Um sie zu widerlegen, gibt Clemens den echten Wortlaut eines Passus aus dem Evangelium wieder. Demnach habe Jesus einen Jüngling von den Toten auferweckt: «Und nach sechs Tagen beauftragte ihn Jesus, und am Abend kommt der Jüngling zu ihm, nur mit einem Hemd auf dem bloßen Leibe bekleidet. Und er blieb bei ihm jene Nacht, denn es lehrte ihn Jesus das Geheimnis des Reiches Gottes.» Smith interpretierte das nächtliche Ritual als Taufe, nach welcher der Täufling sich sexuell mit Jesus vereint habe, um gemeinsam mit ihm ins Reich Gottes entrückt zu werden. Erstmals stand in der akademischen und theologischen Debatte die quellengestützte Vermutung im Raum, es könne in der Urkirche einen homosexuellen Initiationsritus oder die Vorstellung vom Reiche Gottes als sexueller Erfüllung gegeben haben.

Das «Geheime Markusevangelium» gab den latenten Debatten um das Verhältnis von Christentum und Homosexualität neue Nahrung. Ähnlich wie Smith sah der niederländische Neutestamentler Sjef van Tilburg (1939-2003) 1993 die Beziehung Jesu zum sogenannten Lieblingsjünger im Johannesevangelium als ein homoerotisches Lehrer-Schüler-Verhältnis, wie man es aus der griechisch-hellenistischen Welt kenne. William E. Phipps überarbeitete sein Buch und erwog später unter Berufung auf das «Geheime Markusevangelium», dass Jesus schwul gewesen sein könnte. Noch 2009 vertrat der methodistische Theologe Theodore W. Jennings (1942-2020) in seinem Buch «The Man Jesus Loved» die These, das «Geheime Markusevangelium» bestätige die «hidden tradition» eines homosexuellen Jesus. Da Smith nur Fotos der vermeintlichen Abschrift bot, bestanden von Anfang an Zweifel an der Authentizität des angeblichen ClemensBriefes und damit an der Existenz des «Geheimen Markusevangeliums».

Heute nimmt man überwiegend an, dass Smith sich mit dem kirchlichen und wissenschaftlichen Establishment einen Scherz erlaubt und die Fälschung selbst angefertigt hat. Smith, selbst homosexuell, hatte den Ruf eines hochgebildeten, aber schwierigen Zeitgenossen, der sich zeitlebens an der Homophobie der christlichen Verkündigung abarbeitete. Neuere Analysen legen nahe, dass er seine Fälschung mit allen Mitteln der Textkritik anlegte, ihre Auffindungsfiktion nach Motiven eines damals bekannten Spionageromans gestaltete und möglicherweise sogar Hinweise auf seine eigene Autorschaft im Text verschlüsselte. Smiths Fälschung – der Text wie seine Inszenierung – erscheint heute als eine Parodie des Wissenschaftsbetriebs: als eines jener Pastiches, die die Gendertheoretikerin Judith Butler später als wichtigste Möglichkeit pries, den heteronormativen Diskurs punktuell zu unterlaufen und so in seiner Kontingenz zu entlarven.

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