Cancel Culture

Universität Bonn distanziert sich von Leitfaden des Gleichstellungsbüros

Das Gleichstellungsbüro der Universität Bonn hat einen Leitfaden Informationen und Anregungen zum Umgang mit Inhaltshinweisen in der Lehre herausgegeben, in dem Dozierenden empfohlen wird, Studierende vor möglicherweise unangenehmen Lehrinhalten zu warnen. Studierende sollen vor verstörenden Inhalten geschützt werden oder, wo das nicht möglich ist, entsprechend vorbereitet werden. Das heißt dann Folgendermaßen:

Inhaltshinweise können auch für Dozent*innen hilfreich sein, um im Voraus zu überlegen, wie sie ihre Inhalte für die Studierenden aufbereiten und ob angemessene Anpassungen für Studierende mit einem eventuell erschwerten Zugang zu den Inhalten möglich sind. Inhaltshinweise geben Anstöße dazu, die Auswahl der eigenen Lehrinhalte zu reflektieren und auf kritische Diskussionen in den Lehrveranstaltungen gut vorbereitet eingehen zu können. Weiterhin schützen sie auch Dozent*innen, denn ohne fachliche psychologisch-therapeutische Kenntnisse kann eine Situation, in der ein*e Seminarteilnehmer*in einen Flashback erlebt, eine Überforderung darstellen. Im Anhang auf Seite 7 finden Sie eine Liste mit Themenbereichen, die häufig mit Inhaltshinweisen versehen werden. Bitte beachten Sie, dass diese Liste selbst Begriffe verwendet, die als beunruhigend empfunden werden können.

In der Liste stehen dann Begriffe wie Missbrauch, Essstörungen, Körperhass und Fettphobie, Tod oder Sterben, Fehlgeburten/Abtreibung, Rassismus und rassistische Beleidigungen, Klassenkampf oder auch Transphobie und Transfeindlichkeit. Anliegen der Verfasser ist es, die Universität zu einem sicheren Ort zu machen. Thomas Thiel hat dieses Vorhaben für die FAZ im September kritisch reflektiert: 

Nun ist die Universität schon per se das Gegenteil eines sicheren Orts. Sie konfrontiert mit Dimensionen, die ein selbstzentriertes Weltbild durchschütteln. Ganz im Gegensatz dazu um­schmeichelt der Leitfaden das studentische Ego. Dozenten werden zu Psycho-Coaches umfunktioniert, die Seminarteilnehmer vor seelisch belastenden In­halten warnen und ihnen die Möglichkeit geben sollen, in solchen Fällen den Raum zu verlassen. Der Or­well’sche Neusprech reicht bis in den Ti­tel des Leitfadens hinein: Man will nicht wie an amerikanischen Hochschulen von Trigger-Warnungen, sondern neu­tral von Inhaltshinweisen sprechen, als hätte der Hinweis eine an­­dere als eine warnende Funktion. Ideologie beginnt bekanntlich dort, wo man Dinge nicht mehr beim Namen nennen darf.

Thiel fragt weiter: 

Der Leitfaden entwirft Studenten als Affektbündel, die nicht über die Fähigkeit verfügen, Dinge intellektuell zu dis­­tanzieren. Schon persönliches Beleidigtsein reicht als Grund, sich in der Tat verstörenden Themen wie Klassenkampf, Kriminalität oder sexuelle Ge­walt zu entziehen. Was drückt sich da­rin anderes aus als die Aufkündigung der Solidarität mit jenen, die davon be­troffen sind? Und welchen Wert hat ein Bildungsabschluss, der auf selektiver Wahrnehmung beruht?

Die Universität hat sich Ende September offiziell von diesem Leitfaden distanziert. Das Portal Forschung & Lehre informiert

Die Hochschulleitung erklärte sich über den „Umgang mit Inhaltshinweisen“ generell diskussionsbereit. Lehrende dürften jedoch nicht in der Auswahl ihrer Lehrinhalte eingeschränkt werden. Auch dürften bestimmte Themen nicht von vorneherein aus dem wissenschaftlichen Diskurs ausgeschlossen werden.

Ich kann nur hoffen, dass sich auch andere Universitäten von der Woke-Kultur distanzieren. 

VD: DV

Mein Abschied von Deutschland

Der Schriftsteller Matthias Politycki hält es in Deutschland nicht mehr aus. Vor allem die Cancel Culture und die geschlechtergerechte Sprache machen ihm so zu schaffen, dass er ins Exil nach Wien geht.

Er schreibt (FAZ, 17.07.2021, Nr. 163, S, 16):

Aufgewachsen in den linksgrünen Bio­topen der siebziger Jahre, in denen alles mit allen ausdiskutiert wurde, habe ich Deutschland noch in den Neunzigern, heimgekehrt von dieser oder jener Reise, immer als eines der liberalsten Länder erlebt, in denen man leben konnte. Seit Nine-Eleven, um es an einem plakativen Datum festzumachen, ist jedoch auch bei uns die Intoleranz auf dem Vormarsch, dies freilich im Zeichen der To­leranz. Was unterm Schlagwort der politischen Korrektheit zügig Terrain ge­wann, hatte auch ich zunächst begrüßt, vielleicht weil ich es für linkes Gedankengut hielt. Was inzwischen, zusammengefaßt unterm Begriff Wokeness, unseren gesellschaftlichen Diskurs do­miniert, ist für mich nichts weniger als Pervertierung linken Denkens. Es ist die Herrschaftsform einer Minderheit, die sich anmaßt, gegen den Willen der Mehrheitsgesellschaft die Welt nach ih­rem Bilde neu zu erschaffen. Und dies mit aller Gründlichkeit, ein siebter Tag ist noch längst nicht abzusehen. Deutsch sein heißt, auch eine (ursprünglich) gute Sache so sehr ins Extrem zu treiben, bis sie ein böses Ende nimmt.

Mehr hinter einer Bezahlschranke: www.faz.net.

Die Schließung der Demokratie

Prof. Peter Graf Kielsmansegg hat in der FAZ den fulminanten Beitrag „Die Schließung der Demokratie“ veröffentlicht (17.05.2021, Nr. 112, S. 6). Darin beklagt er das schwinden der Demokratie durch eine von Minderheiten erzwungene Verengung des Diskursraumes:

Schließung der Demokratie meint: Der Raum freien politischen Diskurses wird Schritt für Schritt verengt. Bestimmte Themenfelder werden besetzt und zu Tabuzonen erklärt, in denen sanktionsbewehrte Sprachregelungen gelten. Sie werden, heißt das, für den freien Diskurs gesperrt. Erfolg können die jeweils aktiven Minderheiten damit nur haben, wenn sie Mitläufer finden, die den Tabuisierungen im öffentlichen Raum Nachdruck und Breitenwirkung verschaffen. Und wenn denen, die anderen Sinnes sind, der Mut zum Widerspruch fehlt. Das Selbstverständnis derer, die Schließungskampagnen betreiben, lässt sich auf die Formel bringen „Wir sind die Demokratie“. Die Nähe der Formel zum populistischen Schlachtruf „Wir sind das Volk“ ist alles andere als zufällig. Hier wie dort geht es um Exklusion im Namen der Demokratie, Exklusion derer, die anders sind, Exklusion derer, die anders denken. Demokratie als geschlossene Gesellschaft Gleichgesinnter – das ist das Ideal, das hinter der Gewissheit „Wir sind die Demokratie“ steht. Andersdenkenden nicht mehr zuzuhören, nicht mehr mit ihnen zu reden, sie, wenn es möglich ist, aus der Öffentlichkeit zu verbannen ist die Handlungsmaxime, die aus diesem Ideal folgt. Wer nicht so denkt, redet, schreibt, agiert wie wir, gehört nicht dazu.

Er illustriert die Schließungsprozesse anhand von drei Beispielen. Schließung heißt in diesem Kontext, dass ein Themenfeld besetzt wird, „um es für die freie Diskussion zu schließen“. Eines der gewählten Beispiele betrifft das Thema „Familie“. Graf Kielsmansegg:

Familie nicht von den Bedürfnissen des Kindes, sondern von den Lebensplänen und Lebenswünschen der Erwachsenen her zu denken ist der die Entwicklung beherrschende Zug der Zeit. Familie wird dadurch zu einem fast beliebigen Konstrukt, das sich diesen Plänen und Wünschen immer wieder neu anzupassen hat. Worauf es hier ankommt: Über diesen Wandel offen, kontrovers zu diskutieren, ihn zum Gegenstand des demokratischen Meinungsstreites zu machen wird immer schwieriger.

Auch hier, heißt das, sind Schließungsprozesse in Gang. Kann man, ohne als homophob geächtet zu werden, noch öffentlich dafür eintreten, dass Kinder Vater und Mutter brauchen, und zwar in einer stabilen Familiengemeinschaft für die ganze Zeit ihres Heranwachsens? Kann man, ohne als homophob geächtet zu werden, noch die Ansicht vertreten, dass die Ehe zwischen Mann und Frau eine andere gesellschaftliche Bedeutung hat als andere Partnerschaften, weil nur aus der Gemeinschaft von Mann und Frau Kinder hervorgehen können und weil diese Gemeinschaft die dem Kind in seinem Heranwachsen förderlichste ist?

„Worüber man nicht spricht“

Barbara Zehnpfennig beschreibt in ihrem Artikel „Worüber man nicht spricht“ (FAZ, Nr. 103, 05.05.2021, S. N4) die wachsende Zahl von Ausladungen und Sprechverboten an den deutschen Hochschulen. Die Cancel Culture, die im Namen einer vermeintlichen Toleranz den Meinungsstreit verhindert, treffe die Wissenschaft in ihrem Kern, meint die Autorin:

Wie verhält es sich also tatsäch­lich mit der Wissen­schafts­frei­heit? Kann man bei uns alles sagen? Ja, das kann man in der Tat. Die Frage ist aber, zu welchem Preis man das kann. Schon dass es einen Preis hat, als Wissen­schaft­ler über bestimm­te Themen wie Kolo­nia­lis­mus, Geschlecht oder Islam in einer Weise zu denken, die nicht den von mino­ri­tä­ren Deutungs­eli­ten vorge­ge­be­nen Denk­mus­tern entspricht, ist ein Problem. Damit ist keines­wegs das Problem gemeint, auf Wider­spruch zu stoßen. Ganz im Gegen­teil, der Wider­spruch, das Aufein­an­der­tref­fen von Argu­ment und Gegen­ar­gu­ment, ist das Lebens­eli­xier der Wissen­schaft. Wer das nicht aushält, wer es nicht erträgt, wenn die eige­nen Forschungs­er­geb­nis­se kriti­siert und gele­gent­lich auch zerpflückt werden, ist in der Wissen­schaft nicht am rech­ten Ort.

Leute, die den Mainstream infrage stellen, erhalten oft gar keine Gelegenheit mehr, ihre Positionen vorzustellen und zu begründen: 

Die Mittel des Ausschlus­ses sind viel­fäl­tig. Gegen einen Kommu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft­ler, der in einem Beitrag für das Forum einer Fach­zeit­schrift die Praxis des Genderns kriti­siert, wird eine Unter­schrif­ten­lis­te orga­ni­siert, in der 82 Fach­kol­le­gen fordern, derar­ti­ge Beiträ­ge nicht mehr zu drucken. Ein Pegida-Forscher, der dafür plädiert, mit den Teil­neh­mern an den Pegida-Demons­tra­tio­nen doch auch einmal zu reden, um ihre Motive zu verste­hen, wird viel­fach öffent­lich ange­fein­det. Von studen­ti­schen und städ­ti­schen Grup­pen wird ihm das Recht bestrit­ten, an ihrer Univer­si­tät einen Vortrag zu halten. Schlie­ß­lich zündet irgend­je­mand sein Auto an. Gegen einen Poli­tik­wis­sen­schaft­ler, der das Tragen eines Kopf­tuchs in der Schule als Verstoß gegen das staat­li­che Neutra­li­täts­ge­bot wertet, erstat­tet eine Studen­tin Anzei­ge wegen Volks­ver­het­zung. Die Stadt Hanno­ver sagt den Vortrag eines renom­mier­ten Histo­ri­kers über die Kolo­ni­al­ge­schich­te ab, weil eine rassis­mus­kri­ti­sche Initia­ti­ve das Auftre­ten eines „weißen Mannes“ zu diesem Thema bemän­gelt und an der Diskus­si­on, die im Anschluss an den Vortrag geplant war, nicht mehr teil­zu­neh­men bereit ist. Beispie­le unter vielen.

Und was sind die Folgen? Frau Prof. Barbara Zehnpfennig schreibt dazu: 

Das bedeu­tet die Ausbrei­tung des Duck­mäu­ser­tums und der Heuche­lei in die Wissen­schaft. Man macht seinen Kotau vor Diver­si­tät, Gender und euro­päi­scher Univer­sal­schuld und versucht, dahin­ter verbor­gen doch noch etwas von dem zu retten, was einem eigent­lich wich­tig ist. Oder man ergibt sich völlig dem Druck und liefert das Gefor­der­te. In beiden Fällen verstärkt man die schon vorhan­de­ne Tendenz. 

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