Dorothee Sölle

Dorothee Sölle als politische Mystikerin

Am 22. August 2024 habe ich hier im Blog auf das Buch Dorothee Sölle auf der Spur von Konstantin Sacher verwiesen. Ergänzend dazu sei noch erwähnt, was Prof. Werner Thiede in seiner Rezension zum Buch geschrieben hat (IDEA, Nr. 28, 2023, S. 46):

Indem sie den Spuren „aufgeklärter“, nach-theistischer und nach-metaphysischer Sichtweisen folgte, konnte sie mit Ausblicken auf ein Leben nach dem Tod, auf eine Auferstehung der Toten und ein kommendes Gottesreich nicht viel anfangen. Insofern war es nur folgerichtig, dass sie „Mystik“ verband mit „Widerstand“: Atheistisch an Gott glaubende Menschen sollten ihre Endlichkeit akzeptieren und das einst vom Himmel her Erhoffte nach Möglichkeit selber zu realisieren versuchen. Denn Gott – von Sölle „neu verstanden“ – habe keine anderen Hände als die unseren; Wahrheit sei etwas, was man wahr mache. Eine so verstandene Mystik muss freilich politisch sein, braucht zum Beispiel das „Politische Nachtgebet“ und tatkräftiges Engagement. Das von ihr gedeutete Evangelium dränge in die Richtung der „Befreiung aller“. Kein Wunder, dass Sölles provokante Positionierung einst die Bewegung „Kein anderes Evangelium“ entstehen ließ war doch der geschichtliche Jesus keineswegs politisch aktiv gewesen und sein Königtum „nicht von dieser Welt“!

Die radikale Abwendung von der biblischen und kirchlichen Tradition, die nur noch als Steinbruch für eine moderne Mystik benutzt wird, hätte bei einem ausgewiesenen Theologen wie Sacher doch noch deutlichere Sachkritik verdient.

Dorothee Sölle auf der Spur

Konstantin Sacher hat zum zwanzigsten Todestag der Theologin Sölle das Buch Dorothee Sölle auf der Spur veröffentlicht. Er bemüht sich um Fairness gegenüber der Frau, die Theologie nach dem „Tode Gottes“ treiben wollte und die fragte, ob man auch atheistisch an Gott glauben könne. Insgesamt fällt das Buch kritisch aus. Inzwischen gibt es sowieso nicht mehr allzu viele Leser der radikalen Diesseitstheologie. Ein kleiner Fanclub hat sich gehalten. Der Postevangelikale Tobias Faix hält sie etwa für eine Prophetin.

Reinhard Bingener schreibt in seiner Buchvorstellung:

Theologisch startete Sölle als Adeptin Rudolf Bultmanns und dessen existenzialer Interpretation der Bibel, die in den Fünfzigerjahren kontrovers diskutiert wurde und von konservativen Kirchenleuten angefeindet wurde. Bultmann war, politisch betrachtet, allerdings kein Linker, formatierte seine Theologie sogar bewusst politikfern. Sölle wählte einen anderen Weg: Zunächst trieb sie Bultmanns Programm der Entmythologisierung auf eine rhetorische Spitze, indem sie sich ab Mitte der Sechzigerjahre einer „Theologie nach dem Tode Gottes“ verschrieb.

Sacher hält dies nicht für mehr als gelungenes Marketing, denn im Kontext der modernen Theologie seien ihre Gedanken recht üblich geblieben. Sacher geht davon aus, dass der „Tod Gottes“ ein anderes Wort für eine nachtheistische Theologie ist. Das Ende des Theismus hätten die Systematischen Theologen jedoch längst eingepreist. An dieser Stelle lässt sich fragen, ob Sacher damit nicht die Gewöhnlichkeit ihrer Entwürfe unterschätzt, die häufig eben doch den Kernbestand der hergebrachten Dogmatik durch das Feuer der Metaphysik-Kritik hindurchretten wollen – was manchmal gerade für diejenigen gilt, die dabei camouflierend mit dem „Tode Gottes“ klingeln.

Mehr: www.faz.net.

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