Der Geist des Erasmus

Warum schrieb Luther eigentlich diese scharfen Worte?

Darauf sind wir aus, daß wir untersuchen, was der freie Wille vermag …, wie er sich zur Gnade Gottes verhält. Wenn wir das nicht wissen, wissen wir rein gar nichts von den Angelegenheiten der Christen und werden schlimmer sein als alle Heiden. … Denn wenn ich nicht weiß, was, wieweit und wieviel ich in bezug auf Gott kann und zu tun vermag, so wird es mir ebenso ungewiß und unbekannt sein, was, wieweit und wieviel Gott in bezug auf mich vermag, da Gott doch alles in allem wirkt. Wenn ich aber die Werke und die Wirkungsmacht Gottes nicht kenne, so kenne ich Gott selbst nicht. Kenne ich Gott nicht, so kann ich ihn auch nicht verehren, preisen, ihm Dank sagen und ihm dienen …

Nun, Luther schrieb betroffen und besorgt, da sein Freund Erasmus von Rotterdam und andere dem menschlichen Willen die Vollmacht zugeschrieben haben, sich Gott zu nähern oder sich von ihm abzuwenden. Es geht bei der Frage um den „unfreien Willen“ also für Luther um nicht weniger als den „Kern der Sache“. Fragen über das Papsttum, das Fegefeuer, den Ablass usw. sind im Vergleich dazu mehr oder weniger Lappalien. Berührt wird nämlich hier die Frage der Glaubensgerechtigkeit.

Und was sagte Erasmus über den Willen des Menschen?

Weiter verstehen wir an dieser Stelle unter dem freien Willen die Kraft des menschlichen Willens, mit der der Mensch sich zu dem hinwenden kann, was zum ewigen Heil führt, oder sich davon abwenden kann.

Wer sich die Mühe macht, das Buch War Augustinus der erste Calvinist? durchzulesen (vgl. dazu hier), wird schnell erkennen, dass der Autor Ken Wilson im Geiste von Erasmus schreibt. Anders ausgedrückt: Das Buch richtet sich nicht gegen Calvinisten, sondern gegen alle Anhänger der Reformation. Wie sagte doch der große Lutheraner H.J. Iwand: „Wer diese Schrift [gemeint ist Luthers Werk Vom unfreien Willen] nicht aus der Hand legt mit der Erkenntnis, daß die evangelische Theologie mit dieser Lehre vom unfreien Willen steht und fällt, der hat sie umsonst gelesen.“

Das und sehr viel mehr kann man nachlesen in dem allgemeinverständlichen Buch Typisch evangelisch von Siegfried Kettling. Ich empfehle zum Thema insbesondere die Lektüre des dritten Kapitels. Zwar ist das Buch vergriffen, erfreulicherweise gibt es aber die Möglichkeit, es hier herunterzuladen: Typisch_Evangelisch_1992.pdf.