Hirnforschung

Kritik des neuronalen Determinismus

513AKl8WBGL._BO2,204,203,200_PIsitb-sticker-arrow-click,TopRight,35,-76_AA300_SH20_OU03_.jpgWie viel erklärt uns die Hirnforschung? Aus Sicht von Neurobiologen regiert das neuronale Geschehen im Kopf unser Bewusstsein. Brigitte Falkenburg vertritt in ihrem Buch Mythos Determinismus einen neuen Ansatz bei der Kritik des Determinismus. Als Physikerin und Philosophin hinterfragt sie die Aussagen von Hirnforschern und stellt fest, dass die Neurobiologie an längst überholten mechanistischen Vorstellungen festhält und dadurch zu Fehlschlüssen über den menschlichen Geist und den freien Willen gelangt.

Alexander Soutschek hat für Gehirn und Geist das Buch rezensiert:

Die Frage, ob und inwiefern die Erkenntnisse der Neurowissenschaften unser Menschenbild verändern, ist seit Langem Gegenstand hitziger Debatten. Besonders die These, unser Verhalten sei vollständig durch neuronale Prozesse bestimmt und es gebe für einen freien Willen daher in einem naturwissenschaftlichen Weltbild keinen Platz, wird von vielen Philosophen bestritten. Sie versuchen dagegen aufzuzeigen, weshalb der freie Wille durchaus mit den Erkenntnissen der Hirnforschung vereinbar sei. Doch damit können sie viele Neurowissenschaftler nicht überzeugen. Die Philosophieprofessorin Brigitte Falkenburg von der TU Dortmund fährt eine ganz andere Strategie: Anstatt für eine Vereinbarkeit von Freiheit und neuronalem Determinismus zu argumentieren, hinterfragt sie die Grundannahme, dass die Abläufe im Gehirn deterministisch ablaufen. Nach ihrer Analyse beruhen die Argumente der Neurowissenschaftler gegen den freien Willen auf der Annahme, jedes neuronale Geschehen sei strikt durch das Verhältnis von Ursache und Wirkung festgelegt. Ein solcher Determinismus stehe jedoch im Widerspruch zu zwei weiteren Grundannahmen über den menschlichen Geist, nämlich dass geistige Phänomene von physikalischen zu trennen sind und diese sogar verursachen können.

Mehr: www.gehirn-und-geist.de.

VD: CF

Das Ende von Schuld und Sühne?

Kann man Schläger oder Mörder für ihre brutalen Taten verantwortlich machen? Noch setzt die Rechtsprechung voraus, dass Kriminelle (mehr oder weniger) für ihre Taten verantwortlich sind. Hirnforscher Gerhard Roth zweifelt am Sinn des Schuldprinzips und fordert ein neues Strafrecht. Markus Schulte von Drach schreibt dazu in der Süddeutschen Zeitung:

»Aus psychologischer Sicht kann man uns eine Handlung nur dann als unser Handeln zuschreiben, wenn es von unseren Motiven bestimmt wird«, so Roth. In der Strafrechtstheorie werde aber das genaue Gegenteil als Grundlage für Willensfreiheit angesehen: die Fähigkeit, sich von der Bedingtheit durch Motive zu befreien.
Unterstellt wird seit Kants Vorstellung eines inneren Sittengesetzes, dass grundsätzlich alle Menschen motiviert sein müssten, moralisch-rechtstreu zu handeln oder Strafe zu vermeiden. Allerdings hatte Kant die Frage nach Sittlichkeit, Schuld und Gewissen in die Metaphysik verlagert.
»Unser Rechtsgewissen ist aber das Produkt unserer Erziehung oder Lebenserfahrung und unterliegt wie alle Motive der Persönlichkeitsentwicklung«, sagt Roth. »Ich kann mich nicht außerhalb meiner Persönlichkeit und ihrer Geschichte stellen.«
Ähnlich sehen es auch Wissenschaftler wie der Frankfurter Hirnforscher Wolf Singer und der Leipziger Kognitionswissenschaftler Wolfgang Prinz, aber auch bekannte Philosophen wie der Amerikaner Daniel Dennett oder sogar Arthur Schopenhauer.
Es wäre demnach an der Zeit, sich von Begriffen wie Schuld und Sühne zu lösen und sich von der Vorstellung von Gut und Böse an sich zu verabschieden, wie es unter anderen der Philosoph Michael Schmidt-Salomon energisch fordert.

Nach der Lektüre des umfänglichen SZ-Artikels »Solln und Sühne« empfehle ich besonders die Abhandlung des Philosophen Daniel von Wachter: »Hat die Wissenschaft festgestellt, dass der Mensch nicht frei ist« sowie meinen Beitrag »Die Entwertung des Menschlichen«.

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