Martin Rhonheimer

Marx hat den Kapitalismus nicht verstanden

Der katholische Moraltheologe Martin Rhonheimer hat sich – wie ich übrigens auch – über die Verteidigung eines sanften und menschenfreundlichen Marxismus aufgeregt, die derzeit fast allerorts wahrnehmbar ist. Von katholischer Seite bemüht Kardinal Marx gern die Marxsche Kritik des Kapitalismus, so wie etwa in der Talkshow mit Anne Will am 6. Mai 2018 oder in einem Interview mit der FAS am 29. April (Nr, 17, S. 28–29):

Marx ist gewiss nicht der Auslöser der Sozialen Marktwirtschaft, aber seine Analyse und Kritik des Kapitalismus hat viele inspiriert und angeregt, eine bessere Antwort auf einen ungezügelten Kapitalismus zu finden, darunter übrigens auch die katholische Soziallehre. Es gehe in der Geschichte immer dialektisch zu, schreibt der Philosoph Hegel. An dieser Dialektik der Geschichte hat auch das Marxsche Denken seinen Anteil.

Martin Rhonheimer hat sich eine Woche später, ebenfalls in der FAS, dazu geäußert (06.05.2018, NR 18, S. 27):

Die notorische Wirtschaftsferne der katholischen Soziallehre erklärt auch ihre Anfälligkeit für Marxsche Denkmuster. Jüngstes Beispiel: Namensvetter Kardinal Marx im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (F.A.S.) am vergangenen Sonntag. Einmal mehr zeigt sich: Der katholischen Sozialethik fehlt Verständnis für den im Kontext freier Märkte und des Wettbewerbs agierenden Unternehmer und deshalb dafür, wie Wertschöpfung und damit Wohlstand entsteht – wohlverstanden: Massenwohlstand. Sie meint, wir verdanken ihn der Sozialpolitik und den Gewerkschaften. Doch das ist sowohl ökonomisch wie auch historisch falsch.

Heute wissen wir, dass der Kapitalismus innerhalb weniger Jahrzehnte einstigen Luxuskonsum zum Massenkonsum gemacht hat. Hinsichtlich für die Lebensqualität grundlegender Aspekte wie Haushaltsgeräten, die das Leben, vor allem dasjenige der Frauen, tiefgreifend verändert haben, Ernährung, sanitären Einrichtungen, Kommunikations- und Verkehrsmitteln, Zugang zu Information und Bildung unterscheidet sich heute das Leben der Superreichen und des einfachsten Arbeiters im Vergleich zu früheren Zeiten nur unwesentlich. Der Prozess läuft weiter, auf globaler Ebene. Der Abstand zwischen reichen und armen Ländern verringert sich konstant.

Die Kirche ist berechtigterweise Anwalt der Schwachen und Notleidenden. Heute sind einige ihrer Exponenten aber mit ihrem auf – angeblich ungerechte soziale Ungleichheit zentrierten Diskurs zum Anwalt einer wohlstandsgesättigten Anspruchs- und Neidgesellschaft geworden. Damit bedienen sie Kräfte, die mit der Heilsbotschaft der Kirche und ihrem Ethos im tiefsten Widerspruch stehen. Zum Ärgernis vieler Christen – auch derer, denen wir unseren Wohlstand verdanken.

Siehe auch die Rezension von Christentum und säkularer Staat hier.

 

Das Subsidiaritätsprinzip wiederentdecken

Martin Rhonheimer:

Subsidiarität“ staatlichen Handelns heißt in erster Linie: Achtung und Schutz des Privateigentums und damit Ermöglichung von Freiheit, Förderung der Selbstverantwortung, Begünstigung der Familie nicht durch Zulagen aller Art, sondern durch niedrige Steuern, und Ermöglichung unternehmerischer Kreativität, die zu Wohlstand führt, durch den Verzicht auf staatliche Privilegierungen einzelner Wirtschaftsbereiche mit Subventionen oder der gesetzlichen Errichtung von Marktschranken und staatlichen Monopolbetrieben. Doch tut der moderne überschuldete Sozialstaat genau das Gegenteil. Durch exorbitante Steuerbelastung, Umverteilung und bürokratisch-regulatorische Behinderung der unternehmerischen Freiheit auf allen Ebenen, gerade auch der Kleinstunternehmer, werden die Rechte der Eigentümer massiv missachtet. Der Staat verzerrt den Markt durch Regulierungen, Subventionen und gesetzliche Markteintrittsschranken (auf dem Arbeitsmarkt auch durch Mindestlöhne), sowie tarifäre und nichttarifäre Handelsbeschränkungen, die vor allem den ärmsten Ländern schaden. Im gleichen Zug haben sich der Staat und seine Bürokratien, die selbst ein Interesse an ihrem stetigen Wachstum haben, immer neuer Aufgaben angenommen.

Neu zu entdecken und zu reflektieren ist hier insbesondere der Zusammenhang des Subsidiaritätsprinzips mit der zentralen Rolle des Privateigentums, der Familie und des freien Unternehmertums. Sie sind es, die das Gemeinwohl generieren und die Grundlagen einer wirklich humanen und sozialen Gesellschaft bilden, die des Staates eben nur subsidiär bedarf – nicht als Schöpfer einer angeblichen „sozialen Gerechtigkeit“, welche Staat und Politik nie und nimmer herzustellen vermögen, sondern zuallererst einmal als Garant jener Rechte, die das menschliche Individuum und die Familie von Natur aus besitzen.

Mehr hier und hier: www.deutscherarbeitgeberverband.de.

Gewalt und theologische Tradition im Islam

Martin Rhonheimer, Autor des Buches Christentum und säkularer Staat: Geschichte – Gegenwart – Zukunft (Herder, Freiburg i. Br. 2012, siehe meine Rezension hier), hat in der NZZ die Frage der Gewalt im Namen Allahs erörtert:

Zu Beginn waren die Muslime im muslimischen Herrschaftsgebiet meistens eine Minderheit. Ihre Herrschaft gründete auf der grossen Zahl der «dhimmis», der «Schutzbefohlenen». Juden, Christen und andere «Schriftbesitzer» galten nicht als «Ungläubige»: Sie konnten als «dhimmis» ihr Leben behalten, auch wenn sie keine Muslime wurden. Die heute vom IS gejagten Jesiden gelten nicht als «Schriftbesitzer», für sie gibt es daher nur die Alternative: Konversion zum Islam oder Tod. Die islamische Theologie besitzt keine argumentativen Ressourcen, um das Vorgehen des IS als «unislamisch» zu verurteilen. Es gibt im Islam nämlich kein generelles Tötungsverbot. Es gibt hingegen eine generelle Tötungslizenz: «Ungläubige», die sich der Konversion zum Islam widersetzen, sollen getötet werden. So heisst es in Sure 9, 5: «. . . tötet die Heiden, wo immer ihr sie findet, greift sie, umzingelt sie und lauert ihnen überall auf! Wenn sie sich aber bekehren, das Gebet verrichten und die Almosensteuer geben, lasst sie ihres Weges ziehen! Gott ist barmherzig und bereit zu vergeben.»

Der Islam ist seinem Wesen nach mehr als eine Religion. Er ist ein kultisches, politisches und soziales Regelwerk, will religiöse und politisch-soziale Ordnung in einem sein. Und er war von Anfang an kriegerisch. Der Islam will das «Haus des Islam» auf der ganzen Welt verbreiten. Es geht ihm dabei nicht so sehr um religiöse Bekehrung der Nichtmuslime als um ihre Unterwerfung unter die Scharia. In Sure 2, 256 heisst es: «In der Religion gibt es keinen Zwang.» Glaube lässt sich eben nicht erzwingen, Unterwerfung unter das islamische Recht aber sehr wohl. Sich diesem Zwang zu widersetzen, kann tödlich sein. Historisch war die islamische Einheit von Politik und Religion zwar meist nur Programm und selten Realität. Andere politische Machtzentren entstanden, die sich nicht unter der geistlichen Führung eines Kalifen befanden. Und gemäss islamischer Lehre konnte der Kampf (Jihad) gegen die Nichtmuslime genau dann unterbrochen und mit den Ungläubigen ein Waffenstillstand geschlossen werden, wenn für weitere Expansion keine Aussicht auf Erfolg bestand. Das führte zu langen und oft friedlichen Perioden der Koexistenz. Zudem sind muslimische Minderheiten in nichtmuslimischen Ländern verpflichtet, sich an die lokale Rechtsordnung zu halten.

Mehr: www.nzz.ch.

Aufklärung in Sachen Europa

Otfried Höffe, emeritierter Philosophieprofessor aus Tübingen, plädiert in seinem FAZ-Beitrag „Souverän ist, wer über Verstand verfügt“ (10.08.2012, Nr. 185, S. 33) für mehr Aufklärung „in Sachen Europa“. Ein wohltuender Ruf nach mehr Ehrlichkeit und Klarheit, besonders angesichts der Verneblung der Debatten mit „Generalfloskeln wie ‚alternativlos‘“.

Bei der Frage: Was eint Europa?, verweist Höffe exemplarisch auf die Aufklärung im Kantschen Sinne. Damit aber leider auch nur auf eine Seite der Medaille. So wichtig es ist, Klarheit ins Denken und in die Argumente zu bringen (und hier sehe auch ich ein Verdienst der kritischen Philosophie), so schade ist es doch, wenn wir vergessen, dass es ohne Christentum ein freiheitliches Europa nicht geben würde. Der säkulare Staat ist zwar in mancherlei Hinsicht eine Antwort auf den christlichen Glauben und damit das Produkt der Emanzipation des Weltlichen vom Geistlichen. Trotzdem ist ein modernes Europa ohne Christentum undenkbar, ja das moderne Staatsverständis einschließlich der Trennung von weltlicher und geistlicher Macht hat selbst christliche Wurzeln (genauer wahrscheinlich reformatorische). Der Rechtsphilosoph und ehemaliger Verfassungsrichter Böckenförde hat es prägnant formuliert: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann“ (E.-W. Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, S. 60).

412gU4hcxNL._SL500_AA300_.jpgIch lese gerade ein faszinierendes Buch des katholischen Philosophen Martin Rhonheimer mit dem Titel Christentum und säkularer Staat: Geschichte – Gegenwart – Zukunft, Herder Verlag, 2012, 473 S.). Der Schweizer Rhonheimer geht in seiner ausgesprochen soliden Untersuchung der Frage nach, ob Aufklärung und Moderne auf dem Humus einer vom christlichen Glauben geprägten Zivilisation erwachsen sind. Das Bild, welches er zum Einstieg verwendet, ist eindrücklich (S. 15):

Stellen wir uns vor: Wir sitzen auf der Spitze eines Baumes mit wunderbaren Ästen und Früchten, genießen den Blick in die Weite. Dann wandert unser Blick hinab. Wir sehen andere, wunderbare und auch weniger wunderbare Äste, die dem Stamm entsprießen. Der Blick nach unten ist ein Blick in die Geschichte des Baumes. Wir erblicken da auch eine Menge knorriges, verwachsenes Geäst und am Boden einige herabgefallene, bereits angefaulte Früchte. Und nun – so stellen wir uns vor – rufen wir empört: „Was doch dieser Stamm nicht alles an Unrat hervorgebracht hat! Er taugt zu nichts mehr und muss umgehauen werden!“ Natürlich wäre dies ein höchst törichtes Unterfangen. Der Sturz aus der Höhe wäre die unausweichliche Folge. Aber nicht nur den Stamm umhauen wäre töricht, auch das Urteil über ihn ist es, und noch törichter erscheint es, dass wer so urteilt, übersieht, wem er seine Höhenposition und die frische Luft, die er atmet, verdankt: eben diesem Stamm, den er umhauen lassen will.

Doch solche Torheit gibt es. Sie ist Menschen eigen, die ein demokratisches, pluralistisches, säkulares Europa wollen, in dem die Freiheit eines jeden anerkannt wird, seiner religiösen und moralischen Überzeugung gemäß zu leben, ein Europa, in dem Frieden, Rechtssicherheit und Wohlstand herrschen, in dem die Wissenschaft blüht, das sozial und zukunftsorientiert ist. Als geistige Wurzeln einer solchen Welt anerkennen sie, neben dem aus der Antike stammenden Kulturerbe, die europäische Aufklärung, nicht aber das Christentum, die von ihm geschaffene Zivilisation und ihr soziales, rechtliches, politisches und religiöses kulturelles Erbe.

 

Nach oben scrollen
DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner