Pietismus

Wie verändert Gott seine Gemeinde?

Prof. Volker Gäckle, Rektor der Internationalen Hochschule Liebenzell, hat das neue Buch Raus aus der Sackgasse! Wie die pietistische und evangelikale Bewegung neu an Glaubwürdigkeit gewinnt von Michael Diener besprochen.

Hier ein Auszug:

Das Plädoyer Michael Dieners würde mich deutlich mehr überzeugen, wenn sich der von ihm gelobte EKD-Protestantismus mit seiner vorbildlichen Pluralitätsfähigkeit vor Zulauf nicht mehr retten könnte und die Massen bei seinen offenen, einladenden, toleranten und in keiner Weise milieuverengten Gemeinden die Kirchentüren einrennen würden. Mir würde es auch schon reichen, wenn es wenigstens die eigenen Mitglieder tun würden. Aber dieser Protestantismus verliert gerade jedes Jahr etwa 2% seiner Mitglieder. Selbst an den Heiligabendgottesdiensten hat sich die Zahl der Besucher in 14 Jahren von 51% im Jahre 2005 um 30% auf 21% im Jahr 2019 (und das war vor der Pandemie!) reduziert. Warum soll der Pietismus der Hermeneutik, Theologie und Ethik eines Protestantismus folgen, der sich in Europa gerade im freien Fall befindet?

Die grundlegende Frage, die Michael Diener in seinem Buch stellt, ist die Frage nach der Veränderung der Gemeinde im Wandel der Zeiten. Diese Veränderungen hat es in der Geschichte des Volkes Gottes im alten und neuen Bund immer gegeben und sie stehen auch Kirche und Pietismus bevor. Davon bin auch ich überzeugt. Aber diese Veränderungen vollziehen sich nie einfach durch die Anpassung an eine dominierende Leitkultur, sondern weil Gott neu handelt, in neuer Weise wirkt durch neu geöffnete Augen für das Wort Gottes (Martin Luther und die Reformation), durch das Wirken seines Geistes in Zeiten der Erweckung, durch das Wachstum oder das Zusammenwachsen seines Volkes (Evangelische Allianz, Weltchristenheit). Es ist immer Gottes Wort und Geist, die seine Gemeinde verändern und die Gemeinde wird dieses verändernde Wirken Gottes auch in seinem Wort wiedererkennen. Genau das ist das Problem an unserer leidigen Diskussion um die Bewertung homosexueller Handlungen: Zu viele Menschen können nicht erkennen, dass der geforderte Wandel durch Gottes Wort und Geist bestätigt wird.

Hier die vollständige Rezension: Rezension_zu_Diener-Michael_Raus-aus-der-Sackgasse_Fragen-aus-der-Sackgasse_Volker-Gaeckle_2021-10-20.pdf.

VD: JT

Johann Heinrich Jung-Stilling

stilling.jpegDer ERF hat zum 195. Todestag von Johann Heinrich Jung-Stilling kurz über das Leben des aufgeklärten Pietisten berichtet. Hier ein Mitschnitt:

[podcast]http://www.erf.de/data/files/content.sources.r.gedenktag/259134.mp3[/podcast]

Wer sich dafür interessiert, wie Jung-Stilling das Leben von Jesus Christus gesehen hat, findet in dem Aufsatz des Pfarrers i.R. Martin Völkel einen ersten Zugang (aus gemäßigt kritischer Sicht).

Dort habe ich auch ein schönes Zitat von Johann Heinrich Jung-Stilling gefunden (Der graue Mann, S. 211-212):

Am allerschädlichsten sind nun solche Schriften, die unter dem Schein der Religion sie selbst untergraben: die mit den scheinbarsten Vernunftsgründen beweisen, daß die heilige Schrift nicht göttliche Offenbarung sey, daß es überhaupt keine göttliche Offenbarung außer der Natur geben könne, daß Christus bloß ein gemeiner, aber weiser Mann gewesen sey, daß er am Kreuz nicht gestorben, sondern nur ohnmächtig geworden und am dritten Tag des Morgens früh von seinen Jüngern weggebracht worden sey.

Übrigens zählte Nietzsche den Siegerländer Jung-Stilling zu den lesenswerten deutschen Schriftstellern (Menschliches, Allzumenschliches, § 109):

Wenn man von Goethe’s Schriften absieht und namentlich von Goethe’s Unterhaltungen mit Eckermann, dem besten deutschen Buche, das es giebt: was bleibt dann eigentlich von der deutschen Prosa=Litteratur übrig, das es verdiente, wieder und wieder gelesen zu werden? Lichtenberg’s Aphorismen, das erste Buch von Jung=Stillings Lebensgeschichte, Adalbert Stifter’s Nachsommer und Gottfried Keller’s Leute von Seldwyla, – und damit wird es einstweilen am Ende sein.

Auf dem schmalen Weg

Der Pietismus, die einstige Gegenströmung zur lutherischen Orthodoxie kämpft bis heute mit Vorurteilen. Dabei gäbe es ohne ihre Impulse weder Diakonie noch Konfirmation. Wolfgang Thielmann sieht in seinem Artikel die protestantische Erneuerungsbewegung allerdings nicht rosarot.  Er diagnostiziert auch eine Verknüpfung von Herrenhut und Friedrich Schleiermacher:

Zinzendorf machte den Pietismus zu einer Bewegung der kleinen Leute. Handwerker, nicht Theologen, schickte er als Missionare nach Afrika, Indien und zu den Eskimos. Und in die Diaspora nach Deutschland, um dort in Gemeinden zu predigen, ohne eigene Kirchen zu gründen. Sie halfen dem Pietismus zu überleben, als Aufklärung und Rationalismus seine akademische Präsenz vor allem in Halle überrollten. Die fromme Bewegung verlor am Ende des 18. Jahrhunderts ihren wohl größten Sohn, Friedrich Daniel Schleiermacher. Er löste sich aus der Frömmigkeit seiner herrnhutischen Erziehung, aber bezeichnete sich später als »Herrnhuter höherer Ordnung«. Seine berühmt gewordene Definition der Religion als »Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit« atmet herrnhutische Erfahrung.

Karl Barth sah das wohl ähnlich.

Hier der Artikel: www.merkur.de.

Gründergestalt des Pietismus: Philipp Jacob Spener

Der Deutschlandfunk hat am 26. Januar 2010 in der Sendung »Tag für Tag« einen hervorragenden Beitrag über Philipp Jacob Spener publiziert. Spener (1635–1705) hat als lutherischer Theologe den Pietismus zentral geprägt. 1694 wirkte er mit an der Gründung der Reformuniversität Halle an der Saale, wo seinem Schüler August Hermann Francke eine ebenfalls herausragende Rolle zukam.

Die Datei kann als Podcast hier herunter geladen werden: dlf_20100126_0941_5f5f0654.mp3.

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