Reformatin

„Herrlichkeitstheologie“ oder „Kreuzestheologie“?

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Lucas Cranach der Ältere – Marie-Lan Nguyen (2012), Gemeinfrei.

Die Heidelberger Disputation (Disputatio Heidelbergensis) war ein von Johann von Staupitz an der Heidelberger Universität einberufenes Generalkonvent für den Zeitraum vom 25. bis zum 27. April 1518. Es fand also vor 500 Jahren statt. Luther gewann damals etliche Anhänger unter den Studenten und Magistern der Artistenfakultät. Spätere Reformatoren wie Martin Bucer oder Johannes Brenz waren unter den Zuhörern und ließen sich für die Anliegen der reformatorischen Theologie begeistern.

Die Disputation ist stark mit der Theologie des Kreuzes verbunden. Bei Luther tritt der Begriff zwar nur vereinzelt auf. Bei den Erörterungen 1518 verwendet der junge Reformator die Formulierung allerdings in einer sehr grundlegenden und bahnbrechenden Weise. Er stellt die sogenannte „Herrlichkeitstheologie“ (theologia gloriae) der „Kreuzestheologie“ (theologia crucis) gegenüber.

Der Theologe der Herrlichkeit findet Gott durch die Schöpfung. Der Aufbau der Summe der Theologie des großen Thomas von Aquin (1225–1274) kann beispielsweise auf die Formel „Von Gott durch die Welt zu Gott in Christus – dem Gekreuzigten“ gebracht werden.

Luther wendet sich nun nachdrücklich gegen eine Theologie, die unter dem Eindruck der griechischen Philosophie (bes. Aristoteles) vorgibt, vernünftige Wege zu Gott gefunden zu haben. Luther verurteilte sie in seiner 19. These mit den Worten, dass der nicht wert sei, „ein Theologe zu heißen, der Gottes ‚unsichtbares Wesen durch das Geschaffene erkennt und erblickt‘ (Röm 1,20)“. Die Theologie der Herrlichkeit verzwecke Gott und raube ihm die Ehre. Sie „bläht auf, macht blind und verstockt“, heißt es in der 22. These. „Das (dem Menschen) zugewandte und sichtbare Wesen Gottes ist das Gegenteil des Unsichtbaren, nämlich: seine Menschheit, Schwachheit, Torheit“ (20. These). Gott will im Leiden erkannt sein. Und so formuliert Luther in der 20. These:

So genügt oder nützt es keinem schon, Gott in seiner Herrlichkeit und Majestät zu erkennen, wenn er ihn nicht zugleich in der Niedrigkeit und Schande des Kreuzes erkennt … Also liegt in Christus dem Gekreuzigten die wahre Theologie und Erkenntnis Gottes. Und [in] Joh. 14, 6 heißt es: ‚Niemand kommt zum Vater, denn durch mich …

In letzter Analyse setzt nach Luther die Theologie der Herrlichkeit das Vertrauen auf die Werke und führt deshalb zur Verherrlichung des Menschen. Sie beschönigt das desolate Sündersein, das sogar die Erkenntnis Gottes aus der Schöpfung missbraucht. Allein die Kreuzestheologie lässt Gott dem ihm geschuldeten Ruhm zukommen, da sie alles von Christus erwartet. Wir finden nur durch Christus zu Gott (und in einem gewissen Sinn auch zur Welt). Es gibt keine wahre Theologie ohne Kreuz.

Nachfolgend einige Zitate aus den Disputationen (Luther, M. (2006). HEIDELBERGER DISPUTATION. In W. Härle, J. Schilling, & G. Wartenberg (Hrsg.), W. Härle (Übers.), Der Mensch vor Gott: Deutsche Texte (Bd. 1, S. 37–39). Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, zitiert aus der digitalen Logos-Ausgabe).

III:

DIE WERKE DER MENSCHEN, WIE SCHÖN SIE AUCH IMMER SEIEN UND WIE GUT SIE ERSCHEINEN, SO GLAUBHAFT IST DOCH, DASS SIE TODSÜNDEN SIND.

Die Werke der Menschen erscheinen schön, aber innerlich sind sie hässlich, wie Christus von den Pharisäern Mt 23 sagt. Denn sie erscheinen ihnen und anderen gut und schön, aber Gott ist es, der nicht nach dem äußeren Ansehen urteilt, sondern die Nieren und Herzen erforscht. Aber ohne Gnade und Glauben ist es unmöglich, ein reines Herz zu haben. Apg 15: „Durch den Glauben reinigt er ihre Herzen.“

Die These wird deshalb [so] bewiesen: Wenn die Werke der gerechten Menschen Sünden sind, wie die These VII sagt, wie viel mehr der Menschen, die noch nicht gerecht sind. Aber die Gerechten sagen im Blick auf ihre Werke: „Gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht, Herr, denn vor dir wird kein Lebender gerechtfertigt werden.“ Ebenso der Apostel Gal 3: „Die aus den Werken des Gesetzes sind, sind unter dem Fluch.“ Aber Menschenwerke sind Gesetzeswerke. Und die Verfluchung wird nicht lässlichen [Sünden] zuteil, also sind sie Todsünden. Drittens Röm 2: „Der du lehrst, man solle nicht stehlen, stiehlst.“ Das erklärt der Selige Augustinus [so]: „Nach ihrem schuldigen Willen sind sie nämlich Diebe, auch wenn sie äußerlich andere Diebe verurteilen und belehren.“

XVI:

DER MENSCH, DER GLAUBT, ER WOLLE DADURCH ZUR GNADE GELANGEN, DASS ER TUT, WAS IN SEINEN KRÄFTEN STEHT, FÜGT SÜNDE ZUR SÜNDE HINZU, SO DASS ER DOPPELT SCHULDIG WIRD.

Denn aus dem Gesagten ist offenkundig: Indem er tut, was in seinen Kräften steht, sündigt er und sucht überhaupt das Seine. Aber wenn er glauben sollte, durch Sünde der Gnade würdig oder für die Gnade geeignet zu werden, fügt er sogleich hochmütige Vermessenheit hinzu und glaubt, dass Sünde nicht Sünde und Böses nicht Böses sei, was eine überaus große Sünde ist. So Jer 2: „Mein Volk hat eine zweifache Sünde begangen: Mich, die lebendige Quelle, haben sie verlassen und graben sich rissige Zisternen, die das Wasser nicht halten können.“ D. h.: Durch die Sünde sind sie weit weg von mir und maßen sich dennoch an, aus sich heraus Gutes zu tun.

Nun sagst du: Was sollen wir also tun? Sollen wir in Tatenlosigkeit verharren, weil wir nur Sünde tun [können]? Ich antworte: Nein, sondern, wenn du diese [Worte] gehört hast, dann knie nieder und bete um Gnade, setze deine Hoffnung auf Christus, in dem unser Heil, unser Leben und unsere Auferstehung ist. Denn dies wird deshalb gelehrt, deshalb macht das Gesetz die Sünde bekannt, damit, wenn die Sünde erkannt ist, die Gnade gesucht und erlangt wird. So, so gibt er den Demütigen Gnade, und so wird, wer sich demütigt, erhöht. Das Gesetz demütigt, die Gnade erhöht. Das Gesetz wirkt Furcht und Zorn, die Gnade Hoffnung und Erbarmen. Denn durch das Gesetz kommt die Erkenntnis der Sünde, durch die Erkenntnis der Sünde aber die Demut, durch die Demut wird die Gnade erlangt. So führt Gottes fremdes Werk schließlich sein eigenes Werk herbei: indem es einen zum Sünder macht, um ihn zum Gerechten zu machen.

XXI:

DER THEOLOGE DER HERRLICHKEIT NENNT DAS ÜBEL GUT UND DAS GUTE EIN ÜBEL. DER THEOLOGE DES KREUZES SAGT, WAS DIE SACHE IST.

Das ist offenkundig; denn solange er Christus nicht kennt, kennt er den in den Leiden verborgenen Gott nicht. So zieht er die Werke den Leiden vor, die Herrlichkeit dem Kreuz, die Macht der Schwäche, die Weisheit der Torheit und insgesamt das Gute dem Übel. Das sind solche, die der Apostel ,Feinde des Kreuzes Christi‘ nennt, und das, weil sie das Kreuz und die Leiden hassen, dagegen die Werke und ihren Ruhm lieben und so das Gute des Kreuzes ein Übel nennen und das Übel des Werkes ein Gutes. Aber dass Gott nur gefunden wird in den Leiden und im Kreuz, ist schon gesagt.

So sagen die Freunde des Kreuzes, das Kreuz sei ein Gutes und die Werke [seien] ein Übel, weil durch das Kreuz die Werke zerstört werden und [der alte] Adam gekreuzigt wird, der durch die Werke vielmehr aufgebaut wird. Es ist nämlich unmöglich, dass der nicht durch seine guten Werke aufgebläht werde, der nicht vorher durch Leiden und Übel erniedrigt und zerstört worden ist, bis er weiß, dass er nichts sei und die Werke nicht seine, sondern Gottes sind.

 

Auslegung und Hermeneutik der Bibel in der Reformationszeit

9783110467925Die Bedeutung der Bibel für die Reformation ist unbestritten. Aber welche Rolle spielte die Bibel konkret? Christine Christ-von Wedel und Sven Grosse haben vor einigen Monaten das Buch:

  • Auslegung und Hermeneutik der Bibel in der Reformationszeit (Historia Hermeneutica. Series Studia, Band 14). De Gruyter, 2017.

herausgegeben.

Dieser Band erschließt Auslegung und Hermeneutik der Bibel in der Reformationszeit anhand mehrerer Querschnitte. Er geht auf die Wittenberger Reformatoren ein (Luther, Melanchthon), auf die Reformierten (u.a. Bullinger, Calvin, hier wird auch Bucer eingeschlossen), aber auch auf Querverbindungen: zu Erasmus, den Täufern und der christlichen Rezeption jüdischer Bibelauslegung. Zu den Autoren gehören Stefan Felber, Johann Anselm Steiger, Andreas J. Beck.

Hier ein vollständiges Inhaltsverzeichnis: 9783110467925-toc.pdf.

Das Buch kann zur Zeit gratis als PDF oder eBook hier heruntergeladen werden: www.degruyter.com.

Die Waldenser und Luther

Der DLF publizierte vor einigen Tagen einen Beitrag über die Waldenser und Martin Luther. Leider fallen dort etliche Dinge unter den Tisch, während auf der anderen Seite die heute überwiegend liberalen Strömungen der Bewegung unkritisch, ja wohlwollend, präsentiert werden. Es fehlt etwa der Hinweis, dass die Waldenser eine Bibelbewegung waren, die die Evangelientexte in den Volkssprachen unter die Leute gebracht hat. Die Waldenser haben außerdem fleißig evangelisiert. Die Katholische Kirche bekommt mehr Raum als Luther. Verschwiegen wird, dass in Italien die Waldenser seit 1979 mit den Methodisten eine gemeinsame Kirche bilden.

Mein früh verstorbener Kollege Peter H. Uhlmann hat vor ca. 17 Jahren das Manuskript „Der Erweckungsprediger und Reformator Pierre Waldes und die Waldenserbewegung“ verfasst, dass ich als Ergänzung zur DLF-Sendung herzlich empfehlen kann. Es führt geneigt in die durchaus ambivalente Bewegung ein. Über die „Kolporteure“ im 19. Jahrhundert schreibt er etwa:

Eine ganz besonders mühsame, aber zugleich segensreiche Arbeit ist die der „Kolporteure“. Es sind reisende Evangelisten, die mit ihrer Last an Bibeln, Neuen Testamenten und Andachtsbüchern von Haustür zu Haustür ziehen. Durch manche Gespräche und den nachfolgenden Bekehrungen von Italienern entstehen da und dort Gemeinden. Wie viele Beleidigungen, Nachstellungen, ja Verfolgungen müssen sie auf sich nehmen! Diese Kolporteure leben auf Taschengeldbasis, weit unter dem Existenzminimum. Doch die Liebe zu Jesus ist größer als alle Widerwärtigkeiten! – Wie viel anders sieht unser Leben zu Beginn des 21. Jh. aus! Wie wenig sind wir doch bereit, um Jesu willen verachtet zu werden und materielle Nachteile auf uns zu nehmen.

Hier das Manuskript: WALDENSER%20Broschu%CC%88re.pdf.

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