Sebastian Moll

„Sola fühle“

Die Leitung der Evangelischen Kirche in Deutschland gibt anlässlich des großen Jubiläums der Reformation eine neue dogmatische Richtlinie heraus: „Sola fühle – Allein, wonach dir gerade ist“.  Ich zitiere Messe in Moll:

Frühere Festlegungen sollen nun durch diese neue Formel komplett ersetzt werden. Theologisch richtig sei fortan einfach immer das, was dem einzelnen Christen gerade in den Sinn komme.

Wie die Leiterin der Theologischen Kommission der EKD, Mira Lessegal, erklärte, habe sich diese dogmatische Entwicklung bereits seit längerer Zeit abgezeichnet: „Viele von uns sind noch mit Luthers Prinzip „Sola Scriptura – Allein die Schrift“ aufgewachsen. Doch insbesondere junge Menschen stellen immer mehr fest, dass die Inhalte der Schrift ihren persönlichen Gefühlen und Vorstellungen widersprechen. Hier muss sich die Kirche dringend auf die Jugend zubewegen und attraktiver werden.“

Das klingt so echt, dass ich darauf hinweisen muss: Das ist nur Satire.

Aber eben sehr lebensnah. Das „Sola fühle“ ist natürlich längst im evangelikalen Mainstream angekommen. Für das Medienmagazin Pro hat Anna Lutz die Autoren des Buches Generation Y interviewt. Keine kritischen Rückfragen. Dabei ist das, was die Autoren sagen, schlicht hanebüchen. Ungefähr so: Hörte die Kirche auf die Gefühle der jungen Leute, gäbe es für sie eine Zukunft. Die Kirche braucht mehr (sexuelle?) Vielfalt, so wie die Gemeinde zu Pfingsten in Jerusalem.

Das klingt dann so:

Glauben ist ein Beziehungsgeschehen. Jesus Christus ist eine Person. Deshalb können wir die Bibel nicht aufschlagen und sagen: ‘Regel eins und Regel zwei befolgt, fertig’. Wir müssen den Einzelnen sehen. Es geht nicht darum, die Regel einzuhalten, sondern darum zu erkennen, wofür eine Regel gut ist. Das verlieren wir oft aus dem Fokus

Ulrich Parzany ist ein fleißiger Theologe, der die Bibel viel besser kennt als ich. Wir sind hin und wieder im Gespräch und in Manchem sogar einig. Dennoch konnte er mich bisher nicht überzeugen, dass es ihm um den einzelnen Menschen geht und nicht doch bloß um Rechthaberei. Seine starre Position ist unserer Generation nicht mehr zu vermitteln. Wo genau in der Bibel steht, dass ein Mann nicht bei einem Mann liegen darf, interessiert junge Menschen heute eben nur noch, wenn ihnen auch plausibel gemacht werden kann, warum Liebe nicht gleich Liebe sein soll. Ich verstehe nicht, wohin dieser Kampf führen soll.

Kirche verändert sich. Die erste Gemeinde hatte täglich Zulauf von Hunderten und hat das ausgehalten. Meistens fehlt ja gerade diese Vielfalt.

Wenn ich solche Sprüche nicht schon vor 20 Jahren gehört hätte?! Leute: Diese gefühlige Flexibilität hat nichts gebracht! Meint ihr wirklich, ihr könntet einfach die Gebotsethik durch eine Situationsethik ersetzen und alles wird gut?

Jesus war kein Vegetarier?

51sOCLdhamL._SL500_AA300_.jpgDie evangelische Theologie will vor allem politisch korrekt sein. Der Glaube stört da nur, behauptet der Nachwuchswissenschaftler Sebastian Moll in seiner Streitschrift:

Christ & Welt hat mit dem Autor gesprochen. Herausgekommen ist ein provokantes Interview. Hier ein Auszug:

C & W: Wer verzerrt die Bibel?

Moll: Im Moment tun sich da die protestantischen Theologen und Vertreter der evangelischen Kirche besonders hervor. George Orwell schreibt in „1984“: „Freiheit ist die Freiheit zu sagen, dass zwei plus zwei vier ist. Wenn das gewährt ist, folgt alles Weitere.“ Ich erlebe zunehmend, dass wir uns zu einer Gesellschaft hinbewegen, in der man nicht mehr sagen darf, dass zwei plus zwei vier ist.

C & W: Um es konkret zu machen: Ist es tatsächlich verboten, die Frauenordination zu kritisieren?

Moll: Verboten ist es nicht, aber es ist schwierig. Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Ich habe gar kein Problem damit, dass in der evangelischen Kirche Frauen geweiht werden. Mich stört aber, wenn man die Fakten der Schrift dahingehend verdreht, dass sich Christus und Paulus bewusst für die Belange der Frauenbewegung eingesetzt hätten, wie das heute in Positionspapieren der EKD geschieht. Man kann doch nicht behaupten, dass Christus und Paulus Männer und Frauen gleich behandelt haben. Sie hatten damals ganz andere Probleme als die Gleichstellung der Geschlechter.

C & W: Und was folgt daraus?

Moll: Man muss den Mut haben zu entscheiden: Will ich die Tradition anerkennen oder nicht? Die evangelische Kirche muss klar sagen: Gilt die Schrift noch oder nicht? Aber man kann doch nicht so tun, als halte man an der Bibel fest und bricht zugleich in allen praktischen Fragen mit der Schrift. Diese Heuchelei wird die evangelische Kirche nicht überleben.

C & W: Was ist das Wesentliche?

Moll: Die Botschaft der Erlösung, der Triumph des Lebens über den Tod, die Vergebung der Sünden. Das weiterzutragen ist die Aufgabe jedes Christen, aber erst recht jedes Predigers. Wenn das die Hauptbotschaft bleibt, kann ich mich auch um Vegetarismus oder Frauenfragen kümmern. Aber ich kann diese zentrale Botschaft nicht mehr erkennen. In theologischen Vorlesungen müssen sich Studenten stundenlang anhören, welche Briefe nun von Paulus sind und welche nicht. Der nächste Schritt wäre doch, mit den Erkenntnissen produktiv umzugehen. Aber dieser Schritt bleibt aus. Früher gab es drei produktive Wissenschaften: Die Jurisprudenz diente der Gerechtigkeit, die Medizin der Gesundheit, die Theologie dem Glauben. Daran sollte sich die Theologie erinnern, sie kann nicht nur die Schrift dekonstruieren.

Mehr hier: www.christundwelt.de.

VD: EP

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