Svenja Flaßpöhler

„Defekte Debatten“

Die Philosophin Svenja Flaßpöhler, Chefredakteuerin beim PHILOSOPHIE MAGAZIN, hat sich kürzlich in einem WELT-Interview sehr klug zur medialen Debattenkultur in Deutschland (und anderswo) geäußert. Es gehe nicht mehr darum, der Vernunft und dem besseren Argument zu folgen, sondern darum, bestimmte Positionen im Sinne eines Kampfes durchzusetzen und dabei in Kauf zu nehmen, dass Gesprächsteilnehmer vernichtet werden.

Zitat: 

Die Philosophin Elsa Dorlin beschäftigt sich in ihrem Buch „Selbstverteidigung“ mit Folterinstrumenten, die so gebaut sind, dass der Gefolterte sich umso mehr verletzt, je mehr er strampelt und zu überleben versucht. Unfaire Streitsituationen sind strukturell ähnlich: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich mich als Subjekt auflöse, je mehr ich auf meiner Position beharre, je mehr ich mich behaupte. Die einzige Methode, mit der ich damals sozial überleben konnte, hieß: stillhalten. Eigentlich unerträglich für mich, aber womöglich hat es mich vor der Alternative bewahrt, die leider auch häufig ist: Dass Leute, die in eine Ecke gestellt werden, sich radikalisieren. Je aussichtsloser sie sich verteidigen, desto stärker finden sie nur noch in extremen Kreisen Anerkennung.

Mehr (hinter einer Bezahlschranke): www.welt.de.

[#ad]

Svenja Flaßpöhler: Logik des Krieges verstehen

Ich finde, Svenja Flaßpöhler hat im Editorial der aktuellen Ausgabe des Magazins Philosophie passende Worte gefunden (3/2022, S. 3):

An diesem Tag [gemeint ist der 24. Februar 2022) ist der Krieg zurückgekehrt. Die Vorstellung einer linear verlaufenden Fortschrittsgeschichte erweist sich als naiver Traum. Der Einbruch des Realen hat uns mit einer solchen Wucht getroffen, dass vor allem in den ersten Tagen nach dem Angriff der hektische Versuch zu beobachten war, das Ende der Illusion durch feste Überzeugungen und starre Denkmuster des Kalten Krieges zu kompensieren. Man müsse wieder in den Kategorien von Freund und Feind denken. „Russlandversteher“ stehen deshalb mehr denn je im Kreuzfeuer der Kritik.

Dieser schreckliche Krieg ist durch nichts zu rechtfertigen. Doch Verstehen heißt nicht: Legitimieren.

Das wusste niemand besser als Hannah Arendt, die mit Blick auf den Holocaust den Versuch unternahm, die Welt mit den Augen Adolf Eichmanns zu sehen, und so zu ihrer Theorie des „banalen Bösen“ kam. In ihrem Aufsatz „Verstehen und Politik“ aus dem Jahr 1953 bringt sie den Unterschied zwischen Verstehen und Rechtfertigen auf den Punkt: „In dem Ausmaß, in dem das Heraufkommen totalitärer Regime das Hauptereignis unserer Welt ist, heißt den Totalitarismus verstehen nicht irgendetwas zu entschuldigen, sondern uns mit einer Welt, in welcher diese Dinge überhaupt möglich sind, versöhnen.“

Gerade jetzt ist es geboten zu verstehen: die Logik des Krieges, die immer noch Teil unserer Realität ist – und die auch das Denken Wladimir Putins bestimmt. Ein solches Verstehen legitimiert nicht seine Tat, sondern kann vielmehr helfen, einen aus Schock und Angst geborenen blinden Aktionismus zu verhindern.

Moralischer Totalitarismus

Ich finde es erfrischend, wenn linke Denker wie Svenja Flaßpöhler feststellen, dass Betroffenheitsgesten die Diskussionskultur in der Gesellschaft und an den Hochschulen nicht nur beschädigen, sondern erdrücken. Das Ende eines Debatten-Diskurses ist ganz schnell erreicht; wenn „an die Stelle von Argumenten Gefühle treten, ist an Diskutieren nicht zu denken. Das würgt alles ab“.

Svenja Flaßpöhler:

Der zentrale Unterschied ist doch der: Der Faschismus wendet sich gegen Minderheiten, gegen Schwache. Wenn aber zum Beispiel Studierende dafür kämpfen, dass ein Eugen-Gomringer-Gedicht von der Wand ihrer Hochschule verschwindet, dann ist der Feind der weiße, erfolgreiche Mann. Dreh- und Angelpunkt ist also das Verhältnis von Privilegierten und Nichtprivilegierten. Oder auch: von Betroffenen und Nichtbetroffenen. Es gibt im Feminismus die sogenannte Standpunkttheorie, die besagt, dass jede Position an einen Standpunkt gebunden ist, aber dass die Unterdrückten einen objektiveren Zugang zur Wahrheit haben, weil sie viel mehr sehen als die privilegierte Gruppe, die gar kein Interesse an einer höheren Erkenntnis hat. Sicher ist es richtig, dass ich nicht weiß, wie es ist, eine schwarze Hautfarbe zu haben. Insofern kann mich die Sicht eines dunkelhäutigen Menschen, der tagtäglich Diskriminierung erfährt, zu neuen, wertvollen Einsichten führen. Problematisch finde ich aber, wenn Menschen, die keiner solch unterdrückten Gruppe angehören, unterstellt wird, dass sie zu bestimmten Themen nichts Wertvolles sagen können. Ich als weiße, heterosexuelle Frau in einer Führungsposition habe in bestimmten Themenkomplexen ganz schlechte Karten.

Ich empfehle die vollständige Lektüre dieses Interviews mit der Chefredakteurin des Philosophie Magazins gern: taz.de.

Nach oben scrollen
DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner