Literatur

Karl Barth: Vorlesungsvorbereitung als Nachtschicht

Eberhard Busch, von 1965–1968 persönlicher Assistent von Karl Barth, schreibt in seiner Barth-Biographie, wie hart dieser für die Vorbereitung seiner Vorlesungen gearbeitet und gekämpft hat (Karl Barth’s Lebenslauf, 1976, S. 140–141): 

Der Schreibtisch, an dem Barth von jetzt an (bis zu seiner Emeritierung) arbeitete, war derselbe, „an dem schon mein so viel gediegenerer Vater gelebt und gearbeitet hat“. „Da gabs nun ein tage- und nächtelanges Studieren und Hin- und Herwälzen von alten und neuen Büchern, bis ich einigermaßen – ich will nicht sagen, aufs Roß, aber wenigstens auf den akademischen Esel kam, so daß ich reiten konnte an der Universität.“ Mit unerhörtem Fleiß gab sich Barth der Vorbereitung seiner Vorlesungen hin „fast immer Nachtschicht!“ „Mehr als einmal wurde das, was ich [morgens] um 7 Uhr vorbrachte, erst zwischen 3-5 Uhr fertig.“

Es war „immer etwas schneller“ zu arbeiten, „als mein natürliches Tempo wäre … Und unsere ‚komplizierenden‘, alles auf den Kopf stellenden Gesichtspunkte vereinfachen das Geschäft auch nicht: es ist ein ewiger Krieg zwischen diesen ‚Gesichtspunkten‘ und dem Stoff, der durchaus in die alte bekannte banale Form zurückschnellen möchte“‘‘. Und wie oft seufzte der junge Professor „angesichts der Türme von Stoff, die ich nicht beherrsche“!“ Wie oft klagte er darüber, „wie ich armes Maultier da im Nebel meinen Weg su muß, über allem andern auch immer noch gehemmt durch mans de gelehrte Beweglichkeit, unbefriedigende Lateinkenn schlechtestes Gedächtnis!“ „In meinem Kopf gehts zu wie in ei Hyänenkäfig vor der Fütterung.“

Genderkritiker als neue „Sprachpolizei“

Immer häufiger werden inzwischen Gegner der gendergerechten Sprache persönlich angegriffen. Fabian Payr hat in einem Gastbeitrag für die FAZ Beispiele aufgeführt. Der Genderbefürworter Sascha Lobo rückt etwa Kritiker des Genders quasi in den pathologischen Raum einer Zwangsstörung. Werden Leute, die aus Überzeugung und mit guten Argumenten das Gendern ablehnen, demnächst als „genderphobisch“ bezeichnet?

Das Fazit von Fabian Payr lautet: 

Sprachliche Zwangsfixierungen, Rechts lastigkeit, Hadern mit der Gleichberechtigung, Frauenfeindlichkeit: Wer Gendern kritisiert, muss sich auf schweres Geschütz aus der Fankurve einstellen. Ein weiterer Begriff, der aktuell Karriere macht, ist „Sprachpolizei“. Genderkritiker gelten nun als diejenigen, die fortschrittlichen Menschen in autoritärer Manier die Freiheit des sprachlichen Ausdrucks rauben wollen. Es entbehrt dabei nicht der Ironie, dass ausgerechnet diejenigen, die den Einsatz des genderneutralen Maskulinums zum Tabu erklärt haben (und daher eine Sprache erfunden haben, deren einziger Zweck darin besteht, diese verteufelte Sprachform zu meiden), ihren Kritikern „sprachpolizeiliche“ Ambitionen unterstellen.

Die Ebene der produktiven Debatte wurde längst schon verlassen. Nun geht es darum, den Gegner als Person unglaubwürdig (rechts, rückständig, zwanghaft, frauenfeindlich, vergreist) erscheinen zu lassen. Und hier ist, wie anfangs schon ausgeführt, der Umkehrschluss erlaubt: Wer den Gegner als Person attackiert und beleidigt, der hat auf der Ebene der sachlichen Argumente schon lange den Rückzug angetreten. Manch einer, wie der erwähnte Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch, träumt in dieser heiklen Lage davon, das Genderprojekt jetzt einfach – wie seinerzeit die große Rechtschreibreform – auch gegen den Willen der großen Mehrheit der Bevölkerung durchzuziehen. So äußerte sich der Professor zumindest unlängst in einem ZDF-Interview. Es ist vorauszusehen, dass der Preis für ein solches Vorgehen ein hoher sein wird.

Mehr: (hinter einer Bezahlschranke): www.faz.net.

Christliche Kunst mit ästhetischer Integrität

Der große Roger Scruton setzt sich in seiner Ästhetik mit der Frage auseinander, wie Propaganda von Kunstwerken mit einer integralen Botschaft unterschieden werden kann und erwähnt in diesem Zusammenhang John Bunyans Pilgerreise. Bunyan habe es seiner Meinung nach geschafft, eine starke moralische Botschaft in glaubwürdiger Weise zu vermitteln. Bei der Pilgereise passt die Form zum Inhalt.

Er schreibt (Schönheit: Eine Ästethik, München: Diederichs, 2012, S. 171):

Propagandawerke, wie die des sozialistischen Realismus in der Bildhauerei der Sowjetunion oder (das literarische Äquivalent) Michail Scholochows Der stille Don, opfern ihre ästhetische Integrität der politischen Korrektheit, aus Charakteren werden Karikaturen und die Dramatik zur Predigt. Was uns an diesen Werken stört, ist ihre Unaufrichtigkeit. Die Botschaften, die man uns hier aufdrängt, entspringen weder aus der immanenten Logik der Erzählung, noch kommen sie in den übertriebenen Darstellungen der Figuren und Charaktere zum Ausdruck; die Propaganda ist kein Element der ästhetischen Bedeutung, sie bleibt äußerlich – ein Eindringen des Alltags, der nur an Glaubwürdigkeit einbüßen kann, wenn man ihn aufdringlich unter die ästhetische Kontemplation mischt.

Auf der anderen Seite gibt es Kunstwerke, die eine starke moralische Botschaft vermitteln, aber dabei einen konsistenten ästhetischen Rahmen behalten. Man denke hier an John Bunyans The Pilgrim’s Progress. Die Verteidigung des Lebens im Einklang mit dem Christentum ist hier mit schematischen Charakteren und klaren Allegorien verwoben. Aber das Buch ist mit einer so intensiven Unmittelbarkeit, mit einer Aufrichtigkeit der Empfindung und einem Gefühl für das Gewicht der Worte geschrieben, dass die christliche Botschaft zu einem integralen Bestandteil wird, die durch überzeugende Worte ihre Schönheit erhält. Bei Bunyan finden wir die Einheit von Form und Inhalt, die es verbietet, das Werk als schiere Propaganda abzutun.

Gleichzeitig kann man, auch wenn man das Buch für seine Wahrhaftigkeit bewundert, die zugrunde hegenden Glaubensideen nicht akzeptieren. Bunyan führt die gelebte Realität einer christlichen Lehrzeit vor Augen, und als Atheist, Jude oder Moslem kann man die Wahrheit dieser Geschichte entdecken – Wahrhaftigkeit gegenüber der menschlichen Existenz und gegenüber einem Menschen, der im Chaos seines Lebens den Blick der Hoffnung auf eine bessere Welt erlebt hat. Auch wirkt Bunyans Moralisieren nicht aufdringlich, es entsteht aus Erfahrungen, über die aufrichtig berichtet wird und zu denen sich das Buch in sehr lebendiger Weise bekennt. 

Der Satz: „Gleichzeitig kann man, auch wenn man das Buch für seine Wahrhaftigkeit bewundert, die zugrunde hegenden Glaubensideen nicht akzeptieren“ ist meines Erachtens in dem Sinne zu verstehen: „Man kann, auch wenn man das Buch für seine Wahrhaftigkeit bewundert, die zugrundeliegenden Glaubensideen verneinen.“ Der Leser wird folglich nicht manipuliert, sondern kann das Buch auch dann glaubwürdig und anziehend finden, wenn er die enthaltenen Glaubensbotschaften ablehnt. In der englischen Ausgabe lautet der Satz: „At the same time, even while admiring Pilgrim’s Progress for its truthfulness, we may reject its underlying beliefs“ (Beauty, Oxford: Oxford University Press, 2009, S. 131).

Ich wünsche mir von Christen mehr künsterlische Werke mit dieser ästhetischen Integrität. 

Recovering the Lost Art of Reading

41Onf25nzOL SX322 BO1 204 203 200Waldemar Henschel hat sich das Buch Recovering the Lost Art of Reading: A Quest for the True, the Good, and the Beautiful genauer angeschaut. Sein Fazit:

Die Autoren erreichen mit diesem Buch ihr Ziel, neue Freude am Lesen von Literatur zu wecken. Sie tun dies biblisch begründet und aus einer christlichen Perspektive. Sie vermeiden dabei den Fehler, zwischen „christlicher“ und „säkularer“ Literatur zu trennen. Das Wahre, Gute und Schöne lässt sich nicht nur in Büchern finden, die wir als „christlich“ klassifizieren. Zudem sind viele der heute als „christlich“ bezeichneten Bücher in Sachen künstlerische Qualität (und zu häufig auch in ihrer Theologie) leider mangelhaft, urteilen die Autoren zurecht (vgl. S. 46–48).

Insgesamt liegt hier ein sehr gutes Buch vor, das ein unterschätztes Thema aufgreift. Da eine Übersetzung in die deutsche Sprache kaum erfolgen wird, da das Buch so stark auf die englische Literatur zugeschnitten ist, kann Pastoren und Jugendleitern nur ans Herz gelegt werden, das hier behandelte Problem z.B. in Vorträgen oder Workshops aufzugreifen und die Gemeinden zu unterweisen. Um zuletzt noch einen ganz praktischen Tipp für jeden zu geben: Geh mit der Frage „Hast du in letzter Zeit irgendein gutes Buch gelesen?“ (vgl. S. 15) in das nächste Treffen mit Freunden. Das wird ein guter Anfang sein, um das Gespräch auf gute Bücher zu bringen.

Mehr hier: www.evangelium21.net.

„Anything goes“ ist eine riskante Devise

Moral ist ein Wort, das keiner mehr hören mag, zuallerletzt in der Literatur. Der israelische Schriftsteller Abraham B. Jehoschua hat die Gründe dafür abgewogen – und für zu leicht befunden. Seiner Meinung nach behandeln die heute dominierenden Massenmedien „moralische Fragen oft oberflächlich, aber äusserst schnell und effizient“. Die Literatur, die viel mehr leisten kann, dürfe sich nicht zurückziehen.

Jehoschua:

Wenn Künstler und Kulturschaffende sich von moralischen Fragestellungen verabschieden und sich stattdessen auf Werterelativismus, Postmodernismus, ethischen Nihilismus oder blosse politische Korrektheit zurückziehen, dann geben sie eine Rolle auf, die bisher in der Kulturgeschichte ebenso wichtig wie geachtet war: eine Rolle, die niemand anderes übernehmen kann.

Hier der bedenkenswerte Text des in Jerusalem geborenen Schriftstellers Abraham B. Jehoschua: www.nzz.ch.

Berliner Suchbilder

Ausgesuchte Geschenke für Familienangehörige und Freunde finden, ist selten ein leichtes Spiel. Falls jemand noch etwas für literarisch Anspruchsvolle sucht, sollte er sich den neuen Prosaband Berliner Suchbilder von Bettina Klix genauer anschauen. Mit ihrer unnachahmlichen Beobachtungsgabe und feinfühligen Sprache ist es der Schriftstellerin gelungen, Begebenheiten in der Großstadt auf liebevolle Weise mit eigenen Erfahrungen zu verknüpfen. Der Verlag schreibt: „Bettina Klix’ ‚Berliner Suchbilder‘ handeln von Unwiederbringlichem und von Überlebenstechniken in einer Nachwende-Stadt, in der es neue Entbehrungen gibt und weniger Möglichkeiten, etwas herbeizuträumen. Ihre kurzen Texte suchen nach dem, was sich meist erst auf den zweiten Blick zeigt, nach dem, was vergessen, verborgen oder überschrieben ist. Die Spurensuche geschieht in Geschäften, auf der Straße, in Kirchen, in Kinos, in Galerien, im Theater, im Jobcenter und in einigen privaten Räumen.“ Entstanden sind wirkliche Suchbilder, die sich oft erst nach mehrmaligen Lesen erschließen und dann nicht nur gefallen, sondern auch verblüffend nachdenklich stimmen. Oft ist es nur ein Satz, der Beschriebenes in ein völlig neues Licht rückt. So erging es mir beispielsweise bei der Schilderung des Tiergottesdienstes in einer Kirche von Berlin-Zehlendorf. Hat dabei auch jemand an die Tiere gedacht, für die das ganze „Event“ nur eine Quälerei war? Bestechend ist die Beschreibung eines Ehepaars in der U-Bahn: „‚Da unsere Wünsche immer verloren gehen …,‘“ sagt die ältere Frau in der U-Bahn gegenüber. Würde jetzt darüber philosophiert werden? Doch nach der vielversprechenden Einleitung wendet sich die Dame, in ihrer großen und teuren Tasche kramend, ihrem Mann zu und setzt fort: ‚… müssen wir die mal aufschreiben!‘ Er nickt brummig, nicht begeistert …“

Meine Lieblingsgeschichte dreht sich um ein wahrscheinlich magersüchtiges Mädchen, das engelsgleich durch den Biosupermarkt meditiert. Wie empfindsam und wohlwollend wird sie doch beschrieben. Zugleich: „Ich hatte sie nicht sofort an der Gestalt oder dem Gang erkannt, sondern an der Geste voller Zärtlichkeit für die kalorienarme Frucht.“

Ich habe die Suchbilder gern im Zug oder vor dem Einschlafen studiert. Es ist schon einige Wochen her. Manche Bilder sind bereits verblasst. Bald kann ich von vorn anfangen. Ich freue mich schon darauf. 

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