Abendmahl

Das Abendmahl als Gnadenmittel

Recht hat James Renihan, wenn er im Vorwort zum Buch The Lord’s Supper as a Means of Grace: More Than a Memory (Christian Focus Publications, 2014, S. 15–16) schreibt: 

Es ist eine merkwürdige Tatsache, dass die schwierigste Frage, über die zur Zeit der Reformation debattiert wurde, nicht die Rechtfertigung allein durch den Glauben oder gar der Platz des Papsttums in der Kirche war. Es ging vielmehr um die Theologie und Praxis des Abendmahls. Leben gingen verloren, viel Blut wurde vergossen und potenzielle Bündnisse scheiterten an Differenzen über die eucharistische Observanz. Romanisten, Lutheraner, Schweizer und englische Reformatoren diskutierten die Frage ausgiebig. Sie waren sich zwar nicht immer einig, aber allein die Tatsache, dass diese Frage für die Theologen der Reformationszeit von zentraler Bedeutung war, sollte uns veranlassen, über ihre Bedeutung nachzudenken. Daraus sollten wir zumindest eines lernen: Das Abendmahl war in den Augen dieser Theologen und Pastoren keine Kleinigkeit, und aus diesem Grund (neben vielen anderen) sollte es für ihre Erben ebenso wichtig sein.

Kann man das von der Kirche des einundzwanzigsten Jahrhunderts behaupten? Wohl kaum. Während die Praxis der Taufe die Christen immer noch in zwei Lager spaltet, erregen Theologie und Praxis des Tisches des Herrn nur selten Aufsehen. Sie ist durch eine Vielzahl von Einflüssen in den Hintergrund gedrängt worden. Das Abendmahl als Gnadenmittel Nur wenige denken über seinen Zweck im göttlichen Plan, seine Nützlichkeit in der Kirche oder seinen Platz im Leben des Gläubigen nach. Man fragt sich, warum die Kirchen das Abendmahl feiern. Für einige ist es nicht mehr als eine Tradition – etwas, das von Generation zu Generation als ein verehrter religiöser Brauch weitergegeben wird. Andere erkennen die offensichtliche Bedeutung des Abendmahls an, halten es aber nur zu besonderen Anlässen und in der Regel in größeren Abständen ab, wenn es ihnen notwendig erscheint. In manchen Fällen wird er ignoriert oder als antiquierter Ritus abgelehnt. Ich habe einmal eine große Kirche besucht, in der die Elemente auf drei oder vier im Saal verstreuten Tischen standen, mit einem Hinweis im Mitteilungsblatt, dass jeder, der das Bedürfnis verspürt, das Abendmahl zu feiern, sich selbst bedienen kann! Leider kann man die meisten Kirchen und Christen heute mit Fug und Recht als gleichgültig gegenüber dem Abendmahl bezeichnen.

Wer hat Recht? Auch wenn wir nicht in die Zeit der Debatten und Spaltungen zurückkehren wollen, müssen wir doch sagen, dass unsere Reformationsväter den Stellenwert und die Bedeutung dieses Abendmahls weitaus besser verstanden haben als die meisten Geistlichen und Gläubigen heute. Sie erkannten, dass es sich um eine göttlich eingesetzte Praxis handelte, die der Kirche zu großem Nutzen gegeben wurde. Als solche verdiente sie eine sorgfältige, genaue Prüfung und Definition. Aus diesem Grund müssen auch wir sowohl über die Theologie als auch über die Praxis des Abendmahls gründlich nachdenken.

Abendmahl – öffentlich oder privat?

Ist das Abendmahl ein öffentliches oder persönliches Mahl? Heinrich Bullinger schreibt (Schriften V, 2006, S.471):

Da nun das Abendmahl des Herrn öffentlich ist und eine heilige Speise für die ganze versammelte Gemeinde, in der das Brechen und Austeilen des Brotes, das Essen und Trinken geschehen und die Gemeinschaft des Leibes und des Blutes Christi erklärt und besiegelt werden soll, so darf das Abendmahl folglich niemandem, ob er gesund oder krank, bettlägerig oder sterbend sei, gereicht werden, sei es nun zuhause oder in der Kirche, und die Gläubigen dürfen das Abendmahl zu solchen persönlichen Zwecken auch nicht verlangen. Denn man darf die Stiftung Christi des Herrn nicht durch menschlichen Beschluss oder Gewohnheit ändern. Paulus fordert eine öffentliche Versammlung der Gemeinde, und zwar eine allgemeine Zusammenkunft, um das Abendmahl recht zu feiern. Er sagt [1Kor 11,20]: »Wenn ihr nun an einen Ort zusammenkommt, so ist es nicht möglich, ein Mahl des Herrn zu essen«, d.h., so esst ihr nicht das Abendmahl. Der Grund ist [1Kor 11,21]: »Denn jeder nimmt beim Essen sein eigenes Mahl vorweg.« Daher will er nicht, dass hier etwas im Stillen geschehe. An derselben Stelle sagt er auch, dass diejenigen zu ihrer Verdammnis Zusammenkommen und das Abendmahl essen, die sich mit dem Essen beeilen und nicht warten, bis alle Gemeindeglieder zusammengekommen sind, und erst dann mit allen gemeinsam essen und trinken. Er sagt [1Kor 11,33f.]: »Darum, meine Brüder, wenn ihr zum Essen zusammenkommt, so wartet aufeinander! Hungert jemand, so esse er daheim« – damit er nicht aus Hunger dazu getrieben wird, vor den anderen zu essen —, »damit ihr nicht euch zum Gericht zusammenkommt.« Somit ist das Abendmahl nicht ein persönliches, sondern ein gemeinschaftliches Mahl, das keiner Einzelperson gespendet werden darf.  

Konfessionsverschiedene Ehen und die Eucharistie

Die Deutsche Bischofskonferenz hat auf der Frühjahrs-Vollversammlung 2018 beschlossen, in Einzelfällen konfessionsverschiedene Ehepaare zur Eucharistie zuzulassen. Im Abschlussbericht heißt es dazu:

Erneut haben wir uns mit dem Thema „Konfessionsverschiedene Ehen und gemeinsame Teilnahme an der Eucharistie“ befasst. Hintergrund ist der hohe Anteil konfessionsverschiedener bzw. konfessionsverbindender Ehen und Familien in Deutschland, bei denen wir eine herausfordernde und dringende pastorale Aufgabe erkennen. In den vergangenen Monaten haben die Ökumenekommission und die Glaubenskommission an einem Dokument gearbeitet, das sich – anknüpfend an die weltkirchlichen und kirchenamtlichen Bezugstexte der vergangenen Jahrzehnte bis hin zu Amoris laetitia – als Hilfestellung versteht, um im seelsorglichen Gespräch die konkrete Situation anzuschauen und zu einer verantwortbaren Entscheidung über die Möglichkeit des Kommunionempfangs des nichtkatholischen Partners zu kommen. Deshalb sind die Personen, an die sich das Dokument richtet, zuallererst die Seelsorger: Ihnen geben wir eine Orientierung für die seelsorgliche Begleitung von konfessionsverschiedenen Ehepaaren, die für sich klären wollen, ob eine gemeinsame Teilnahme an der Eucharistie in der katholischen Kirche möglich ist.

Im nachsynodalen Schreiben Amoris laetitia („die Freude der Liebe“) hat Papst Franziskus im achten Kapitel eine Bemerkung hinterlassen, die zu vielen Diskussionen geführt hat. Er schreibt (AL 305):

Aufgrund der Bedingtheiten oder mildernder Faktoren ist es möglich, dass man mitten in einer objektiven Situation der Sünde – die nicht subjektiv schuldhaft ist oder es zumindest nicht völlig ist – in der Gnade Gottes leben kann, dass man lieben kann und dass man auch im Leben der Gnade und der Liebe wachsen kann, wenn man dazu die Hilfe der Kirche bekommt.

Die Bischofskonferenz nimmt das situationsethische Verständnis dieser Aussage auf und erklärt, dass in Einzelfällen ein schwerwiegendes geistliches Bedürfnis rechtfertigen kann, den evangelischen Ehepartner eines Katholiken zum Tisch des Herrn zuzulassen.

Meines Erachtens wird an dieser Entscheidung deutlich, dass die Betonung des Gewissens und der Subjektivität die eigentlichen Beschwernisse nicht beseitigt, sondern nur verschleiert.

Was meine ich damit? Nun, wenn man die Erklärung genau liest, wird deutlich, dass die Vertreter der Bischofskonferenz davon ausgehen, dass Teilnehmer an der Eucharistiefeier den katholischen Glauben teilen. Der evangelische Ehepartner darf nämlich nur dann zum Tisch des Herrn, „wenn er den katholischen Eucharistieglauben bejaht“. Die Eucharistie ist für die Katholische Kirche der Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens. Im Katechismus heißt es entsprechend: „Die heiligste Eucharistie enthält ja das Heilsgut der Kirche in seiner ganzen Fülle, Christus selbst, das Osterlamm“ (KKK 1324).

Aus katholischer Sicht ist diese Erwartungshaltung, also die Bejahung des katholischen Glaubens, allzu verständlich. Die gemeinsame Feier des Heiligen Mahles setzt ja die Gemeinschaft im Glauben voraus. Aber die theologischen und geistlichen Probleme werden so nicht gelöst. Hinter einer vermeintlich auf Gemeinschaft und Versöhnung abzielenden Praxis verbirgt sich das Einverständnis mit dem katholischen Abendmahlsverständnis. Der Priester, der die Hostie reicht, darf beim Empfänger etwa die Wandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi, den Opfercharakter oder auch die Einbeziehung der in Christus Gestorbenen während der Messe („Wir opfern den für unsere Sünden hingeopferten Christus. Dadurch versöhnen wir den menschenfreundlichen Gott mit ihnen [also den Verstorbenen] und mit uns“ (Cyrill von Jerusalem, catech. myt. 5,10 zitiert aus KKK 1371)) voraussetzen.

Zeit für eine Wurzelbehandlung.

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