Adolph Zahn

Praktische Theologie

Die Predigtweise

Adolph Zahn schreibt über die Art, zu predigen:

Für jeden jungen Prediger liegt die Aufgabe vor, sich eine bestimmte Predigtweise anzueignen. Zunächst muß er die Schwierigkeit erfahren, öffentlich einen Vortrag zu halten. Vor andern laut und deutlich, angenehm und bequem anhörbar zu sprechen, ist in Wahrheit nicht leicht. Ein Redner soll alles sein: eine würdige Erscheinung, ein guter Sprecher, dem Weisheit und Wort zu seiner Rechten steht. Als Prediger des Wortes Gottes soll er dann vor allem noch von der Weihe und Kraft des Heiligen Geistes getragen sein.

Gewöhnlich schadet sich der junge Prediger dadurch für sein ganzes späteres Leben, daß er sich im Anfang seiner Tätigkeit eine schlechte Redeweise auswählt. Er kommt in eine Art des Vortrags hinein, die er nicht wieder los wird und die ihm gleich beim ersten Wort, was er spricht, nachteilig ist und mehr oder weniger die Herzen verschließt. Er schreit entweder, oder deklamiert verkehrt, oder ist bald in der höchsten Höhe, bald in großer Tiefe, redet zu leise oder in falschem Pathos – nun jedermann weiß, was es hier für eine Menge von Fehlern gibt. Auf den Universitäten haben wir ja keine genügende Anleitung für den öffentlichen Vortrag. Diese wichtige Sache ist hier sehr vernachlässigt. Man ist sich und seiner Selbsthilfe überlassen. Anfangs war ich auch in eine ganz wunderliche Redeweise hineingeraten, aber die Notwendigkeit, mit nur kurzer Vorbereitung und sehr oft hintereinander sprechen zu müssen, machte mich natürlich und frei, und das blieb mir für immer. Es wurden mir folgende Sätze wichtig: 1) Der Prediger soll so sprechen, wie er im gewöhnlichen Verkehr redet: einfach, natürlich, ungesucht; 2) er soll nicht meinen, auf der Kanzel einen besondern Ton und Klang suchen zu müssen; nichts ist dem Zuhörer unerträglicher, als Unnatur und Unwahrheit; 3) er meide alles Pathos, wenn er nicht durch die Bedeutung des Gegenstandes und die Wärme seiner Empfindung zu einem Pathos ganz von selbst fortgetrieben wird; Pathos ermüdet den Hörer; 4) er sei in seinen Gestikulationen sparsam und fahre weder über die Höhe des Kopfes hinaus noch greife er allzusehr in die Tiefe; besser wenig oder gar nicht zu gestikulieren, als oben ein bewegliches Zerrbild zu sein. Die tollste Gestikulation, die ich einmal sah, war die, daß der Prediger ganz bis an den Rand der Kanzel hinabtauchte und dann wieder hinaufschnellte. Auch bei den Gestikulationen gibt die natürliche Einfachheit und Wahrheit das rechte Maß und braucht der Prediger nicht vor dem Spiegel seine Studien zu machen.

Bei Licht und Recht (siehe hier) gibt es den empfehlenswerten Beitrag „Aus dem Leben eines reformierten Pastors“ von Adolph Zahn: Aus_dem_Leben_eines_reformierten_Pastors.pdf.

Calvinismus, Theologie

A. Zahn: Sünde im 1. Johannesbrief

Andreas Gramlich macht uns seit Jahren durch Digitalisierungen alte Schätze zugänglich. Vielen Dank!

Zu finden ist bei ihm auch das wunderbare Buch:

Adolf Zahn: Wanderung durch Schrift und Geschichte, 1891

Im Beitrag „Der Begriff der Sünde im 1. Brief des Johannes“ schreibt Zahn:

Vor allem ist zu fragen, was der Apostel unter „Gesetzlosigkeit“ (Luther: Ungerechtigkeit) versteht. Es ist nicht nur der Zustand, in dem jemand ohne Gesetz ist (Gesetzlosigkeit), sondern auch der, in dem jemand gegen das Gesetz ist (Gesetzwidrigkeit). Der „Gesetzlose“ lebt also ohne und gegen das Gesetz. Welches Gesetz aber hält Johannes durch die Sünde verletzt? Einige, wie Ökumenius, Scholastikus II, Beda, de Wette meinen, das allgemeine Sittengesetz, andere, wie Hilgenfeld, das mosaische Gesetz. Über dies Gesetz wird aber in dem Brief nichts gelehrt, sondern es ist die Rede von dem einen Willen Gottes, der in Ewigkeit bleibt, von dem einen Gebot Gottes, darin der Glaube an Jesum Christum und Bruderliebe untereinander geboten wird (2,7; 3,23 usw.), von der einen Botschaft, welche die Menschen Liebe lehrt (3,11), kurz von dem einen Wort, das von anbeginn der Gemeinde gepredigt ist (1,10; 2,5.7.24). Ein in verschiedene Teile zerfallendes Gebot bleibt es doch dasselbe (2,4; 3,23; 5,2-3; cf. 3,24). Diese Gebote werden „nicht schwer“ genannt, weil sie erfüllt werden durch die Liebe, welche das angenehmste und leichteste ist. Dass darin auch „das vor Gott gefällige“ (3,22) enthalten ist, ist klar. Wer dem folgt, der wird mit Gott so verbunden, dass Gott in ihm und er in Gott ist (3,24), und er zugleich die Wahrheit, die höchste Liebe Gottes, Licht, kurz jegliche Erkenntnis der göttlichen Dinge erlangt. Daher wird aus einem Leben nach Gottes Geboten am besten erkannt, dass jemand aus Gott geboren ist (2,3).

Hier: Wanderung_durch_Schrift_und_Geschichte.pdf.

Bücher, Calvinismus, Theologie

Von Gottes Gnade und des Menschen Elend

adolphzahn.jpgFür alle, die auf der Suche nach einem Buch sind, das die reformierte Gedankenwelt lebendig und auf hohem theologischen und schriftstellerischen Niveau vorträgt, gibt es eine gute Nachricht: Der in Bonn beheimatete Theologe Wolf Christian Jaeschke hat im Verlag für Kultur und Wissenschaft eine Sammlung mit Texten von Adolph Zahn nunmehr in einer zweiten Auflage herausgegeben. Das Buch kann derzeit bei der Buchhandlung GENiaLeBuecher.de als Sonderangebot für 35,80 € bezogen werden.

Adolph Zahn (* 28.09.1834 – † 27.02.1900), übrigens ein Vetter Adolf Schlatters, war reformierter Pfarrer in Halle (Domprediger von 1859-1875), Elberfeld (er amtierte als einer von zwei Pfarrern in der reformierten Gemeinde Kohlbrügges von 1876-1877) und Stuttgart (ab 1881).

Seinerzeit als der »klagende Jeremia auf den Trümmern der reformierten Kirche in Deutschland« bezeichnet (vgl. dazu S. 369f.), vereinte er als begnadeter und fleißiger Schriftsteller herausragende theologische Einsichten mit überzeugenden pastoralen Anliegen. Er war »ein Mann sprühenden Geistes, auf hoher Warte stehend und weit hinausblickend, eine Persönlichkeit schärfster Prägung« (Johannes Ninck).

Der Sammelband besteht aus zwei Teilen. Im ersten (S. 45–349) befindet sich eine gut gewählte und gründlich erläuterte Anthologie. Jaeschke entschied sich für Texte um die Schwerpunktthemen Pastorendienst, Schriftauslegung sowie Historische Theologie und bildet damit die Schaffensbreite von Zahns Wirken gut ab.

Jeder Themenschwerpunkt entpuppt sich dem Leser schnell als Schatzkammer. So werden nahezu alle, die selbst im Verkündigungsdienst stehen, von Zahns erstaunlichen seelsorgerlichen Einblicken profitieren, so wie sie im Aufsatz »Empfindungen eines Predigers« niedergeschrieben sind. Exegeten werden überrascht sein von der Tiefe und Qualität der Schriftauslegungen. Zahns Bemerkungen zur Inspirationslehre sind originell, erhellen aber auch, warum historisch-kritisch lehrende Zeitgenossen wie der Bonner Alttestamentler Kamphausen vom »leider unzurechnungsfähigen Adolph Zahn« sprachen.

Erfrischend und höchst beachtenswert sind die Texte aus dem Bereich der historischen Theologie. Obwohl die Beiträge über hundert Jahre alt sind, wird so mancher gelehrte Theologe Überraschungen erleben. Wußten Sie, daß dem Reformator Zwingli in der Nacht vor dem ersten »zwinglianischen« Abendmahl im Traum eine Gestalt erschien und den Predigttext für den darauffolgenden Sonntag offenbarte (nämlich Ex 12,11 – siehe S. 249f.)? All jene, die sich mit den Positionen der Charismatischen Bewegung auseinandersetzen, werden zweifellos gewinnbringend Zahns Aufsatz über »Das inwendige Wort« lesen. Interessant außerdem, daß der Altcalvinist Zahn sich nicht für den »optimistischen Amillenniarismus« Calvins, sondern den »pessimistischen« Luthers stark machte.

Aber damit nicht genug. So fesselnd der erste Teil des Buches ist, im zweiten (S. 373–589) – obwohl Anhang genannt, eigentlich viel mehr als das – erörtert der Herausgeber den kultur- und theologiegeschichtlichen Kontext, in dem Zahn wirkte, auf souveräne und überaus horizonterweiternde Weise. Dem Leser kommt es vor, als ob bei der Weitung des Blickes A. Zahn aus dem Fokus gerät und man ihn trotzdem – weil im Zusammenhang sehend – noch besser verstehen lernt.

Im Anhang A widmet sich Jaeschke den theologiegeschichtlichen Fronten, zwischen denen Zahn in der Hochzeit des Liberalismus stand. Als Grundlage dafür steht Zahns Abriss einer Geschichte der evangelischen Kirche auf dem europäischen Festlande im neunzehnten Jahrhundert, das, obwohl weitaus weniger bekannt als Karl Barths Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, durchaus mit diesem vergleichbar ist. Im Anhang B–F untersucht Jaeschke die Besonderheiten des »Zahnschen Calvinismus«. Der Leser wird hineingenommen in wichtige theologische Auseinandersetzungen, wie z.B. in die um die Lehre der Heiligen Schrift und der Rechtfertigung. Eingehend entfaltet der Autor die Lehrunterschiede zwischen Lutheranern und Reformierten (S. 489–523). Die Erläuterungen zur Eschatologie Zahns fallen so umfangreich aus, daß man sie gut als kurze Einführung in christliche Endzeitmodelle lesen kann.

Abgeschlossen wird das Buch mit Quellennachweisen, einem Abkürzungsverzeichnis und einem Namensregister, das die Erschließung des Werkes erheblich vereinfacht.

Wolf Christian Jaeschke verfügt über profunde Kenntnisse der reformierten Theologie und kann diese auf packende und anregende Art vermitteln. Das Buch ist sicher teuer, gibt aber mehr als es verspricht. Es ragt weit aus der unüberschaubaren Masse der theologischen Publikationen heraus. An der Qualität dieses Sammelbandes sollten sich theologische Neuerscheinungen unserer Zeit messen lassen.

Adolph Zahn. Von Gottes Gnade und des Menschen Elend: Ein Querschnitt durch das Werk eines faszinierenden Verfechters einer vergessenen Theologie. Hrsg. von Wolf Christian Jaeschke. Verlag für Kultur und Wissenschaft: Bonn, 2001, Paperback, 603 S., 42,00 €. ISBN 3-932829-27-1.

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Die Rezension erschien in ähnlicher Form in: Bibel & Gemeinde, 2001/1.

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