Esoterik

Spirituelles Woodstock

Fernsehpfarrer Fliege kommt mit einer Veranstaltungsreihe nach Bad Wörishofen – und bringt TV-Koch Schuhbeck, Anselm Grün und eine Horde Geistheiler mit. Die Hoteliers rufen Hosianna. Die Stadt ist aber gar nicht begeistert.

Flieges viertägige Veranstaltung ist eine Art Esoteriker-Treff und Messe mit christlichen Elementen. Die Dauerkarte für alle Veranstaltungen kostet 201,30 Euro. Es gibt durchaus unverfängliche Programmpunkte: Beim Eröffnungsabend am Donnerstag sprach Pater Anselm Grün über »Spiritualität als Weg in die Heimat«, an diesem Freitag berichtet Starkoch Alfons Schuhbeck über »Kneipps Gesundheitslehre«. Andere Angebote klingen abstrus bis unseriös, allen voran die »Nacht der Heiler«. Wer bei diesen »Gruppensitzungen mit alternativen Heilmethoden« dabei sein will, muss 35 Euro extra bezahlen. Laut Fliege liegen etwa 700 Anmeldungen vor.

Hier der Artikel von Stefan Mayr: www.sueddeutsche.de.

Die Über-Ich-AG von Jürgen Fliege

Niemand hat den Glauben so konsequent zum Geschäftsmodell ausgebaut wie der Ex-Fernsehpfarrer Jürgen Fliege (und wohl so manch andere Prediger einer esoterischen Selbsterlösung).

Fliege ist heute Herausgeber der nach ihm benannten Zeitschrift und produziert eine nach ihm benannte Talkshow, die in einigen Regionalfenstern zu sehen ist. Er schickt Leute mit Fliege-Reisen in die Türkei und bittet sie um Spenden für die Stiftung Fliege. Er lässt Menschen in seiner Online-Kirche unter fliege.de virtuelle Kerzen anzünden und vermietet sich selbst als Coach, Referent, Seminarleiter. Kurzum: Er bietet Lebenshilfe aus erster und einer Hand an, geleistet von der Über-Ich-AG Jürgen Fliege.

Fliege sagt: »In den USA ist es gang und gäbe, mit Religion Geschäfte zu machen, mit Medizin wird doch auch ein Geschäft gemacht«, und bei ihm kommt nun alles zusammen: der Glaube, die Medizin, das Geschäft. Leute kämen im Lokal aus zwei Gründen an seinen Tisch. Wenn sie ein Autogramm haben wollten – oder um ihm ihre Krankengeschichte zu erzählen. Weshalb sich ihm Fragen stellen: Warum kommen sie immer noch, die Menschen, und, vor allem: Was kann er ihnen anbieten?

Das Warum sieht Fliege im Versagen der Kirchen und »wo die Kirchen versagen, da wachsen die Sekten«. Ein ICE am Tag verlasse die Kirche, sagt er: »1000 Leute. Daraus rekrutiere ich, ich bediene erlebbare Frömmigkeit, nicht geglaubte.« Oder anders: »Esoterik ist eine riesige Macht.«

Hier der vollständige Artikel der SZ: www.sueddeutsche.de.

Pfarrer Fliege, der Esoteriker

DIE WELT hat inzwischen auch bemerkt, dass Pfarrer Fliege kein Prediger des Evangeliums, sondern ein Vollblutesoteriker ist.

Wer bei all dem Hokuspokus darauf gehofft hatte, in Jürgen Fliege eine Stimme der Vernunft zu finden, die den Menschen rät, ihr Geld nicht zu Zauberern zu tragen und mit einer Warze zum Hautarzt zu gehen, der wurde bitterlich enttäuscht.

Fliege stellte sich immer wieder auf die Seite der paranormalen Dienstleisterinnen. Auch wenn sie nichts taten als mit ihren vagen Vorhersagen im Nebel zu stochern und mit ein wenig Menschenkenntnis auf jede noch so kleine Bestätigung sofort anzuspringen, zeigte sich der Theologe beeindruckt von ihrer »Trefferquote«.

Fliege, der »ein halbes Jahr nur getrommelt hat, um herauszufinden, ob es Geister gibt«, offenbarte in der Sendung, dass er nur ein esoterisch veranlagter Fernsehclown ist, der auch irgendwann einmal ein richtiger Pfarrer gewesen sein soll.

Heute betreibt er eine Webseite , die er seine Internetkirche nennt, und bewirbt dort unter anderem Astrologie, Energiearbeit, Heiler und Nummerologie. Wer das alles aber für unchristlichen Unfug hält und es eher traditionell mag, der kann dort eine virtuelle Kerze anzünden, die »ihr Gebet zum Himmel trägt.«

Fliege jedenfalls fand es legitim, auf der Suche nach Antworten und Hilfe zu Hellsehern zu gehen. Mit seiner christlich verbrämten Esoterik war Fliege nicht allein. Er hatte Verstärkung in Gestalt von Alexa Kriele, die behauptete, mit Engeln Kontakt aufnehmen zu können und deren Botschaften für Normalsterbliche zu übersetzen.

Hier der Artikel: www.welt.de.

Erleuchtung durch integrale Spiritualität?

Nicht nur die Theorie der Spiral Dynamics von Don Beck und Chris Cowan genießt in Emerging Church-Kreisen hohes Ansehen, auch Ken Wilber ist mit seiner integralen Spiritualität ein einflussreicher Impulsgeber für namhafte Repräsentanten des emergenten Christentums (z.B. für Brian McLaren und Rob Bell).

Wilbers Arbeiten erinnern stark an eine philosophia perennis, die diejenigen Grundwahrheiten zusammenfassen will, die allen Völkern und Religionen eigen sind. Beim Lesen einiger seiner Texte hatte ich zuweilen den Eindruck, man könnte das »emergente Evangelium« als eine christliche Lesart seiner esoterischen Selbsterlösungslehre auffassen. Kurz: Kann man das »emergente Evangelium« in die evolutionäre Bewusstseinsphilosophie von Wilbers rückübersetzen? (Natürlich gibt es das emergente Evangelium nicht. Ich verwende diesen Namen als unscharfe Metapher.)

Hier ein Zitat aus dem Vortrag »Was ist integrale Spiritualität?« (S. 51–52), indem Ken Wilber eine westlich-christliche Variation der Erleuchtung beschreibt (er hätte auch eine östlich-zen-buddhistische wählen können):

Nehmen Sie eine Erfahrung des subtilen Zustandes von intensivem inneren Licht, begleitet von einem Gefühl von universeller Liebe. Sagen wir, diese Person ist westlich und christlich, so dass der linke untere Quadrant (der auch intensiv daran beteiligt ist, den Kontext für die Interpretationen zu liefern) diese Erfahrung von innerem Licht als Begegnung mit Jesus Christus (oder dem Heiligen Geist) darstellt. Diese Erfahrung des subtilen Bereiches kann auf nahezu jeder Stufe vorkommen – der magischen, mythischen, rationalen, pluralistischen oder integralen – aber in jedem Fall wird sie entsprechend den grundsätzlich begrenzenden Prinzipien der Stufe interpretiert. Deshalb (um einige schnelle und stilisierte Beispiele zu geben) wird auf der magischen Stufe Jesus als personaler Retter erfahren, der auf magische Weise die Welt ändern kann, um all meine Wünsche und Ziele zu erfüllen. Jesus als Magier verwandelt Wasser in Wein und speist 5000 Menschen mit fünf Broten und zwei Fischen, geht auf dem Wasser (wir sprechen nicht von dem ontologischen Gehalt dieser Interpretationen, wenn es ihn gibt. Jesus kann auf dem Wasser gegangen sein oder nicht, aber auf dieser Stufe ist es das, was mir am meisten bedeutet). Die Stufe ist prä-konventionell und egozentrisch, dieser Jesus liebt daher nur mich. Auf der nächsten, der mythischen Stufe, wird die gleiche Form der subtilen Energie vielleicht interpretiert als Vereinigung mit Jesus, dem Überbringer der Ewigen Wahrheit. Diese Stufe ist absolutistisch in ihrem Glauben, so dass du das Wort entweder genauso glaubst, wie es geschrieben steht, oder du wirst für immer in der Hölle schmoren. Diese Stufe ist auch ethnozentrisch, so dass nur die, die an Jesus Christus als persönlichen Erretter glauben, errettet werden können. Auf der nächsten Stufe, der mental-rationalen, wird Jesus zu einer vermenschlichten Figur, immer noch völlig göttlich und völlig menschlich, aber nun völlig menschlich in einer glaubhafteren Weise, als ein Lehrer der universellen Liebe eines deistischen Gottes (der die Principia Mathematica gelesen hat und weiß, wo die Grenze zu ziehen ist). Weil diese Stufe der Beginn der postkonventionellen und weltzentrischen Stufen ist, ist dies auch die erste Stufe der Entwicklung, die Erlösung durch Jesus Christus finden kann, aber auch erlaubt, dass andere möglicherweise ebenfalls dieselbe Erlösung auf einem anderen Weg finden können.

Der vollständige Vortrag von Ken Wilber kann in einer deutschen Übersetzung hier herunter geladen werden: Ken_Wilber_-_Was_ist_integrale_Spiritualitaet__IF_UEbersetzung.pdf.

Brauchen wir einen Kulturevangelikalismus?

zeitgeist_kl.jpgVor wenigen Wochen ist ein neues Buch mit emergentem Gedankengut erschienen. Die deutschsprachige Publikation ist keine Übersetzung aus dem Amerikanischen, sondern wurden von insgesamt 26 in Deutschland lebenden Autoren verfasst. Der wunderschön gestaltete Sammelband enthält insgesamt 37 Beiträge und ist beim Francke Verlag erschienen:

  • Tobias Faix & Thomas Weißenborn (Hg.), Zeitgeist: Kultur und Evangelium in der Postmoderne, Marburg: Francke, 2007,
    12,95 EUR.

Da ich gern wissen wollte, ob (und wie) sich die Emerging Church-Szene hierzulande von der in den U.S.A. unterscheidet, habe ich die Publikation gelesen. Eine Rezension kann hier heruntergeladen werden: zeitgeist.pdf.

Redet Gott durch Farben?

In den vergangenen Jahren erschienen unüberschaubar viele Bücher zum Thema Privatoffenbarungen. Uns wird darin geradezu auf­dringlich vermittelt, wir könnten Gott schmecken, riechen, spüren, in­wendig hören oder sehen. Jetzt werden uns auch Seminare angeboten, in denen wir lernen können, Gottes Willen durch Farbfragmente zu erkennen.

Natürlich wird in den einschlägigen Abhandlungen beständig darauf verwiesen, dass das inwendige Reden Gottes mit der Bibel zu prüfen sei. Dabei weiß jeder, dass Gott uns in seinem Wort weder den Namen des Ehepartners nennt, noch uns über die Entwicklungen am Aktienmarkt aufklärt. Da umgekehrt Privatoffenbarungen (glücklicherweise) die in Je­sus Christus unüberholbar abgeschlossene Offenbarung selten berühren, bleibt die Prüfung meist ein Akt der Willkür.

Nehmen wir ein Beispiel aus einem Ge­betsseminar. Zwei Teilnehmer erkennen die Farbe rot. Rot sagt einem dritten Beter etwas, denn das ist die Farbe seiner Firma, die in einer Krise steckt. So fühlt der Dritte sich ermutigt, da er nun weiß, dass er von Gott wahrgenommen wird.

Das Beispiel ist hochproblematisch. Erstens hätte der Betroffene auch durch die einfache Bibellektüre auf den Gedanken kommen können, dass Gott ihn wahrnimmt. Zweitens transportieren Farben keine inhaltlichen bzw. sprachlichen Botschaften, sie haben nur eine Signalwirkung. Die Entschlüsselung des Farbsignals bleibt deshalb eine rein subjektive Ange­legenheit. Der Mann hätte das Farbsignal durchaus auch in dem Sinn in­terpretieren können, dass Gott die sofortige Schließung des Betriebes er­warte. Es wäre ja denkbar, dass die Farbe nicht nur für eine Firma, son­dern auch für Rotlicht »offenbart« worden wäre?

Meines Erachtens lässt sich allerdings herausfinden, ob das von den Se­minarleitern vorgeschlagene Verfahren zur Gewinnung geistlicher Er­kenntnis durch das Wort Gottes legitimiert werden kann. Orientieren wir uns dabei an einer klassischen und schlichten Regel der Reformatoren. Sie haben zurecht herausgearbeitet, dass wir unser Leben vor Gott durch das gestalten sollen, was die Bibel gebietet, verheißt oder in Beispielen wiedergibt (z.B. Lutherische Apologie, XXI). Wo in der Bibel finden wir Gebot, Verheißung oder Beispiel dafür, dass Gott seinen Willen durch Farben offenbart?

Ich gehöre nicht zu den Christen, die prophetische Geistesgaben auf die Zeit vor der Fertigstellung des neutestamentlichen Kanons beschrän­ken und halte es für möglich, dass Gott sich uns auf diese oder jene Weise klar verständlich mitteilt. Aber als Seelsorger beob­achte ich zunehmend, wie Christen aufgrund diffuser Eindrücke oder Impulse schwerwiegende Fehlentscheidungen treffen. Die Anleitung zu ihrem Unglück haben sie meist aus frommen Bücherstuben. So manch kleiner Katastrophe könnten wir vorbeugen, würden wir unsere Sinne lieber durch feste Speise und einen vernünftigen Gottesdienst üben (vgl. Hebr 5,14 u. Röm 12,1-3). Anstatt ein esoterisches Christentum zu propa­gieren, sollten verantwortliche Leiter und Lehrer (und Verlagsleiter) bei Augustinus in die Schule gehen (auch wenn er in New Perspective-Kreisen derzeit einen schlechten Ruf hat). Der Kirchenvater, der sich ja bekanntlich übernatürlichen Erfahrungen nicht verschlossen hat, gab Deogratias fol­genden Rat mit auf den Weg: „Freilich müssen wir … von solchen Wun­derzeichen und Traumbildern auf den festen Pfad und die glaubwürdi­geren Weissagungen der Heiligen Schrift lenken“ (Vom ersten katecheti­schen Unterricht II, 10).

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