Evangelikale

Francis Schaeffer und die Krise des Evangelikalismus (Teil 4)

2005-03-26c.jpgEines der großen Vermächtnisse von Francis Schaeffers war es, uns zu zeigen, dass »Ideen Konsequenzen haben« und wir die Geistes- und Kulturgeschichte kennen müssen, um die Gegenwart zu verstehen. Schaeffer lehrte, dass wir ohne Kenntnis der Heilige Schrift und ohne Vertrautheit mit der Kulturgeschichte nicht in der Lage sind, gegenwartsrelevant zu leben und die Menschen mit dem Evangelium zu erreichen. So mahnte er eindringlich, die Genealogie des existentialistischen und konstruktivistischen Wahrheitsverständnisses wahrzunehmen. Schon im Jahre 1968 schrieb er:

Die heute zwischen den Generationen aufgebrochene Kluft ist zum größten Teil durch einen Wandel im Wahrheitsverständnis entstanden. Wo immer wir hinschauen, herrscht dieses neue Verständnis vor. Es umgibt uns als ein nahezu fugenloser Meinungsblock auf allen Gebieten, sei es in den Künsten, in der Literatur oder auch nur beim Lesen von Zeitungen und Wochenschriften, wie Spiegel, Weltwoche, Welt am Sonntag, Sunday Times, L’Express de Paris, Elsevier’s Weekblad und anderen mehr. Von allen Seiten her spüren wir den Würgegriff einer neuen Methodologie – und mit Methodologie meinen wir die Art und Weise, wie wir an Wahrheitserkenntnis und Wissen herangehen. Es ist erstickend wie der dichteste Londoner Nebel! Und sowenig sich der Nebel durch Wände und Türen abhalten läßt, so wenig können wir uns der vorherrschenden Meinung entziehen. Das geht so weit, daß wir in unseren eigenen vier Wänden nicht mehr klar sehen und uns doch nicht erklären können, was eigentlich geschehen ist. Die Tragik unserer heutigen Situation liegt darin, daß die neue Einstellung zur Wahrheit Männer und Frauen in ihren Lebensgrundlagen erschüttert hat, ohne daß sie sich jemals Rechenschaft über den neuen Kurs gegeben haben. Die jungen Menschen werden zunächst im Rahmen des alten Wahrheitsverständnisses erzogen. Dann geraten sie unter den Einfluß der modernen Auffassung. Mit der Zeit werden sie unsicher, weil sie die ihnen vorgelegte Alternative nicht durchschauen. Diese Unsicherheit führt zu Verwirrung und bald zu einem inneren Zerbruch – unglücklicherweise nicht nur bei jungen Menschen, sondern auch bei vielen Pfarrern, Lehrern, Evangelisten und Missionaren. So ist, wie ich meine, die veränderte Auffassung über den Weg, der zu Erkenntnis und Wahrheit führt, das entscheidende Problem, das sich der Christenheit heute stellt.

Doch Schaeffer war kein pessimistischer Nörgler oder ein weltfremder Experte. Er bejahte das Leben und zeigte den Menschen, dass sie wertvoll und wichtig sind. Der Mann, der sich so sehr für die großen Zusammenhänge interessierte, bemühte sich leidenschaftlich darum, für jeden einzelnen Nächsten eine geistliche Perspektiven zu entwickeln. Udo Middelmann schreibt:

Schaeffers Bereitschaft, mit und über die Bibel zu diskutieren, entsprang der Entdeckung, dass man ihrem Wahrheitsgehalt vertrauen kann. Dazu kamen seine Freude an Menschen und sein Respekt für sie. Er sah nicht die Masse, sondern den Einzelnen. Er sah nicht Bedürftige, sondern Individuen, die eine Antwort auf die verwirrenden Lebensfragen brauchten. Bei Schaeffer gab es keine kleinen Leute, sondern nur Männer und Frauen im Ebenbild Gottes. Das heißt nicht, dass er sich nicht manchmal über einen Menschen ärgerte, sondern dass er nie über Fragen und Situationen schockiert war, mit denen Menschen ihn konfrontierten. Für ihn waren sie alle Menschen aus Fleisch und Blut, neugierig und begabt und mit mehr oder weniger Mut zum Leben.

Schaeffer nahm einfühlsam wahr, dass es in der Welt um uns herum auch gute Gründe dafür gibt, kein Christ zu sein. Ohne die Bibel ist die Welt in vielen Bereichen um uns ein verwirrendes Durcheinander. Wenn die Welt um uns herum so von Gott gemacht oder gewollt ist, existiert er entweder gar nicht oder er ist ein Monster. Nur die Bibel kann eine treffendere Erklärung der Realität und der Geschichte, des Schöpfers und seines Einsatzes für unsere Erneuerung vorweisen. Schaeffer ging immer von der jetzigen Unzulänglichkeit aus und freute sich über das, was dennoch in einer gefallenen Welt bewirkt werden kann.

Nun der Link auf den vierten Mitschnitt der Vorlesung »Watershed of the Evangelical World«: www.youtube.com und ein kurzer Videoclip aus dem Jahre 1982. Schaeffer hatte sich damals bereits von der Evangelikalen Bewegung entfremdet und war von seiner schweren Krankheit gezeichnet.

Schließlich der Hinweis auf einen Artikel aus dem World Magazin über 50 Jahre L’abri: www.worldmag.com.

Francis Schaeffer und die Krise des Evangelikalismus (Teil 2)

E&F.jpgHier ist der Link auf den zweiten Mitschnitt der Vorlesung »Watershed of the Evangelical World«: www.youtube.com.

Ein Outline zum Vortrag gibt es hier: E384.pdf. Für Leute, die sich lieber auf Deutsch mit dem Thema auseinandersetzen möchten, existiert eine PDF-Datei des Buches:

  • Francis Schaeffer, Die große Anpassung: Der Zeitgeist und die Evangelikalen, Bielefeld: CLV, 1998

auf dem Server des CLV Verlages zum freien Download.

Francis Schaeffer und die Krise des Evangelikalismus (Teil 1)

fs.jpgAls ich vor einiger Zeit im Rahmen einer Apologetikvorlesung den Namen »Francis Schaeffer« erwähnte, löste das bei den Studenten und bei mir sichtbar Ratlosigkeit aus. Eine Vertrautheit mit Schaeffers Thesen durfte ich bei den jungen Leuten in den Zwanzigern nicht erwarten, da seine Bücher auf Deutsch nur noch antiquarisch oder in guten Bibliotheken zu haben sind. Was mich schockierte, war die Tatsache, dass keiner den Namen »Schaeffer« bisher bewusst wahrgenommen hatte. Stundenlang sprachen wir über typische »L’Abri-Fragen« und thematisierten die Spannung zwischen der Kultur der Christen und der Kultur der Welt. Doch die Studenten, die übrigens großes Interesse signalisierten und bei den Autoren der »Emerging Church« recht gut bewandert waren, hatten, von Schaeffer noch nie etwas gehört.

Wer sich heute am Diskurs über gegenwartsnahes und auf Gemeindeferne ausgerichtetes Christsein beteiligt, sollte das Werk von Francis und Edith Schaeffer und ihrer Mitarbeiter kennen. Schaeffer hat die Krise der Gegenwart auf sehr tiefgründige Weise durchschaut und bedeutsame Impulse für ihre Überwindung vermittelt. Die »L’Abri-Fellowships« haben bei der Entwicklung kulturrelevanter Glaubensstile Pionierarbeit geleistet und vorgelebt, dass Christen gesunde reformatorische Lehre mit einer aufrichtigen Liebe für verlorene Menschen verbinden können.

Schaeffer starb 1984 nach langer Krankheit. In seinen letzten Lebensjahren erinnerte er an den klagenden Jeremia. Er war erschöpft und besorgt. Die schleichende Entertainisierung der Evangelikalen Bewegung hielt seiner Meinung nach die Christen davon ab, auf ernste Fragen seriöse Antworten zu geben. Die an den evangelikalen Ausbildungsstätten fortschreitende Relativierung der Schriftautorität hielt er für eine Tragödie mit vorhersehbaren Folgen. Schaeffer sah betroffen, dass die Verkündigung zu oft nicht durch einen heiligen und barmherzigen Lebensstil gedeckt war. Und es quälte ihn, dass so viele Gläubige auf die großen ethischen Herausforderungen mit dem Rückzug in das bequeme Privatleben oder dem Aufbau »seliger Inseln« reagierten. Betend und sorgenvoll rief er der Gemeinde zu, auf die Heilige Schrift zu hören und den Gehorsam in der Lehre durch ein entsprechendes Leben zu dokumentieren.

Ich werde in den nächsten Tage einige Vortragsmitschnitte von Francis Schaeffer verlinken, die etwas von seiner Sorge vermitteln.

Für Interessierte, die sich gern in deutscher Sprache mit dem Leben und Werk von Francis Schaeffer beschäftigen möchten, könnte das Buch:

  • Ron Kubsch (Hg.), Wahrheit und Liebe: Was für von Francis Schaeffer für die Gegenwart lernen können, Bonn: VKW, 2007

ein guter Einstieg sein.

Eine kleine Bibliografie zu Schaeffer kann hier herunter geladen werden: schaeffer_bibliografie.pdf.

Das ist der erste Link auf einen Mitschnitt der Vorlesung »Watershed of the Evangelical World«: www.youtube.com. Ein Outline gibt es hier: E384.pdf.

Review of Grazy for God

Douglas Groothius hat eine Rezension über Grazy for God geschrieben, die einige der Fragen beantwortet, die Frank Schaeffers Buch aufwirft. Meines Erachtens trifft Douglas, der mit der komplexen Persönlichkeit »Frank« vertraut ist, sowohl Stärken als auch Schwächen der »Abrechnung«.

Frank – für seinen Zynismus bekannt – erklärt seinen Abschied vom Evangelikalismus übrigens mit Worten, die mir bekannt vorkommen.

Ich denke, ich hatte ein Problem damit, ein Evangelikaler zu bleiben, weil sich die evangelikale Gemeinschaft veränderte. Es waren die Zusammenführung des Unterhaltungsgeschäfts mit dem Glauben, die flapsig leichte, kitschige Hässlichkeit des amerikanischen Christentums, die schiere Dummheit, die Paranoia der amerikanischen Rechten, die mit der Popkultur verheirateten Platitüden, all das . . . war es, was mich verrückt machte.

Ähnliche Gedanken gehen auch mir ab und zu durch den Kopf und ich meine, diese Worte geben die Stimmung der jungen Leute adäquat wieder, die so wie bisher nicht mehr weitermachen wollen.

Brauchen wir einen Kulturevangelikalismus?

zeitgeist_kl.jpgVor wenigen Wochen ist ein neues Buch mit emergentem Gedankengut erschienen. Die deutschsprachige Publikation ist keine Übersetzung aus dem Amerikanischen, sondern wurden von insgesamt 26 in Deutschland lebenden Autoren verfasst. Der wunderschön gestaltete Sammelband enthält insgesamt 37 Beiträge und ist beim Francke Verlag erschienen:

  • Tobias Faix & Thomas Weißenborn (Hg.), Zeitgeist: Kultur und Evangelium in der Postmoderne, Marburg: Francke, 2007,
    12,95 EUR.

Da ich gern wissen wollte, ob (und wie) sich die Emerging Church-Szene hierzulande von der in den U.S.A. unterscheidet, habe ich die Publikation gelesen. Eine Rezension kann hier heruntergeladen werden: zeitgeist.pdf.

Was bedeutet es, ›evangelikal‹ zu sein?

Das amerikanische Touchstone Magazine hat einflußreiche protestantische Theologen in den U.S.A. nach dem Wesen des Evangelikalismus befragt. Abgefragt wurden unter anderem eine Begriffsdefinition, wahrgenommene Veränderungen seit den 50er Jahren sowie die gesellschaftliche Relevanz der Bewegung.

Die Antworten von Russell Moore, John Franke, Darryl Hart, Michael Horton, David Lyle Jeffrey, und Denny Burk stützen meine Behauptung, dass der traditionelle Evangelikalismus inzwischen erschöpft ist.

Das Ergebnis der Befragung wurde (in Englisch) online publiziert und kann hier heruntergeladen werden: http://touchstonemag.com.

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