Frauke Brosius-Gersdorf

Das christliche Menschenbild bildet den ethischen Kern

Auch Thomas Söding, katholischer Neutestamentler, hat auf den Beitrag von Friedrich Wilhelm Graf reagiert und eine Form des Naturrechtsdenkens gegen ihn verteidigt (FAZ, 11.08.2025, Nr. 184, S. 11). Er schließt sich der Sichtweise von Ernst-Wolfgang Böckenförde an: „Der Rechtsstaat verleiht die Menschenwürde nicht, sondern garantiert sie. Er hat keine Definitionshoheit über sie, sondern muss sich auf Normen und Werte, auf Überzeugungen und Argumente beziehen, die seine Gesetze begründen und deren Befolgung mit Leben erfüllen.“ 

Auch darin stimme ich ihm zu:

Das „christliche Menschenbild“ ist der ethische Nukleus. Die biblische Anthropologie spannt von der Erschaffung über die Versuchung bis zur Vollendung des Menschen, vom Sündenfall bis zur Vergebung, von den Klageschreien bis zu den Seligpreisungen einen universalen Spannungsbogen, der jeden Rassismus, jeden Nationalismus, jeden Darwinismus in die Schranken weist. Es ist eine uralte Tradition, das Menschsein nicht an Eigenschaften festzumachen, nicht an Intelligenz, Status, Geschlecht oder Religion, sondern am Menschsein selbst, theologisch: an der Bejahung durch Gott, der Leben schenkt und erhält.

Diese Glaubensüberzeugung muss in den Kirchen – durch Theologie – immer wieder bedacht und vermittelt werden; die Gesellschaft hat darauf einen Anspruch, die Politik profitiert davon. Wenn dies geschieht, sind die Kirchen ein konstruktiver Faktor im Aufbau des politischen Gemeinwesens. Deshalb liegt es im Eigeninteresse des demokratischen Rechtsstaates, Religionsfreiheit zu garantieren – nicht nur den Kirchen. Die Option für die Armen, die Solidarität mit den Leidenden, die Hoffnung für die Toten sind nicht exklusiv, aber positiv christliche Orientierung, die sozialethische Kraft entwickelt und dadurch auch das Recht beeinflusst, vom Recht auf Leben bis zur Sozialpflichtigkeit des Eigentums.

In derselben Konsequenz kann es aber auch Abgeordneten nicht verwehrt werden, sich bei parlamentarischen Abstimmungen in Gewissensfragen auf das zu beziehen, was ihnen ihr Glaube sagt. Der Schutz des ungeborenen Lebens war, ist und bleibt der empfindlichste Punkt, an dem der Staat seine Aufgabe zu erfüllen hat, die Menschenwürde zu schützen und Rechtsfrieden zu garantieren.

Das Grundgesetz ist nicht gottgegeben, sondern „im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen“ vom Souverän erlassen, dem „Deutschen Volk“. Diese Verantwortung zu deuten, ist die Aufgabe der Rechtswissenschaften, ihr zu entsprechen, die der Legislative wie der Exekutive, sie zu sichern, die der Rechtsprechung. Die Aufgabe der Theologie ist es nicht, sich aus dem öffentlichen Diskurs der Politik und der Jurisprudenz zurückzuziehen, sondern nachzuweisen, dass und wie die Kirchen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit fördern, die Menschenwürde verteidigen, die Menschenrechte begründen, der Gerechtigkeit dienen und gleichzeitig helfen, die Versuchung der Überhöhung politischer Macht zu bestehen.

Die aktuelle Debatte um das „Naturrecht“

Nach Auffassung des sogenannten Rechtspositivismus gilt als Recht allein das, was der Gesetzgeber als solches verabschiedet hat. Eine Beurteilung des Rechts an moralischen Maßstäben verbietet sich in rechtspositivistischen Gesellschaften, weil es keine einheitlichen Moralvorstellungen gibt. Kurz: Jegliches Recht ist von Menschen gemacht.

In Abgrenzung zu diesem Rechtspositivismus vertritt das Naturrecht, dass Recht und Moral nicht so einfach voneinander getrennt werden können. Etwas ist Recht oder Unrecht, weil es uns mit der Natur gegeben ist. Die Natur lehrt demnach gewisse Dinge. Zum Beispiel lehrt sie uns (oder – reformatorischer gesprochen: Gott lehrt durch seine Schöpfung), dass Menschen sterblich sind. Oder Eltern die Kinder wegzunehmen, ohne das es dafür schwerwiegende Gründe gibt, ist Unrecht – egal was das positive Recht dazu sagt. Alle vom Menschen gemachten Gesetze müssen an der Moral gemessen werden. Nur Gesetze, die diesen moralischen Ansprüchen genügen, können den Anspruch erheben, befolgt zu werden. So waren viele Gesetze der Nationalsozialisten – etwa die Rassengesetze – objektives Unrecht.

Der Philosoph Robert Spaemann (1927–2018) hat einmal gesagt („Warum gibt es kein Recht ohne Naturrecht?“, in: Hanns-Gregor Nissing (Hg.), Naturrecht und Kirche im säkularen Staat, 2016, S. 27–34, hier S. 27, ich habe das alles schon mal hier dargelegt):

Nach den grauenhaften Tyranneien des 20. Jahrhunderts ist der Rechtspositivismus eigentlich kaum zu retten. Er ist eine Schönwettertheorie. Er entzieht der Verurteilung von Staatsverbrechen jede objektive Grundlage. Wenn der Wille des Gesetzgebers an keinen ihm vorgegeben Maßstab des Richtigen und des Falschen, des Guten und des Schlechten gebunden ist, und wenn die Verkündigung im Gesetzblatt eines Staates die höchste Legitimation der Gesetze ist, dann kann es keine Rechtfertigung geben, die den Bürger auf irgend eine Weise im Gewissen binden kann.

Trotz dieses offensichtlichen Problems (und der dramatischen Entwicklungen im Dritten Reich) hat sich in Deutschland der Rechtspositivismus durchgesetzt. Professor Dr. Klaus Ferdinand Gärditz (Friedrich-Wilhelms Universität Bonn) erklärte zum Beispiel kürzlich in „Für den Stammtisch ungeeignet“ (FAZ, 31.07.2025, Nr. 175, S. 6) anlässlich der Auseinandersetzung um Frauke Brosius-Gersdorf:

Die große Leistung positiver Grundrechte besteht nicht darin, angeborene Rechte zu garantieren. Anachronistisches Naturrechtsdenken spielt im gegenwärtigen Staatsrecht aus gutem Grund keine Rolle mehr. Grundrechte ordnen nicht die Welt manichäisch in Gutes und Schlechtes. Sie verteilen vielmehr Argumentationslasten und rationalisieren den politischen Umgang mit allgegenwärtigen Freiheitskonflikten. Grundrechtsdogmatisch gibt es zunächst einmal nichts per se Verbotenes. Was nicht durch verfassungskonforme Regelung verboten ist, bleibt erlaubt. Grundrechte zwingen daher den Staat zur qualifizierten Rechtfertigung, wenn er in Schutzbereiche eingreifen will. Rechtfertigung verlangt wiederum Differenzierung.

Der Theologe Friedrich Wilhelm Graf hat wenige Tage später in „Das Grundgesetz ist nicht von Gott gesetzt“ dem Naturrechtsdenken ebenfalls eine Abfuhr erteilt (FAZ, 04.08.2025, Nr. 178, S. 9): 

Gerade in deutschen Debatten war „Naturrecht“ immer ein konfessionell heftig umstrittener Begriff. Für katholische Moraltheologen spielte er seit dem Neothomismus des späten neunzehnten Jahrhunderts eine zentrale Rolle, wohingegen ihn prominente protestantische Theologen vehement ablehnten. Denn „Natur“ ist mit Blick auf den möglichen normativen Bedeutungsgehalt ein höchst vieldeutiges, vages Konzept. Die Vorstellung, dass aus wie auch immer näher bestimmtem naturalem Sein Sollensforderungen abgeleitet werden können, führt in Debatten über den „naturalistischen Fehlschluss“ (G. E. Moore), in dem das komplexe, opake Verhältnis von Fakten und Normen einseitig durch Vorordnung von Faktizität zu bestimmen versucht wird. Zu den kritisierten Positionen von Frauke Brosius-Gersdorf gehört ihr Rückgriff auf diese Figur logischer Kritik unausweisbarer Vorannahmen bei der Bestimmung des Beginns des Menschenwürdeschutzes.

Graf ergänzt: „Besonders üble Folgen hatten Naturrechtsmuster in der Sexualethik, wurden hier etwa außerehelicher Geschlechtsverkehr oder gleichgeschlechtliche Liebe als ‚widernatürlich‘ und deshalb sittlich verwerflich denunziert.“

Graf hat die Probleme einer rein positivistischen Rechtsauffassung nicht einmal erörtert. Davon abgesehen hat er völlig übersehen, dass Abgeordnete des Deutschen Bundestages das geschütze Recht haben, auf ihr Gewissen zu hören. Politikern, die der Berufung Frauke Brosius-Gersdorf aus Gewissensgründen nicht zustimmen konnten, vorzuwerfen, moralisch überheblich zu agieren, ist geradezu absurd. Stefan Rehder schreibt dazu:

In seinem mit „Das Grundgesetz ist nicht von Gott gesetzt“ überschriebenen Beitrag (FAZ v. 4. August 2025) fährt der emeritierte evangelische Theologieprofessor Friedrich Wilhelm Graf scheinbar schwere Geschütze zur Verteidigung der Potsdamer Rechtswissenschaftlerin Frauke Brosius-Gersdorf auf, deren Eignung für einen Richterposten beim Bundesverfassungsgericht von vielen bestritten und von noch mehr anderen in Zweifel gezogen wird.

Eingebettet in einen den Odor professoraler Gelehrsamkeit verströmenden, bei näherer Betrachtung jedoch reichlich hemdsärmeligen und willkürlich zusammengestückelten Abriss des deutschen Naturrechts-Diskurses, reitet Graf eine scharfe Attacke auf die CDU-Bundestagsabgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker. Der Katholikin wirft der Protestant vor, die eigene Partei beschädigt zu haben, was für einen Politiker der Höchststrafe gleichkommt. Damit nicht genug: Graf fragt auch noch, ob Winkelmeier-Becker „einen neuen Kulturkampf zwischen Protestanten und Katholiken provozieren und damit den Koalitionsfrieden gefährden“ wolle. Das ist starker Tobak. Schon deshalb, weil sich Grafs Beitrag selbst als Einladungsschreiben zu einem solchen Kulturkampf lesen lässt.

Tatsächlich überraschen muss jedoch anderes. Und das betrifft Grafs für einen Ethiker erstaunlich unzureichende Einlassungen zum Wahlverfahren, zur demokratischen Legitimation und zur Freiheit des Gewissens. Gemäß Artikel 38, Absatz 1, Satz 2 des Grundgesetzes sind die Abgeordneten des Deutschen Bundestages „Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“ Dass Gott nicht das Grundgesetz geschaffen hat, bedeutet nicht, dass ein Theologe dieses ignorieren darf. Aber genau das tut Graf, wenn er behauptet, die CDU-Abgeordnete Winkelmeier-Becker hätte „demokratische Institutionen wie den Wahlausschuss“ „delegitimiert“ und oberlehrerhaft hinzufügt: „Klar vereinbarte Abmachungen aufzukündigen entspricht jedenfalls nicht den Verlässlichkeitsregeln, deren Einhaltung geboten ist, wenn man in einer Regierungskoalition den pragmatischen Konsens der ethisch verschieden Denkenden zu organisieren hat.“

Warum die Menschenwürde bereits vor der Geburt gilt

Frauke Brosius-Gersdorf stellt den Schutz der Menschenwürde Ungeborener infrage. Damit liegt sie fundamental falsch. Einen abgestuften Lebensschutz darf es aufgrund der Garantie der Menschenwürde nicht geben. Warum das so ist, hat Christian Hillgruber in dem FAZ-EINSPRUCH-Artikel „Warum die Menschenwürde bereits vor der Geburt gilt“ exzellelent dargelegt. Er erklärt auch, dass die Würde des Menschen in Art. 1 Abs. 1 GG so explizit herausgestrichen wird, weil in der NS-Zeit furchtbare Erfahrungen mit einer abgestuften Menschenwürde gemacht worden sind. 

Zitat: 

Eine Sichtweise, der zufolge Würde nicht allen Menschen zugesprochen werden kann, sondern die Anwendbarkeit der Würdegarantie auf freiheits- und damit selbstverantwortungsfähige Personen beschränkt bleibt, widerspricht offensichtlich dem Schutzzweck der Vorschrift, die in Reaktion auf die Erfahrungen der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft gerade einen rechtlichen Schutz davor bereitstellen wollte, dass einzelne Menschen oder eine Gruppe von Menschen mit Rücksicht auf wirkliche oder vermeintliche Defizite („Untermenschen“) noch einmal aus der Rechtsgemeinschaft herausdefiniert werden können.

Die Menschenwürdegarantie gebietet gerade, dass auch über das Schicksal derer, die aufgrund ihres Entwicklungsstandes, ihres Gesundheitszustandes oder sonstiger äußerer Umstände nicht, noch nicht oder nicht mehr in der Lage sind, die ihnen als Menschen zukommenden Grundrechte selbst geltend zu machen – die Ungeborenen, die Geisteskranken, die im Wachkoma liegenden, die Sterbenden –, weder vom Staat noch von anderen Menschen willkürlich, also ohne Rücksicht auf ihren rechtlichen Status als Person bestimmt werden darf.

Gegen alle Versuche, den personellen Schutzumfang der Menschenwürdegarantie neu zu bestimmen, regt sich ungeachtet „dogmatischer Unterkellerung, […] verfassungstheoretischer Konstruktion und […] philosophischer Überdachung“ der „Argwohn, dass die wissenschaftlichen Anstrengungen einem vorgefassten Ergebnis dienen und es letztlich nur darum geht, den Menschenwürde- und Lebensschutz des nascituris (vielleicht auch den des moriturus) aus dem Weg zu räumen, als atavistisches Hindernis für Fortschrittsehrgeiz, Wohlleben und Erwerbsdrang der Generation, die heute das Sagen hat“ (so der Staatsrechtler Josef Isensee).

Dieser Verdacht drängt sich umso mehr auf, als diese Reduktion des persönlichen Schutzbereichs der Fundamentalgarantie des Grundgesetzes so ganz und gar nicht zu dem ansonsten zu konstatierenden, allgemeinen Trend der Ausdehnung des Grundrechtsschutzes passen will. Der unbequem unmissverständliche erste Satz des Grundgesetzes, demzufolge der Staat, aber auch jeder Einzelne, jeden Menschen als Rechtssubjekt achten und behandeln muss, soll offenbar so gestutzt und zugeschnitten werden, dass er „gestuften Lösungen entsprechend den verschiedenen pränatalen Entwicklungsstadien“ (Abschlussbericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin, S. 179) nicht mehr länger im Wege steht.

Mehr (hinter einer Bezahlschranke): www.faz.net.

Der Rechtfertigungsversuch von Frauke Brosius-Gersdorf

Frauke Brosius-Gersdorf attackiert in einer Erklärung die Medien und sieht sich einer Kampagne ausgesetzt. Jan Philipp Burgard erkennt – meines Erachtens zutreffend – bei ihr ein fragwürdiges Demokratieverständnis und auch eine Unaufrichtigkeit.

Zitat: 

Aus den Zeilen von Brosius-Gersdorf spricht ein fragwürdiges Verständnis von Pressefreiheit. Das wird umso deutlicher, wenn man sich im Detail mit ihrer „Anklageschrift“ gegen die Medien auseinandersetzt. So heißt es in der Erklärung, die Berichterstattung über ihre Position zur Reform des Schwangerschaftsabbruchs entbehre der Tatsachengrundlage. Der Hauptvorwurf in den Medien sei, dass sie dem ungeborenen Leben die Menschenwürdegarantie abspräche.

Fakt ist: Noch im Februar 2025 äußerte Brosius-Gersdorf als Sachverständige im Rechtsausschuss des Bundestags: „Meines Erachtens gibt es gute Gründe dafür, dass die Menschenwürdegarantie erst ab Geburt gilt.“ Ein Beleg für die umstrittene Position von Brosius-Gersdorf, den auch die WELT mehrfach zitierte – und kritisierte. Doch wo entbehrt hier die Berichterstattung der „Tatsachengrundlage“, wie Brosius-Gersdorf behauptet?

Die Juristin unternimmt nicht nur einen durchsichtigen Versuch, von der Kontroverse um ihre Person abzulenken, indem sie den Medien Diffamierung vorwirft. Brosius-Gersdorf zeigt unter Druck auch ein fatal fehlgeleitetes Demokratieverständnis. Ihr Vorwurf, die Berichterstattung sei „von dem Ziel geleitet, die Wahl zu verhindern“, impliziert die Annahme, die Bundestagsabgeordneten seien intellektuell nicht in der Lage, sich ein eigenes, umfassendes Bild von Brosius-Gersdorf als Person und Juristin zu machen. Folgt man ihrer Logik, ist ihre Wahl ausschließlich an den böswilligen Medien gescheitert. Doch in Wirklichkeit ist sie an ihrer eigenen, für eine Juristin extremen Politisierung gescheitert.

Mehr (hinter einer Bezahlschranke): www.welt.de.

Hinter Brosius-Gersdorf lauert Peter Singer

Zur Causa Frauke Brosius-Gersdorf empfehle ich erstens einen Kommentar von Josef Bordat:

Weil der grundgesetzlich verbriefte Lebensschutz auch dem Ungeborenen gilt, ist die Abtreibung in Deutschland ein Gegenstand des Strafrechts, also: verboten. Das ist logisch. Wenn ein grundlegendes Verfassungsrecht so massiv verletzt wird (es wird im Fall der Abtreibung mit Blick auf den ungeborenen Menschen aufgehoben), ohne dass es dafür definierte normative Schranken gibt (andere Grundrechte, Gesetze), kann der Staat nicht einfach zusehen. Dieser Staat hat eine in sich widersinnige Konstruktion erdacht: Die Abtreibung ist rechtswidrig (§ 218 StGB), bleibt aber straffrei für den Fall, dass a) Bedingungen vorliegen, die die Abtreibung aus der subjektiven Sicht der Frau unausweichlich machen (§ 218a Absatz 2), so dass sie selbst die Entscheidung trifft (§ 218a Absatz 1 Nr. 1) und b) zuvor eine Beratung stattfand (§ 218a Absatz 1 Nr. 1 i.V.m. § 219 Abs. 2). Man kann jetzt über diesen Kompromiss denken wie man will, § 218 StGB einfach zu streichen, geht gar nicht, denn damit bliebe ja die Aufhebung eines Grundrechts für bestimmte Menschen, nämlich die Ungeborenen, ohne weiteres und jederzeit möglich.

Und genau das findet Frauke Brosius-Gersdorf offenbar gut und richtig. Wie kann man darauf kommen? Dafür braucht es eine Auflösung der festen Verbindung von Mensch-Sein und Menschenwürde. Auf so etwas kommt man nur, wenn man die Würde nicht mehr ontologisch bestimmt, sondern von Bedingungen abhängig macht, etwa von Interessen und Präferenzen, wie das etwa der australische Ethiker Peter Singer tat, mit Blick auf Tiere. Singer meint, die klassische Unterteilung zwischen Mensch und Tier verfange nicht, man müsse vielmehr unterscheiden zwischen Wesen, die Schmerzen empfinden können und ein Interesse daran haben, von Schmerzen verschont zu bleiben, und Wesen, die das nicht können und damit auch kein Verschonungsinteresse haben. Erstere nennt er nun Personen, letztere wären damit „Nicht-Personen“.

Dabei gehören „some nonhuman animals“ (P. Singer, Practical Ethics, Cambridge 1979, 97) in die erste Gruppe (etwa Affen, Schimpansen, Bonobos, Gorillas, Orang-Utans), jeder menschliche Fötus jedoch in die zweite, denn: „no fetus is a person“ (sagt Singer, a. a. O., 118), ergo: „no fetus has the same claim to life as a person“ (ebd.). Für Singer hat die (angebliche) Unfähigkeit von Föten vor der 18. Schwangerschaftswoche „of feeling anything at all“ (ebd.) die Konsequenz, dass „an abortion up to this point terminates an existence that is of no intrinsic value at all“ (ebd.). Die Frage ist jetzt gar nicht mal, ob das überhaupt stimmt, dass der Fötus nichts spürt, sondern entscheidend ist die Denkweise dahinter. Es gibt menschliches Leben, das keinen Wert hat.

Und genau in diese Kerbe schlägt nun Frauke Brosius-Gersdorf und möglicherweise demnächst auch das Bundesverfassungsgericht insgesamt. Das ist fatal.

Zweitens weise ich gern auf eine Stellungnahme von Felix Böllmann hin:

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