Klaus Vollmer

Der Missbrauchsfall um den pietistischen Prediger Klaus Vollmer

Ersmalig habe ich im Februar 2022 über die Aufarbeitung des Wirkens von Klaus Vollmer berichtet. Am Dienstag hat nun eine Aufarbeitungskommission der hannoversche Landeskirche einen Bericht vorgelegt. Ich zitiere aus einem ausführlichen Beitrag der FAZ (25.06.2025, Nr. 144, S. 6):

Die Aufarbeitungskommission stieß im Zuge ihrer fast dreijährigen Arbeit zu den „Kleinen Brüdern vom Kreuz“ auf elf Fälle, in denen Vollmer seine geistliche Autorität sexuell ausnutzte. In drei Fällen wurde Vollmer nach den Recherchen der Kommission gegenüber Minderjährigen übergriffig. 

Vollmer bindet die meist aus strikt pietistischem Milieu stammenden Männer an sich und vermittelt ihnen zugleich das Gefühl einer Weite, zu dem explizit auch die Sexualität zählt. Vollmer bezeichnet sie als „Gotteskraft“, die man „gestalten“ müsse. Seine sexuellen Annäherungen rechtfertigt Vollmer unter Verweis auf angebliche verschüttete Traditionen unter arabischen Christen. Bisweilen müssen aber auch bei Vollmer die alten Griechen zur intellektuellen Überwölbung des Geschehens herhalten. Im Vordergrund steht bei ihm allerdings die enge Verzahnung des Missbrauchs mit dem geistlichen Ideal christlicher Bruderliebe. Die vielen homosexuellen Beziehungen, die Vollmer parallel zu seiner Ehe geführt haben soll, waren allerdings keine Sache, über die man in der Bruderschaft offen spricht. Sie fallen in den nur für Eingeweihte zugänglichen Bereich der seelsorgerlichen Beziehung des Meisters zu seinen Jüngern.

Frauen empfindet Vollmer hingegen als gravierende Störung seiner Kreise. Er fordert heiratswillige Brüder daher dazu auf, von solchen Plänen abzulassen. Zum geflügelten Wort entwickelt sich dafür der Satz „Schick deine Inge in den Teich“ sowie die Aufforderung, die jungen Männer sollten nicht so viel „mit ihren Ingen unterwegs sein“.

Der Evangelist Klaus Vollmer – eine Aufarbeitung

Da ich hier im TheoBlog schon mehrfach wohlwollend aus Büchern des Evangelisten Klaus Vollmer zitiert habe, weise ich auf die Untersuchung einer „Aufarbeitungskommission der Evangelischen Geschwisternschaft“ hin. Die Anfänge der Geschwisterschaft gehen auf das Wirken von Klaus Vollmer (1930–2011) zurück, damals Pastor der Ev.- luth. Landeskirche Hannovers. Die Weggemeinschaft schreibt rückblickend über das Wirken von Klaus Vollmer: 

Das besondere Charisma Klaus Vollmers sowie verbindliche und durchaus elitäre Strukturen verliehen der Bruderschaft in den Anfangsjahren für viele eine große Dynamik und Anziehungskraft. Viele richteten ihre Berufs- und Lebenspläne danach aus, der Idee einer engen Glaubens- und Lebensgemeinschaft folgend. Heute werfen wir auf diese Zeit auch einen kritischen Blick: Es kam in diesen Jahren zu einem übersteigerten Verständnis von Berufung, von Verpflichtung und von persönlicher Bindung zum Leiter. Unzulässige Übergriffe in einzelne Biographien, unzureichender Abstand zwischen Seelsorge und Beeinflussung sowie die Abwertung von Frauen in Rede und Umgang sind zu beklagen.

Auch von Klaus Vollmer selbst mit angestoßen, begann Mitte der 1980er Jahre ein langer Prozess der Wandlung. Etliche Brüder der Anfangszeit verließen die Gemeinschaft. Klaus Vollmer trat als Leiter immer mehr in den Hintergrund, ein Nachfolger in dieser Funktion wurde bewusst nicht eingesetzt. Ein demokratisch gewähltes Gremium (Konventsrat) übernahm die Leitung der Gemeinschaft. In den 1990er Jahren traten Frauen in den Konvent ein, die Tagungen wurden auch für Familien ausgerichtet. Es begann ein Miteinander aller Generationen. Nach Ablauf einer Dekade der Diskussion wurde 2011 der Name in „Evangelische Geschwisterschaft“ geändert und so der faktischen Veränderung Rechnung getragen.

Im Frühjahr 2017 erfuhren alle Geschwister, dass es in früheren engen Vertrauensverhältnissen mit Meister-Jünger-Charakter neben Abhängigkeiten auch sexuelle Übergriffe sowie längerfristige sexuelle Beziehungen gab. Das betrifft die Anfangszeit bis zum Beginn der 1990er Jahre. Es zeigte sich die Notwendigkeit einer umfassenden Aufarbeitung.

Die Nachrichtenagentur Idea schreibt

Der 2011 im Alter von 80 Jahren gestorbene Evangelist Klaus Vollmer (Hermannsburg) hatte jahrelang homosexuelle Beziehungen zu Mitgliedern der von ihm gegründeten Bruderschaft „Kleine Brüder vom Kreuz“. Er habe dabei seine Leitungsposition und charismatische Wirkung genutzt, um diese Beziehungen einzugehen. So heißt es in dem am 18. Februar veröffentlichten Bericht einer von der „Evangelischen Geschwisterschaft“ eingesetzten Kommission.

Die Geschwisterschaft ist 2011 aus der Bruderschaft hervorgegangen. 2017 waren erste Informationen über Vollmers Verhalten bekanntgeworden. Daraufhin hatte die Geschwisterschaft, der aktuell 58 Mitglieder angehören, eine Aufarbeitungskommission eingesetzt. Aus dem Bericht geht hervor, dass alle jungen Männer mit sexuellem Kontakt zu Vollmer älter als 18 Jahre gewesen seien. Es gebe keine Hinweise auf „strafrechtliche relevante Sachverhalte“. Als geistlicher Leiter und Pastor habe Vollmer aber „massiv und fortdauernd kirchliches Recht verletzt“.

Darüber hinaus gibt es dem Bericht zufolge inzwischen auch glaubhafte Hinweise, dass Vollmer einen sexuellen Übergriff gegenüber einem Minderjährigen begangen habe, der nicht der Geschwisterschaft angehörte.

Der Bericht der Aufarbeitungskommission kann hier eingesehen werden: Bericht_der_Aufarbeitungskommission_2022-02-17.pdf.

Klaus Vollmer: Geistliches Leben zeigt sich in vier Dingen

Zum Abschluss der kleinen Reihe mit Texten von Klaus Vollmer zitiere ich die Zusammenfassung seiner Ausführungen zum Gemeindebau (Alte Wege – neu entdeckt, 1975, S. 91–92):

Ohne das Wirken Jesu können wir nichts tun, aber mit ihm werden wir über alle Maßen gesegnet. Diese Wahrheit verbaut jeden eigenwilligen Aktivismus, aber sie befreit zu großem Glauben gegenüber dem Herrn, der sich bitten lassen will.

Geistliches Leben zeigt sich in vier Dingen:

Im einfältigen Gebet: Hier weiß der Glaubende, wo alle Macht und Vollmacht verfügt wird!

Im Ernst nehmen der Heiligen Schrift: Hier sucht der Glaubende, um nichts aus sich, sondern alles aus dem Wort Gottes zu tun!

Im Wagnis der kleinen Schritte: Der Glaubende weiß, daß alle Nachfolge auch zu Wagnissen führen muß!

In der Einmütigkeit der Gemeinde: Wo in Wahrheit und Liebe das Leben gestaltet und geführt wird, und wo aller Dienst seinen Platz hat.

Wie nun jeder von uns geführt wird, und wie er seinen Glauben umzusetzen gedenkt, darüber soll jeder seine Gewissheit erlangen. Aber wir kommen alle nicht an der Einfalt des Glaubens, an der Reinigung von unseren Sünden, am Ernstnehmen der Heiligen Schrift, am Wagnis der kleinen Schritte und an der Liebe zum Aufbau der Gemeinde vorbei, wenn wir als geistliche Menschen angesprochen sein wollen.

Klaus Vollmer: Gemeinde aufbauen, nicht abbauen

Klaus Vollmer, Gemeinde aufbauen, nicht abbauen (Alte Wege – neu entdeckt, 1975, S. 81–82):

Ich weiß, daß es in vielen gläubigen Kreisen geradezu eine hysterische Angst vor geistiger und theologischer Klärung gibt. Der Grund liegt sehr häufig darin, daß gewisse Leute, die sich Theologen nennen, die Gemeinde nicht aufgebaut, sondern mit ihren gottlosen Sprüchen abgebaut haben. Von hierher ist zu verstehen, wenn mancher einfach keine Lust und kein Vertrauen mehr zu theologischer Arbeit hat, weil er befürchten muß, daß die Gemeinde nur zerstritten wird. Aber es gilt auch hier der Satz: Der Mißbrauch hebt den guten Gebrauch nicht auf … Holt Euch zu theologischer Arbeit nur solche Männer, die mit Euch beten und Gott loben können und die nachgewiesen haben, daß alle theologische Arbeit in dem Versöhnungsopfer von Golgatha gemessen werden muß, und von denen Ihr wißt, daß sie eine lebendige Ewigkeitshoffnung haben.

Klaus Vollmer: Gemeinde kennt keine Stars

Klaus Vollmer, Die Gemeinde kennt keine Stars (Alte Wege – neu entdeckt, 1975, S. 35–37):

Das Neue Testament spricht an keiner Stelle von besonderen Methoden und Praktiken, die besonders erfolgreich seien. Es spricht auch nicht von bedeutenden Mitarbeitern, die alles richtig gemacht hätten und die man nur noch nachzuahmen brauche. Nein, und das Folgende ist würdig, daß man dem gründlich nachdenkt: die Botschaft der Heiligen Schrift spricht eindeutig und überaus häufig von der Gemeinde! Das Neue Testament spricht von dem unverfügbaren Geheimnis der Gemeinde Jesu, das darin liegt, daß kein menschliches Wollen bei der Gründung am Werke war und daß keine menschliche Instanz in der Lage ist, sie zu vernichten, und daß der auferstandene Herr es selbst ist, der seine Gemeinde bis zur ewigen Herrlichkeit erhalten und vollenden wird.

Die Gemeinde kennt keine Stars, die es besonders gut machen, sondern sie spricht von Dienern und Sklaven, die um Jesu willen nicht mehr anders können, als sich dieser Gemeinde hinzugeben! Und derjenige wird der Größte genannt, der bereit ist, die untersten und niedrigsten Dienste anzunehmen. Die Gemeinde, der gedient werden soll und der ganz gewiß immer gedient werden wird — dafür sorgt der Herr selber —, hat nichts Großartiges und Faszinierendes an sich. Sie ist die Gemeinschaft von Menschen, die in der Vergebung ihrer Sünden jenen Frieden erfahren haben, von denen eine Welt noch nicht zu träumen wagt. Die Gemeinde hat kein attraktives Aussehen, denn diese Welt ist von lauter Selbstherrlichkeiten bevölkert, die wenig Interesse an Menschen der Demut und des inneren Friedens haben.

Aber in dieser Gemeinde wohnt die Gegenwart des Heilands und des Herrn über die ganze Welt. Und nicht die Völker geben der Gemeinde Platz und Recht zum Leben, sondern es ist die Gemeinde, die dieser Welt die Hoffnung und die ewige Rettung zu geben vermag. Nicht die Welt zeigt das Ziel der Geschichte an, sondern es ist die Gemeinde, die der Welt den Weg in die Heimat zu zeigen weiß. Es sind nicht die Mächtigen, die einer Welt in ihren großen Lebensfragen helfen können, nein und tausendmal nein, sondern es ist die Gemeinde, die jenes Geheimnis in sich erfährt, das allein die Nöte der Menschheit zu lösen vermag.

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